Selbstbewusste Grünen-Chefin
Dass die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock heißt, überrascht nicht. Die Parteichefin hatte ein Argument für sich, das ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck beim besten Willen nicht entkräften konnte: Sie ist eine Frau. Die Bundestagsabgeordnete aus Potsdam hätte schon aus freien Stücken verzichten müssen, um Habeck den Weg zur Kanzlerkandidatur zu eröffnen. Doch Baerbock ist ehrgeizig und selbstbewusst genug, um die historische Chance, die sich den Grünen derzeit bietet, nicht an sich vorübergehen zu lassen. Sie will etwas erreichen, was bislang keine Frau vor ihr geschafft hat: mit 40 Jahren ins Kanzleramt einzuziehen. Ihre nicht vorhandene Regierungserfahrung ficht die Grünen-Vorsitzende offensichtlich nicht an. Sie ist davon überzeugt, dass sie dieses Defizit durch Entschlossenheit und Willenskraft ausgleichen kann.
Der Verlierer des Tages heißt Robert Habeck. Sein Erfolg, die Grünen zusammen mit Baerbock zu einer geeinten Partei gemacht zu haben, hat sich gegen ihn gewandt. Ihm bleibt die Rolle, die Frau an seiner politischen Seite bis zur Bundestagswahl bestmöglich zu unterstützen, um dann auf einen Kabinettsposten hoffen zu können. Die Geräuschlosigkeit, mit der die Grünen diese Entscheidung trafen, wirkte wohltuend. Denn noch mehr politisches Postengezänk wäre derzeit kaum zu ertragen.
Das Selbstbewusstsein, das die Partei demonstriert, sollte jedoch nicht vergessen lassen, dass die schwierigsten Wochen im Superwahljahr 2021 erst noch beginnen. Denn je näher der September rückt, desto mehr wird es um die Frage gehen, welche Konstellationen nach der Wahl möglich sein werden. Die Grünen wollen im Wahlkampf für sich allein kämpfen und keine Koalitionsfestlegungen machen. Das bedeutet allerdings auch, dass bis zum Ende nicht klar sein wird, welche Kröten die Partei bereit ist zu schlucken, um einen Platz in der Regierung zu haben. Baerbock hat vollmundig eine politische Rundumerneuerung versprochen. Im Herbst wird sich zeigen, wie viel ihr Versprechen tatsächlich wert ist.