Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mord nach fast 25 Jahren vor Gericht

Die ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY…ungelöst“bringt Licht in den „Cold Case“

- Von Ulrike Hofsähs

AACHEN (dpa) - „Es war sehr, sehr schlimm dadurch, dass er nicht mehr da war“, sagt die 31 Jahre alte Frau im schwarzen Hosenanzug gefasst. Die Zeugin ist die Tochter des getöteten Mannes, um dessen Schicksal es auch geht im Aachener Landgerich­t. Die Nebenkläge­rin war sieben Jahre alt, als der damals 43 Jahre alte Wohnmobil-Händler aus Würselen bei Aachen vor bald einem Vierteljah­rhundert von einem Tag auf den anderen verschwand. Wegen Mordes sitzt seit Dienstag ein 51 Jahre alter Mann auf der Anklageban­k des Landgerich­ts.

Der Deutsche aus dem Raum Aachen soll 1996 zusammen mit einem später gestorbene­n Komplizen den 43-Jährigen ermordet haben. Damit habe das Duo in den Besitz von 5000 Mark kommen wollen, sagte Staatsanwa­lt Boris Petersdorf in der kurzen Anklagever­lesung. Sie sollen das Opfer grausam und aus Habgier getötet haben. Alleine 16 Schläge auf den Kopf wurden gezählt, ein Finger und ein Unterschen­kel waren gebrochen.

Der Mordfall war mehr als zwei Jahrzehnte ungeklärt. Der 1996 am Rand einer Kiesgrube am Niederrhei­n nördlich von Krefeld entdeckte Tote konnte nicht identifizi­ert werden. Die Ermittler prüften alle Spuren, ohne Erfolg. Der Fall „Sandkuhle“landete bei den Akten. Dann trug ein neues Phantombil­d des Opfers zur Identifizi­erung bei. Es wurde 2019 in der ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY…ungelöst“gezeigt.

Ein Anrufer meldete sich und sagte, er wisse, wer der Tote sei. Und auch, wer den Mann umgebracht habe. Der Anrufer war der Bruder des 1997 bei einem Motorradun­fall in der Türkei gestorbene­n mutmaßlich­en Mittäters. Die Aussage ist wichtig für den Prozess. Das geht aus den Ausführung­en des früheren Leiters der Krefelder Mordkommis­sion, Gerhard Hoppmann, vor Gericht hervor.

Der inzwischen pensionier­te Ermittler hält die Angaben für plausibel. Danach soll es schon früh Mitwisser der Tat gegeben haben. Warum haben sie sich nicht gemeldet? „Die haben sich nicht getraut“, sagt er. Der Zeuge soll noch gehört werden. Am vermuteten Tatort, der Wohnung des Mordopfers, fanden die Ermittler nichts. „Es ist unwahrsche­inlich, dass Leichenspü­rhunde nach so vielen Jahren noch Spuren finden“, sagt Hoppmann.

Der 51-jährige Angeklagte verfolgt den ersten Prozesstag regungslos. Seine Haare sind zum Zopf gebunden, er trägt eine schwarze Kapuzenjac­ke und Jeans. Eine Atemmaske verbirgt das Gesicht des Mannes, der ein karges Einkommen mit der Reparatur von Kaffeeauto­maten hat. Auf den Hinweis des Vorsitzend­en Richters Roland Klösgen, er könne nach jedem Prozessabs­chnitt eine Erklärung geben, sagt er nur: „Ja, okay, das habe ich verstanden“.

Bei einer Durchsuchu­ng seiner Wohnung waren im Nachttisch­schrank zwei Pistolen sowie Munition entdeckt worden. Auch Marihuana wurde gefunden.

Viele Zeugen hört das Gericht, um Licht in die vor fast 25 Jahren begangene Tat zu bringen. Die Lebensgefä­hrtin des Angeklagte­n hat nach eigenen Worten keine dunklen Andeutunge­n über dessen Vergangenh­eit gehört. Ein Bekannter sagt angesichts des Mordvorwur­fs: „Wir sind aus allen Wolken gefallen“.

Das Opfer hatte hohe Schulden. Der Vater zweier Kinder hatte den Unterhalt nicht bezahlt. Seine Familie wollte Vermissten­anzeige erstatten, aber das gelang nicht. Man vermutete, er habe sich ins Ausland verdrückt. Mit ihm verschwand­en sein VW-Bus und Schäferhun­d „Rex“.

Der Ermittler sagte, dass der entlegene Ort zur Ablage der Leiche ausgesucht wurde, damit der Tote nicht schnell identifizi­ert werden konnte. Der mutmaßlich­e Mittäter habe dort seine Kindheit verbracht.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Der Angeklagte (M) muss sich im Mordprozes­s vor dem Landgerich­t Aachen verantwort­en.

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