Baerbock will es wissen
Die Grünen haben erstmals eine Kanzlerkandidatin – Der Bundesvorsitzende Robert Habeck spielt nur die zweite Geige
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BERLIN - Sie ist vergleichsweise jung und unerfahren – und sie will dennoch Kanzlerin werden: die GrünenVorsitzende Annalena Baerbock. Bei der digitalen Bekanntgabe ihrer Nominierung am Montag in Berlin konnten sich die Zuschauer ein Bild davon machen, wie die 40-Jährige gedenkt, regieren zu können ohne jede Regierungserfahrung. „Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere“, sagte Baerbock anschließend. Ihr Co-Vorsitzender an der Spitze der Grünen, Robert Habeck, wird künftig also nur noch die zweite Geige spielen. Wohl deshalb hatte der 51-Jährige das erste Wort. Er nannte die Entscheidung Baerbocks mit Blick auf ihren politischen Werdegang „sehr mutig“. Auch Habeck wäre gerne Kanzlerkandidat der Grünen. „Aber am Ende kann es nur einer machen“, sagte er. Die Kanzlerkandidatur ist somit geklärt, aber es bleiben noch eine Menge offener Fragen. Im Folgenden eine Auswahl:
Wie die Entscheidung wohl zustande ● kam
Bei der Nominierung von Annalena Baerbock haben nicht nur fachliche Kriterien eine Rolle gespielt, wie sie selbst am Montag einräumte. Es sei auch eine Frage der Emanzipation gewesen. „Sie hat eine Rolle bei der Entscheidung gespielt“, sagte die Grünen-Vorsitzende. Welche Punkte darüber hinaus ausschlagend in dem Prozess gewesen seien, wollte sie mit Verweis auf die Vertraulichkeit der mit Habeck geführten Gespräche nicht sagen. Von der grünen Partei war es tatsächlich monatelang geheim gehalten worden, wer Kanzlerkandidat/in wird. Sie und Habeck hätten sich bereits vor Ostern geeinigt, so Baerbock. Auch von ihrer Familie habe sie den Rückhalt: „Ich werde weiterhin Mutter bleiben, auch als Spitzenpolitikerin. Meine Kinder wissen, wo mein Zuhause und mein Herz ist.“Die GrünenChefin ist die erste Kanzlerkandidatin der Partei in ihrer mehr als 40jährigen Geschichte. Nach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist sie die zweite Frau überhaupt, die sich um das mächtigste Amt im Staat bewirbt.
Was Baerbock erreichen will
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Kurz gesagt: Baerbock will ins Kanzleramt.
Bei ihrer Rede am Montag machte die 40-jährige Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Potsdam mit viel Verve klar, dass sie sich dieses Amt auch zutraut. „Zukunft ist nichts, was einfach so passiert. Wir habe es in der Hand. Und deshalb stehe ich heute hier“, betonte sie. Ihr Anspruch sei „Verändern statt Versprechen“. Jetzt sei die Zeit, „in diesem Sinne eine gute Regierung anzuführen“. Als eines ihrer wichtigsten politischen Ziele benannte sie es, Klimaschutz für alle Bereiche zum Maßstab zu machen, um das Pariser Klimaabkommen erfüllen zu können. Sie sei zutiefst überzeugt, dass das Land „einen Neuanfang braucht“. Einen Vorschlag, wie sie hohe Investitionen in Klimaschutzpolitik und in die Digitalisierung in Deutschland in Zeiten der CoronaPandemie gegenfinanzieren will, machte Baerbock nicht. In ihrem Wahlprogramm sprechen sich die Grünen für eine Vermögensteuer aus. Zudem fordern sie eine Reform der Schuldenbremse.
Welche Rolle Habeck haben wird ●
Der Grünen-Vorsitzende, der jetzt auch Spitzenkandidat der Partei für die Bundestagswahl ist, wird Baerbock in den kommenden Monaten zur Seite stehen. „Ich werde meine Erfahrung nutzen, um sie im Wahlkampf zu unterstützen“, sagte er. Im Gegensatz zur neuen Kanzlerkandidatin bringt Habeck Regierungserfahrung aus Schleswig-Holstein mit. Dort war er von 2012 bis 2018 Landwirtschaftsund Umweltminister und er trat in den Wahlkämpfen als Spitzenkandidat an. Im Januar 2018 wurden er und Baerbock als Bundesvorsitzende der Grünen gewählt – und es gelang ihnen, die Partei weitgehend zu einen. „In dieser Situation führt der gemeinsame Erfolg dazu, dass einer einen Schritt zurücktreten muss“, sagte Habeck nun. Dass es ihm nicht wirklich leichtfiel, den Schritt zurückzumachen, lässt sich aus seiner Beschreibung der Grünen-Chefin herauslesen. Sie sei eine „kämpferische, fokussierte, willensstarke“Frau, die wisse, was sie wolle.
Was die Grünen jetzt erwartet
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Zum Selbstbewusstsein der Grünen gehört, dass sie im Wahlkampf nur für sich selbst kämpfen wollen, ohne sich vorher festzulegen, mit wem sie anschließend gerne am Kabinettstisch sitzen würden. „Wir trotten nicht anderen hinterher“, sagte Baerbock dazu. Anders als CSU-Chef Markus Söder in München vermied sie es auch von sich aus, die Möglichkeit
einer schwarz-grünen oder grün-schwarzen Koalition offen in Erwägung zu ziehen. „Wir wollen Politik für die Breite der Gesellschaft machen“, sagte die Kanzlerkandidatin. Bei der Bundestagswahl steht sie in direkter Konkurrenz zum SPDKanzlerkandidaten Olaf Scholz und zum Kandidaten der Union. FDP, Linke und AfD stellen zwar Spitzenkandidaten auf, nennen sie aber – mit Blick auf ihre voraussichtlichen Wahlergebnisse – nicht Kanzlerkandidaten.
Was Grünen-Mitglieder zur Nominierung ● sagen
Mit Begeisterung allerorten ließen sich die Reaktionen beschreiben. Selbst der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der sich auch schon einmal pro Habeck ausgesprochen hatte, lobte Baerbock in den höchsten Tönen als „personifizierte Überwindung des Ost-West-Konfliktes“. Auch ihre mangelnde Regierungserfahrung findet der Regierungschef im Südwesten nicht weiter schlimm. „Die hatte ich auch nicht, als ich 2011 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Und ich glaube, ich mache es nicht ganz so schlecht“, sagte der 72Jährige. Baerbock habe die Willensstärke, „die es braucht, um Kanzlerin zu werden und die nötigen Veränderungen im Land voranzutreiben“, teilte Franziska Brantner, grüne Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg mit. Agnieszka Brugger, Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Ravensburg, freute sich über eine „großartige Spitzenkandidatin“, die Menschen begeistern könne und zusammen mit Robert Habeck Führungsstärke bewiesen habe. Ein kritisches Wort zum Vorgehen der Grünen-Spitze, die Kanzlerkandidatur unter Ausschluss der Basis zu klären, war am Montag nicht zu hören. Die Entscheidung für Baerbock muss noch auf einem Grünen-Parteitag in der zweiten Juni-Woche bestätigt werden. Mit einer Revolte dagegen ist allerdings nicht zu rechnen.
Was Politiker anderer Parteien ● sagen
Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet sagte, er freue sich auf einen fairen Wahlkampf. „Fairness ist wichtig in Zeiten der Pandemie.“Polarisierte Wahlkämpfe wie in den USA „sollten wir uns in Deutschland ersparen“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident. Der bayerische Ministerpräsident Söder (CSU) schickte Baerbock von München aus „herzliche Glückwünsche“. Auch er würde sich sehr darauf freuen, diesen Wahlkampf zu führen, sagte er. Positiv reagierten auch SPDKanzlerkandidat Olaf Scholz, FDPChef Christian Lindner und LinkenFraktionschef Dietmar Bartsch. „Auf den politischen Ideenaustausch im Wahlkampf mit Annalena Baerbock freue ich mich“, teilte Lindner via Twitter mit. Nur die AfD kann Baerbocks Nominierung offensichtlich nichs abgewinnen: „Jung und weiblich soll sie zeitgeistgemäß Stimmen sammeln und dabei schönreden, was das grüne Wahlprogramm dem Land androht“, teilte Parteichef Jörg Meuthen mit.