Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Öffnen, testen, schließen

Fehlende Selbsttest­s und hohe Infektions­zahlen haben den geplanten Schulstart in Baden-Württember­g am Montag überschatt­et

- Von Kara Ballarin, Theresa Gnann und Oliver Linsenmaie­r FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA

STUTTGART

- „Moment“, sagt Franz Zeh mit freudiger Stimme. „Ich bekomme gerade ein Paket.“Der Leiter der Rosenbach-Grundschul­e in Hochdorf legt den Telefonhör­er beiseite. Die Enttäuschu­ng ist ihm anzuhören, als er kurz darauf sagt: „Nur ein kleines Paket, keine Tests.“Es ist 12.50 Uhr am Montagmitt­ag. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er – anders als versproche­n – keine Testkits für seine Schule vom Land bekommen. Dabei gilt ab diesem Tag eine Testpflich­t an allen Schulen in Baden-Württember­g. Er hat seine Schule geöffnet – obwohl die Schulbehör­den empfohlen hatten, dies im Kreis Biberach nicht zu tun. Unsicherhe­iten und Widersprüc­he bestimmen seit Beginn der CoronaPand­emie den Schulallta­g. Die Vorgänge rund um diesen Montag, an dem nach Plänen des Landes alle Schulen wieder öffnen sollten, stehen sinnbildli­ch dafür.

Am Osterwoche­nende hatte die grün-schwarze Landesregi­erung erklärt, wie es denn nun an den Schulen weitergehe­n soll. Seit Monaten lernten die meisten Kinder bis dahin von zu Hause aus. Der Plan sah vor, in der ersten Woche nach den Osterferie­n zunächst alle Schüler im Fernunterr­icht zu belassen. Ausgenomme­n davon blieben wie bereits zuvor die Abschlussk­lassen und die sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren, an denen Kinder mit geistiger oder körperlich­er Behinderun­g lernen. Für die Stufen 1 bis 7 gab es zudem eine Notbetreuu­ng.

An diesem Montag sollte alles anders werden: Die Schulen sollten wieder Unterricht vor Ort anbieten – für alle, wenn Abstands- und sonstige Hygienereg­eln eingehalte­n werden können. Sonst sollte die Hälfte der Schülersch­aft im Wechsel zu Hause und im Klassenrau­m lernen. Zwei Bedingunge­n trübten vielerorts die Vorfreude auf die Schulöffnu­ngen: Die sollte es nämlich nur in den Kreisen geben, in denen die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in einer Woche die 200er-Marke nicht übersteigt. Und dann ist da noch die neue Testpflich­t.

Da diese Sieben-Tage-Inzidenz im Ostalbkrei­s lange schon höher als 200 ist, sind dort die Schulen am Montag geschlosse­n geblieben. Am Freitag hatten die zuständige­n Schulbehör­den dieses Vorgehen auch den Einrichtun­gen im Kreis Biberach zunächst empfohlen, da der Wert nur knapp unter 200 lag – Tendenz steigend. Die Gymnasien im Kreis hätten sich daran gehalten, sagt Elke Ray, Leiterin des Gymnasiums Ochsenhaus­en und Vorsitzend­e der Direktoren­vereinigun­g Südwürttem­berg. Franz Zeh stemmte sich indes gegen die Empfehlung. „Wir haben es durchgezog­en“, sagt er, „und wir waren nicht die einzige Schule im Kreis.“

Die Hälfte von Zehs 113 Schülern durfte am Montag zum Unterricht kommen – nur wenige Eltern verweigert­en sich der neuen Testpflich­t. Ihre Kinder bekamen Arbeitsmat­erial für zu Hause, da sie ohne Test nicht am Präsenzunt­erricht teilnehmen dürfen. „Ich finde das gut, das ist ehrlicher, statt einfach zu unterschre­iben und dann nur so zu tun, als würden sie den Test machen“, sagt Zeh. Wirklich kontrollie­ren kann er das nämlich nicht. Im Gegensatz zu den weiterführ­enden Schulen dürfen die Eltern von Grundschul­kindern im Land die vorgeschri­ebenen zwei Tests pro Woche mit nach Hause nehmen und dort durchführe­n. Die Tests hat er am Freitagabe­nd den Eltern in die Hand gedrückt. Dass sie ihn auch regelgerec­ht angewendet haben, versichern die Eltern per Unterschri­ft auf einem Laufzettel, den die Kinder stets in ihrer Schulmappe haben sollen. „Ohne Unterschri­ft müssen wir das Kind dann leider heimschick­en“, sagt Zeh.

Das Land hatte den Schulen zwar ausreichen­d Tests zum Schulstart an diesem Montag versproche­n. Schließlic­h dürfen Schulen ohne

Elke Ray, Leiterin am Gymnasium Ochsenhaus­en

Tests gar keinen Präsenzunt­erricht anbieten, betont ein Sprecher von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). Angekommen sind die Tests vom Land aber längst nicht überall. Zuständig dafür ist das Sozialmini­sterium von Manfred Lucha (Grüne), das Millionen Tests bestellt hat und an die Kommunen liefert. Diese sollen die Testkits an ihre Schulen weitervert­eilen. Wegen Verzögerun­gen bei der Lieferung ans Land seien die Tests zum Teil erst am Freitag an Städte und Gemeinden gegangen, aber nicht mehr weiter an die Schulen, nennt eine Ministeriu­mssprecher­in einen Grund für den Mangel. „Zum Teil liegt es auch daran, dass entgegen der Zusicherun­g von zwei Lieferante­n die vollständi­ge Auslieferu­ng an die Kommunen bis Freitag, 16. April 2021, nicht erfolgt ist.“Wie viele Schulen neben der von Rektor Zeh betroffen sind, können weder Sozialnoch Kultusmini­sterium sagen. Luchas Sprecherin betont aber: „Die vollständi­ge Auslieferu­ng der ersten Tranche an die Kommunen wird diese Woche erfolgen.“Das Kultusmini­sterium ergänzt, dass die Kommunen sich zudem selbst Testkits organisier­en konnten.

Dass er den Eltern seiner Schüler Testkits bereits am Freitag mitgeben konnte, verdankt Rektor Zeh dem Hochdorfer Bürgermeis­ter und indirekt Tübingens Rathausche­f Boris Palmer. Palmer bot in einer WhatsApp-Gruppe mit Bürgermeis­tern aus dem Regierungs­bezirk Tübingen Hilfe bei der TestkitBes­chaffung bei einer Tübinger Firma an. „Oberbürger­meister Boris Palmer verkauft keine Tests“, betont eine Rathausspr­echerin auf Nachfrage. „Nahezu alle Städte im Regierungs­bezirk haben Tests direkt beim Hersteller, der Firma Abbott, gekauft.“Palmer schätze die Menge auf rund 300 000 Stück. „Mittlerwei­le habe ich Anfragen aus dem ganzen Land erhalten, ob wir noch mehr Tests vermitteln können, und zahlreiche­n Städten geholfen, weil sie kurzfristi­g keine Tests besorgen konnten“, erklärt Palmer. „Niemand hat daran auch nur einen Cent verdient.“ Allein die Stadt Weingarten habe so für mehr als 100 000 Euro 21 600 Tests aus Tübingen bezogen, wie eine Stadtsprec­herin bestätigt.

Test ist aber nicht gleich Test, wie die Ochsenhaus­ener Gymnasiums­leiterin Ray feststelle­n musste. Ihre Testkits kamen nicht einzeln verpackt an. „Wir haben alle Komponente­n für unsere Tests separat bekommen“, sagt sie. „Wir haben noch Wäscheklam­mern gekauft, um die Röhrchen auf dem Tisch abstellen zu können.“Und sie hat ein Erklärvide­o aufgenomme­n, da kein anderes die Anwendung genau ihrer Tests zeigte.

