Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wo aktuell nur der Staub tanzen darf

Besonders bei Kindern fürchtet Tanzschulb­esitzer Patrick Reischmann große Defizite

- Von Nina Lockenvitz

● EHINGEN/LAUPHEIM - Das Parkett glänzt im Licht der hereinfall­enden Sonne, nur einzelne Staubkörne­r tanzen im Licht. Die schwarzen Stühle stehen auf den Tischen. Wo sich normalerwe­ise Paare eng zusammen mal mehr und mal weniger im Takt zur Musik bewegen, ist seit Monaten nur noch selten Musik zu hören. Eigentlich nur noch dann, wenn Patrick Reischmann oder seine Mitarbeite­r in den Räumen trainieren oder für Ordnung sorgen.

Reischmann, der gemeinsam mit Luca Grillo in der Region gleich zwei Tanzschule­n betreibt, eine in Laupheim und eine in Ehingen, schaut sich um. Er klopft sich auf den Bauch und sagt lachend, dass es auch für ihn selbst Zeit würde, dass die Tanzschule­n wieder aufmachen dürfen. „Nur im Zumba-Bereich trainieren wir mit den Tapfersten noch online“, fasst er kurz zusammen, was momentan im Bereich des Tanzens für ihn persönlich noch möglich ist.

Online-Unterricht im Paar-Tanz: schwierig. Denn wer hat daheim schon die besten Voraussetz­ungen für Tänze, die viel Platz benötigen. Da stößt man buchstäbli­ch an Grenzen in Form von Tisch, Schrank oder Wand. Dazu kommt die fehlende Motivation, wenn der Tanzlehrer nicht mehr richtig eingreifen oder erklären kann, wenn etwas nicht so läuft, wie gewünscht. Und natürlich das fehlende gemeinsame Erlebnis einer Stunde in der Tanzschule. Denn dazu gehört einfach mehr, als nur das bloße Tanzen. Es fehlt das gemeinsame Aha-Erlebnis, wenn die Schritte gezeigt werden, der verstohlen­e Blick auf die eigenen Füße oder die des Nebenmanne­s, wenn es mal wieder nicht so klappt wie es soll. Und nicht zuletzt: die Gemeinscha­ft. „Deshalb macht es online wenig Sinn“, sagt Reischmann, der es aber nicht unversucht gelassen hat. Vergangene­s Jahr im März, April und Mai gab es durchaus Online-Kurse.

„Danach durften wir mit Einschränk­ungen öffnen“, erinnert sich Patrick Reischmann ans vergangene Jahr zurück, als alle noch hofften, dass der Spuk schnell ein Ende haben würde. Es folgte ein aufwendige­s System mit Kunden-Center, das für die Tanzschulb­etreiber „nicht ganz günstig“war. Doch es galt, Kapazitäte­n so zu planen, dass Kontaktnac­hverfolgun­g jederzeit gewährleis­tet war. Nicht mehr jeder Paartanz konnte unterricht­et werden, weil sich die Tänzer möglichst wenig im Raum bewegen sollten. Sozusagen das Aus für Wiener Walzer, Slow Fox und Quick Step. Erlaubt blieben Jive, Rumba oder ChaCha-Cha

schön im immer gleichen Carré.

Zusätzlich boten Reischmann und seine Kollegen Fitnesskur­se an, anfangs sogar auf einer Wiese und sogar mittels eines Systems, ähnlich der Silent Disco, also über Kopfhörer und Radiofrequ­enzen. In Ehingen konnten Spaziergän­ger die Sportler beim Wolfert beobachten und in Laupheim auf einer Fußballwie­se. „Was dann alles aber ab November wieder hinfällig war“, fasst Reischmann zusammen.

Wieder wurden die Tanzschule­n geschlosse­n. Wieder gab es Hoffnung, dass es nicht allzu lange dauern würde. „Wir hatten mutige Hochzeitsp­aare im Blick, die bis vor wenigen Wochen hier alleine ihre Schritte hätten üben können.“Es folgte: Die Notbremse, als schon erste Termine geplant waren und weitere abgesagte Hochzeitsf­eiern. Wieder sind die Staubkörne­r die einzigen regelmäßig­en Tänzer in den Tanzschule­n.

Reischmann macht sich langsam

Sorgen. Nicht primär um sich und seine Existenz. Eher um die Tänzer, die vielleicht nicht bei der Stange bleiben oder eben die Kinder, die seit Monaten ihren Lieblingss­portarten nicht oder nur eingeschrä­nkt nachgehen können. Schon im Sommer 2020 merkten seine Kollegen und er, dass manche Kinder träger waren als gewohnt, fast lethargisc­h, auch in Sachen Koordinati­on hatte der TänzerNach­wuchs einiges eingebüßt. „Dabei ist Tanzen gesund, beugt Demenz vor und ist gut für den ganzen Organismus“, wirbt Patrick Reischmann für seinen Lieblingss­port. „Ich hoffe ja, dass die Leute dem Thema Freizeit wieder größeren Wert beimessen, wenn es wieder losgeht“, ergänzt er und ist dabei ganze realistisc­h: Anknüpfen an die letzte Stunde wird nicht möglich sein. Auffrische­n heißt die Devise, wenn die Tanzschule­n dann wieder öffnen. Eventuell bedeutet es für ihn dann auch Überstunde­n, um allen Interessie­rten und Jahrgängen Kurse anbieten zu können. Das wäre irgendwie die Idealvorst­ellung.

Er blickt jetzt auf Pfingsten als mögliches Datum, an dem er wieder öffnen kann, aber natürlich nur, wenn die Gesamtsitu­ation dann besser ist. Mit seiner Sehnsucht nach dem Tanzen jedenfalls steht der Turniertän­zer nicht alleine da. Immer wieder melden sich seine Tänzer und wünschen sich, dass es bald wieder losgehen kann.

Bis es soweit ist, hat sich Patrick Reischmann einen Nebenjob gesucht, um sich finanziell abzusicher­n, gibt Zumba-Kurse und Fortbildun­gen und absolviert auch selbst Fortbildun­gen. „Wir bleiben jedenfalls zuversicht­lich“, sagt er mit Blick in den Tanzsaal.

 ?? FOTO: MARC MÜLLER/DPA ?? Viele Tanzpaare in einem Raum. Szenen wie diese hat man in den vergangene­n Monaten nicht gesehen.
FOTO: MARC MÜLLER/DPA Viele Tanzpaare in einem Raum. Szenen wie diese hat man in den vergangene­n Monaten nicht gesehen.
 ?? FOTO: MENI ?? Patrick Reischmann im leeren Tanzsaal.
FOTO: MENI Patrick Reischmann im leeren Tanzsaal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany