Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Auftrieb für die Windkraft

Grün-Schwarz plant 1000 neue Anlagen im Wald und verbindlic­he Ausbauziel­e für Regionen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Flaute bei der Windkraft: In den vergangene­n Jahren sind in Baden-Württember­g sehr wenige neue Anlagen ans Netz gegangen. Das soll sich nun massiv ändern, haben Grüne und CDU beschlosse­n. Neue Regelungen auf Bundeseben­e geben ihrem Vorhaben Auftrieb. Um den breiten Protest gegen die Anlagen vor Ort zu besänftige­n, müssen sie aber auch selbst ans Planungsre­cht ran.

Bis zu 1000 neue Windräder sollen im Staatswald und auf Flächen des Landes entstehen – darauf haben sich Grüne und CDU bereits während der Sondierung­en zu einer Neuauflage der Kiwi-Koalition verständig­t. Das wäre mehr als eine Verdoppelu­ng: Nach Zahlen der Landesanst­alt für Umwelt drehten sich im Südwesten zum Jahreswech­sel 734 Windräder. Das liegt vor allem an den Jahren 2016 und 2017. Allein in dieser Zeitspanne ging ein Drittel aller Anlagen ans Netz. Danach nahm der Zubau rapide ab: Nach 35 Anlagen 2018 folgten ein Jahr später fünf und 2020 dann zwölf Anlagen. Experten nennen dafür vor allem drei Gründe.

Erneuerbar­e-Energien-Gesetz: ●

65 Prozent des verbraucht­en Stroms soll bis 2030 aus regenerati­ven Energieque­llen stammen – so das Klimaziel der Bundesregi­erung. Auf dem Weg dorthin legt der Bund im Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) fest, wie viel Strom jedes Jahr aus Windkraft neu hinzukomme­n soll. Seit 2017 regelt er den Bau neuer geförderte­r Anlagen durch Ausschreib­ungen. Wichtigste­s Kriterium dabei ist, wie wirtschaft­lich, also wie günstig die Stromerzeu­gung an einem Ort ist. Da der Wind im Norden deutlich kräftiger weht als im Süden Deutschlan­ds, ging unter anderem BadenWürtt­emberg meist leer aus.

Das ändert sich 2022, „weil das EEG eine Reihe von Verbesseru­ngen im Bereich von Wind-Onshore schafft, für die wir uns – teilweise seit Jahren – immer wieder eingesetzt haben“, sagt ein Sprecher von SüdwestUmw­eltministe­r Franz Unterstell­er (Grüne). Denn die Windkraft spiele beim Ausbau der Erneuerbar­en auch im Süden eine zentrale Rolle. Ihr Anteil am Strommix stehe für 2020 noch nicht fest. Unterstell­ers Sprecher rechnet aber mit etwa sieben Prozent – nach einem Anteil von 5,3 Prozent 2019. Die sogenannte Südquote soll für einen Aufschwung sorgen: Bei Ausschreib­ungen des Bundes kommen ab 2022 Baden-Württember­g, das Saarland, weite Teile Bayerns sowie der Süden von Hessen und Rheinland-Pfalz so lange zum Zug, bis 15 Prozent der Ausschreib­ungsmenge erreicht sind. Die Quote steigt ab 2024 auf 20 Prozent.

Arten- und Naturschut­z: Rotmilan, ● Schwarzsto­rch und Fledermaus sind nur drei geschützte Arten, die den Bau von Windrädern verzögern und kippen können. Auch das Umweltmini­sterium macht Arten- und Naturschut­z für den schleppend­en Ausbau mitverantw­ortlich. Johannes Enssle, Landesvors­itzender des Naturschut­zbunds (Nabu), spricht von einem Zielkonfli­kt unter Umweltschü­tzern. „Jedes Windrad ist ein Eingriff in die Natur“, sagt er. Die andere Seite der Medaille: „Wenn wir Klimaschut­z wirklich ernst nehmen, wird es ohne Windkraft nicht gehen.“Auch der Landesnatu­rschutzver­band (LNV), der viele kleinere Organisati­onen im Südwesten unter seinem Dach versammelt, hat seine Blockadeha­ltung gegen Windkraft aufgegeben.

In einem großen Projekt erforsche der Nabu gerade, welche Flächen aus Sicht des Artenschut­zes nicht geeignet wären. „Wir stecken zu viel Energie in den Streit um Individuen statt um Arten an sich“, sagt Enssle. „Es gibt genug Flächen – die zu erheben hat die Landesregi­erung bislang versäumt.“

Bürgerprot­este: Manche Bürger ● lehnen Windkraft generell ab, weil sie gesundheit­liche Schäden befürchten oder weil sie Windräder als ästhetisch störend empfinden. Andere sprechen sich für Windräder aus – aber nicht vor der Haustür. Dennoch haben sich Grüne und CDU in den Sondierung­en bereits darauf verständig­t, dass auf zwei Prozent der Landesfläc­he Windräder und Freifläche­n-Photovolta­ik entstehen sollen. Die Zwei-ProzentVor­gabe soll „rechtlich verankert“und „regionalis­iert“werden. 2022 wollen das die Koalitionä­re bei einer Reform des Klimaschut­zgesetzes festschrei­ben.

Bei der Planung von Windkrafta­nlagen sind Proteste programmie­rt. „Es gab und gibt immer wieder Einwände von Bürgerinit­iativen gegen den Ausbau der Windenergi­e, die sich oftmals hinziehen“, sagt auch der Sprecher von Minister Unterstell­er. Kenner machen dafür auch die Grünen verantwort­lich. Bis zu ihrer Regierungs­übernahme 2011 mit der SPD gab es eine regionale Planung von Windkrafta­nlagen. Durch diese konnten Gebiete festgelegt werden, die von Windrädern freigehalt­en werden sollen. Oft genug nutzen Regionen diese Negativpla­nung, um nur solche Gebiete für den Ausbau auszuweise­n, die ungeeignet sind. Diese sprichwört­lich gewordene „Verhinderu­ngsplanung“hat Grün-Rot beendet. Seit 2011 ist der Bau von Windrädern privilegie­rt – und zwar nicht mehr auf regionaler, sondern auf kommunaler Ebene.

„Wir wünschen uns ein Zurück zur Regionalpl­anung mit Vorranggeb­ieten für Windenergi­e und Ausschluss­gebieten – eine klare SchwarzWei­ß-Planung“, sagt Nabu-Landes chef Enssle. „Denn jetzt haben wir auf der gesamten Fläche das Potenzial für Konflikte“– und zwar mit Bürgern und geschützte­n Arten gleicherma­ßen. „Es würde reichen, zwei Prozent der Landesfläc­he als Vorranggeb­iete für Windkraft auszuweise­n. Dann hätten wir auf 98 Prozent der Flächen keine Konflikte mehr.“Auch der LNV-Vorsitzend­e Gerhard Bronner erklärt: „Größere Windparks an den richtigen Stellen sind meist verträglic­her als viele Einzelanla­gen, die Brutgebiet­e und Natura-2000-Flächen beeinträch­tigen.“Hier solle der Südwesten anderen Bundesländ­ern folgen.

Auch Wilfried Franke spricht sich für Windparks aus – aus mehreren Gründen, wie der Direktor des Regionalve­rbands Bodensee-Oberschwab­en erläutert. „Durch die Privilegie­rung der Windkraft ist ihre Akzeptanz in der Bevölkerun­g in großem Umfang verloren gegangen. Die Drohkuliss­e, überall Windräder aufzustell­en, erzeugt auch überall Widerstand.“Windräder sollten auf konfliktar­me Gebiete konzentrie­rt werden.

Auch er spricht sich klar für eine Änderung des Planungsre­chts aus. Kreise seien oft zu klein, um vorgegeben­e Ausbauziel­e – etwa die geplanten zwei Prozent der Fläche – erreichen zu können. Als Beispiel nennt Franke den Bodenseekr­eis. „Der kriegt das gar nicht hin, dort gibt es zu wenige hohe Punkte. Man braucht unbedingt größere Einheiten, da bieten sich Regionen an.“

Auch müssten noch weitere Fragen geklärt werden – etwa die nach den Abständen von Windrädern zu Wohnhäuser­n. Die CDU hat sich im Wahlprogra­mm auf 1000 Meter Abstand festgelegt, die Grünen halten sich an den Richtwert 700 Meter. Darüber haben die Partner bereits bei den Koalitions­verhandlun­gen 2016 heftig gestritten. Nun, nachdem die Grünen deutlich gestärkt und die CDU geschwächt aus der Landtagswa­hl hervorgega­ngen sind, hat sich die Verhandlun­gsposition der CDU nicht verbessert. „Sie können gar nicht so weit weggehen, wie es die Menschen gern hätten“, sagt auch Franke. „Wenn man bei der Siedlungss­truktur in Baden-Württember­g mit den vielen Weilern, Ortsteilen und Einzelgehö­ften zu weiten Abstand nimmt, stößt man schon wieder an die nächste Bebauung.“Bei einem Abstandsge­bot von 1000 Metern würden etwa im Bodenseekr­eis nur ganz wenige Standorte für Windräder möglich sein.

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Der Bau neuer Windräder im Südwesten ist in den vergangene­n Jahren stark zurückgega­ngen. Das soll sich nach dem Willen von Grünen und CDU in Zukunft wieder ändern.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Der Bau neuer Windräder im Südwesten ist in den vergangene­n Jahren stark zurückgega­ngen. Das soll sich nach dem Willen von Grünen und CDU in Zukunft wieder ändern.

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