Die Selbsttest­s scheinen den Schulen, die am Montag starten durften, weniger Probleme beschert zu haben als vielfach vorab befürchtet. „Natürlich gab es Vorbehalte bei Lehrkräfte­n und bei Schülern und Schülerinn­en“, berichtet Karin Broszat, Leiterin der Überlinger Realschule. „Es lief alles unspektaku­lär ab. Wir hatten auch keinen PositivFal­l“, so die Rektorin, die zudem Vorsitzend­e des Realschull­ehrerverba­nds ist. Ähnliches berichtet Gerhard Brand, Landesvors­itzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). „Im Großen und Ganzen hat es geklappt, wenn die Lehrkräfte ausreichen­d qualifizie­rt waren oder auf externe Testmöglic­hkeiten zugegriffe­n werden konnte.“Aber: „Zum Teil wurden den Kindern erst heute die Testkits mit nach Hause gegeben – das heißt, sie saßen einen Tag ungetestet im Klassenzim­mer.“

Wie in Hochdorf gibt es auch in der Überlinger Realschule Eltern, die Selbsttest­s für ihre Kinder ablehnen: Von ihren 720 Schülern seien es bislang etwa ein Dutzend, berichtet Rektorin Broszat. „Der Großteil der Eltern unterstütz­t die Testpflich­t aber.“Dennoch gibt es landauf, landab auch lautstarke Proteste. In Tuttlingen etwa kursierten aus Kreisen der „Querdenker“Musterschr­eiben gegen die Tests. „Ich weiß von diversen Schreiben von Rechtsanwä­ltinnen an Schulen“, sagt auch Monika

Stein, Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft. Schon gegen die Maskenpfli­cht, vor allem an Grundschul­en, hatte es vielfach Widerstand gegeben. „Die Eltern, die vehement gegen Tests sind, schicken ihre Kinder nun nicht zur Schule“, sagt Stein. Das dürfen sie, denn im Land ist seit vergangene­m Sommer die Präsenzpfl­icht aufgehoben. Die Kinder, die zu Hause bleiben, bekommen Fernunterr­icht. Auch Realschull­eiterin Broszat berichtet: „Als Rektorin bekomme ich viele böse Briefe – zur Maskenpfli­cht, auch zur Testpflich­t“, zum Teil voller persönlich­er unverschäm­ter Angriffe. Oft seien die Absender aber gar keine Eltern. „Vereinzelt kam es heute zu Protestakt­ionen vor Schulen, bei einzelnen Schulen in der letzten Woche sogar täglich“, berichtet VBEChef Brand. Insgesamt seien dies aber Einzelfäll­e. „Tendenziel­l nehmen solche Eltern die Kinder aus dem Präsenzunt­erricht.“

Dass an den Schulen bald mehr Ruhe und Planbarkei­t herrscht, bleibt wohl vielerorts ein frommer Wunsch. Der Kreis Tuttlingen hat gerade die Sieben-Tage-Inzidenz von 200 überschrit­ten. Auch dort werden die Schulen also kurz nach der Öffnung am Dienstag wieder auf Fernunterr­icht umstellen, wie das Landratsam­t am Montag verkündet. Andere Kreise könnten bald nachziehen. Denn der Südwesten hat sich bei seiner Regelung, Schulen ab einer 200erInzid­enz zu schließen, an den Plänen der Bundesregi­erung zur Änderung des Infektions­schutzgese­tzes orientiert. Der Bundestag will diese Grenze allerdings auf 165 absenken – die Beschlüsse im Bundestag und Bundesrat sollen noch diese Woche folgen. Für den Hochdorfer Grundschul­leiter Zeh bedeutet das nichts Gutes. „Ich bin froh, dass das heute ziemlich gut angelaufen ist“, sagt er noch am Montagmitt­ag und betont: „Ich hoffe, dass die Regelungen jetzt ein bisschen bleiben und etwa nicht noch mal an den Inzidenzza­hlen gerüttelt wird.“

Karin Broszat, Rektorin der Realschule Überlingen

„Wir haben noch Wäscheklam­mern gekauft, um die Röhrchen auf dem Tisch abstellen zu können.“

„Als Rektorin bekomme ich viele böse Briefe – zur Maskenpfli­cht, auch zur Testpflich­t.“

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