Zirkusbrand: Das ergaben die Ermittlungen
Rassistisches Motiv? Manche halten Brandstiftung für wahrscheinlich – Es gibt Widerspruch
● WEIDENSTETTEN - Kaum mehr als 30 Kilometer liegen zwischen Dellmensingen und Weidenstetten. In Dellmensingen hat es im Mai 2019 einen rassistisch motivierten Brandanschlag auf eine Gruppe Roma gegeben, das Landgericht Ulm hat fünf junge Männer deshalb verurteilt. Im März 2021 brannten mehrere Wohnwagen von Zirkusfamilien ab, die ihr Lager bei Weidenstetten aufgeschlagen hat. War es wieder ein Anschlag? Bürgerrechtler und ein Anwalt hielten das für wahrscheinlich, doch es gab heftigen Widerspruch. Nun haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft geäußert.
Die Ermittlungen zur Brandursache liefen auf Hochtouren, heißt es. Spezialisten der Kriminalpolizei hätten umfangreiche Spuren gesichert und auch ein Brandsachverständiger sei hinzugezogen worden. Ersten Erkenntnissen zufolge soll der Brand im Inneren eines Wohnwagens entstanden sein. Wie das geschehen konnte, können die Ermittler noch nicht sagen. Hinweise auf eine vorsätzliche Brandstiftung gibt es nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht, betonen Polizei und Staatsanwaltschaft.
„Wir gehen von einem Brandanschlag aus“, hatte Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler einen Tag davor gesagt. Der Landesverband Baden-Württemberg des Verbands Deutscher Sinti und Roma (VDSRBW) hat den Juristen als Rechtsbeistand für die Zirkusfamilie engagiert. Ein Mitglied der knapp 20-köpfigen Zirkusgruppe ist Sinto. Daimagüler war unter anderem Opferanwalt im NSU-Prozess und vertrat die betroffene Familie des Fackelwurfs von Dellmensingen, die als Nebenklägerin auftrat.
Ob es sich auch in Weidenstetten um eine antiziganistische und rassistische Tat handle, sei noch unklar, sagte er: „Da muss man immer ganz genau hinschauen.“Für den Brandanschlag gebe es aber Anzeichen. Unter anderem sei das Feuer nicht dort ausgebrochen, wo gekocht werde. Dass die Zirkusfamilie selbst mit Absicht das Feuer gelegt haben könnte, sei auszuschließen: „Die Wohnwagen waren nicht versichert“, erklärte er. Er habe Akteneinsicht beantragt, so Daimagüler.
Der Bürgerrechtler Daniel
Strauß, der sich für Sinti und Roma einsetzt, lieferte ein weiteres Indiz: Bei den Wohnwagen sei Brandbeschleuniger gefunden worden, berichtete er vor einigen Tagen in einem auf Youtube veröffentlichten Video. Darin tauschten sich Strauß mit Chana Dischereit vom VDSRBW und Andreas Hoffmann-Richter aus, der die Beratungsstelle für Sinti und Roma in Ulm leitet.
Bürgerrechtler Strauß berichtete auch, es habe im 2020 und rund zwei Monate vor dem Brand unangenehme und als bedrohlich empfundene Situationen gegeben. Autos seien hupend auf das Gelände gefahren, hätten eine Vollbremsung hingelegt und dann mit quietschenden Reifen kehrtgemacht. Daraufhin habe die Zirkusgruppe Wachen aufgestellt.
Beim Brand, berichtet Strauß, habe es Glück im Unglück gegeben: Jemand habe die Gasflaschen an den Wohnwagen geistesgegenwärtig abmontiert. Zudem seien die brennenden Wohnwagen mit einem Schlepper von den anderen Wagen entfernt worden.
Chana Dischereit zog Parallelen zum Fackelwurf von Dellmensingen: Auch dort, berichtet sie, seien hupende Fahrzeuge immer wieder zur Wiese gefahren, auf der seinerzeit eine Gruppe französischer Roma gewohnt hatte. Dischereit hob aber auch die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Weidenstetten hervor, die den Zirkusleuten mit Geld, aber auch mit Zuspruch geholfen habe. „Die Bewohner vom Zirkus waren überwältigt von den vielen Gaben, die aus der Bevölkerung gekommen sind“, berichtete auch Andreas Hoffmann-Richter. Zirkusdirektor Karl Brumbach nenne Weidenstetten einen Ort, an dem er gerne bleibe. Dennoch, so HoffmannRichter, stelle man nachts nun Strahler als Sicherheitsvorkehrung auf.
Johannes Bräuchle ist als Zirkusseelsorger unter anderem für BadenWürttemberg und Westbayern zuständig, er betreut auch die Zirkusfamilien, die seit November 2019 in Weidenstetten leben. Bräuchle ist wütend über die Vorwürfe, die der VDSR-BW erhebt. Er vermutet, dass der Verband vor allem Spenden für die betroffene Familie bewirken will dabei seien Hilfsbereitschaft, Solidarität und finanzielle Unterstützung bereits sehr groß. Die Zirkusfamilie hat beispielsweise von einem Privatmann einen Wohnwagen gespendet bekommen, hat Kleider- und Geldspenden bekommen und bekam kostenlose Hotelübernachtungen für die Bewohner der ausgebrannten Wagen gesponsert.
Der VDSR-BW hatte auch Georg Engler, den Bürgermeister von Weidenstetten, angegriffen: Er habe dem Zirkus gedroht. Das weist Bräuchle zurück. Er sei bei der vermeintlichen Drohung dabei gewesen. Engler habe nicht gedroht, sondern gewarnt, dass die Ärgernisse im Zirkuslager womöglich düstere Gestalten auf den Plan rufen könnten, das wolle man vermeiden. Bräuchle nannte Engler einen „ausgesprochen honorigen Mann“und betonte: „Die Weidenstettener haben einen großartigen Bürgermeister.“Engler habe sich trotz anfänglicher Vorbehalte für den Zirkus eingesetzt und Konflikte geschlichtet. Die habe es immer wieder gegeben, unter anderem wegen Drogenkonsum, Schlägereien, Beschädigungen und Lärm im Lager.
Dass der Verband auf angebliche Brandbeschleuniger verweist, bezeichnete Bräuchle als irritierend. Es habe wegen zweier Flecken auf dem Boden diesen Anfangsverdacht gegeben. Wie sich herausgestellt habe, könne es sich dabei aber auch um abgetropftes Öl handeln. „Der Verband der Sinti und Roma irrt, wenn er von Brandbeschleuniger redet. Einen Anhaltspunkt für ein antiziganistisches Motiv gibt es nach aktuellem Stand nicht“, betonte der evangelische Pfarrer.