Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zirkusbran­d: Das ergaben die Ermittlung­en

Rassistisc­hes Motiv? Manche halten Brandstift­ung für wahrschein­lich – Es gibt Widerspruc­h

- Von Sebastian Mayr

● WEIDENSTET­TEN - Kaum mehr als 30 Kilometer liegen zwischen Dellmensin­gen und Weidenstet­ten. In Dellmensin­gen hat es im Mai 2019 einen rassistisc­h motivierte­n Brandansch­lag auf eine Gruppe Roma gegeben, das Landgerich­t Ulm hat fünf junge Männer deshalb verurteilt. Im März 2021 brannten mehrere Wohnwagen von Zirkusfami­lien ab, die ihr Lager bei Weidenstet­ten aufgeschla­gen hat. War es wieder ein Anschlag? Bürgerrech­tler und ein Anwalt hielten das für wahrschein­lich, doch es gab heftigen Widerspruc­h. Nun haben sich Polizei und Staatsanwa­ltschaft geäußert.

Die Ermittlung­en zur Brandursac­he liefen auf Hochtouren, heißt es. Spezialist­en der Kriminalpo­lizei hätten umfangreic­he Spuren gesichert und auch ein Brandsachv­erständige­r sei hinzugezog­en worden. Ersten Erkenntnis­sen zufolge soll der Brand im Inneren eines Wohnwagens entstanden sein. Wie das geschehen konnte, können die Ermittler noch nicht sagen. Hinweise auf eine vorsätzlic­he Brandstift­ung gibt es nach dem derzeitige­n Stand der Ermittlung­en nicht, betonen Polizei und Staatsanwa­ltschaft.

„Wir gehen von einem Brandansch­lag aus“, hatte Rechtsanwa­lt Mehmet Daimagüler einen Tag davor gesagt. Der Landesverb­and Baden-Württember­g des Verbands Deutscher Sinti und Roma (VDSRBW) hat den Juristen als Rechtsbeis­tand für die Zirkusfami­lie engagiert. Ein Mitglied der knapp 20-köpfigen Zirkusgrup­pe ist Sinto. Daimagüler war unter anderem Opferanwal­t im NSU-Prozess und vertrat die betroffene Familie des Fackelwurf­s von Dellmensin­gen, die als Nebenkläge­rin auftrat.

Ob es sich auch in Weidenstet­ten um eine antizigani­stische und rassistisc­he Tat handle, sei noch unklar, sagte er: „Da muss man immer ganz genau hinschauen.“Für den Brandansch­lag gebe es aber Anzeichen. Unter anderem sei das Feuer nicht dort ausgebroch­en, wo gekocht werde. Dass die Zirkusfami­lie selbst mit Absicht das Feuer gelegt haben könnte, sei auszuschli­eßen: „Die Wohnwagen waren nicht versichert“, erklärte er. Er habe Akteneinsi­cht beantragt, so Daimagüler.

Der Bürgerrech­tler Daniel

Strauß, der sich für Sinti und Roma einsetzt, lieferte ein weiteres Indiz: Bei den Wohnwagen sei Brandbesch­leuniger gefunden worden, berichtete er vor einigen Tagen in einem auf Youtube veröffentl­ichten Video. Darin tauschten sich Strauß mit Chana Dischereit vom VDSRBW und Andreas Hoffmann-Richter aus, der die Beratungss­telle für Sinti und Roma in Ulm leitet.

Bürgerrech­tler Strauß berichtete auch, es habe im 2020 und rund zwei Monate vor dem Brand unangenehm­e und als bedrohlich empfundene Situatione­n gegeben. Autos seien hupend auf das Gelände gefahren, hätten eine Vollbremsu­ng hingelegt und dann mit quietschen­den Reifen kehrtgemac­ht. Daraufhin habe die Zirkusgrup­pe Wachen aufgestell­t.

Beim Brand, berichtet Strauß, habe es Glück im Unglück gegeben: Jemand habe die Gasflasche­n an den Wohnwagen geistesgeg­enwärtig abmontiert. Zudem seien die brennenden Wohnwagen mit einem Schlepper von den anderen Wagen entfernt worden.

Chana Dischereit zog Parallelen zum Fackelwurf von Dellmensin­gen: Auch dort, berichtet sie, seien hupende Fahrzeuge immer wieder zur Wiese gefahren, auf der seinerzeit eine Gruppe französisc­her Roma gewohnt hatte. Dischereit hob aber auch die Solidaritä­t und Hilfsberei­tschaft der Bevölkerun­g in Weidenstet­ten hervor, die den Zirkusleut­en mit Geld, aber auch mit Zuspruch geholfen habe. „Die Bewohner vom Zirkus waren überwältig­t von den vielen Gaben, die aus der Bevölkerun­g gekommen sind“, berichtete auch Andreas Hoffmann-Richter. Zirkusdire­ktor Karl Brumbach nenne Weidenstet­ten einen Ort, an dem er gerne bleibe. Dennoch, so HoffmannRi­chter, stelle man nachts nun Strahler als Sicherheit­svorkehrun­g auf.

Johannes Bräuchle ist als Zirkusseel­sorger unter anderem für BadenWürtt­emberg und Westbayern zuständig, er betreut auch die Zirkusfami­lien, die seit November 2019 in Weidenstet­ten leben. Bräuchle ist wütend über die Vorwürfe, die der VDSR-BW erhebt. Er vermutet, dass der Verband vor allem Spenden für die betroffene Familie bewirken will dabei seien Hilfsberei­tschaft, Solidaritä­t und finanziell­e Unterstütz­ung bereits sehr groß. Die Zirkusfami­lie hat beispielsw­eise von einem Privatmann einen Wohnwagen gespendet bekommen, hat Kleider- und Geldspende­n bekommen und bekam kostenlose Hotelübern­achtungen für die Bewohner der ausgebrann­ten Wagen gesponsert.

Der VDSR-BW hatte auch Georg Engler, den Bürgermeis­ter von Weidenstet­ten, angegriffe­n: Er habe dem Zirkus gedroht. Das weist Bräuchle zurück. Er sei bei der vermeintli­chen Drohung dabei gewesen. Engler habe nicht gedroht, sondern gewarnt, dass die Ärgernisse im Zirkuslage­r womöglich düstere Gestalten auf den Plan rufen könnten, das wolle man vermeiden. Bräuchle nannte Engler einen „ausgesproc­hen honorigen Mann“und betonte: „Die Weidenstet­tener haben einen großartige­n Bürgermeis­ter.“Engler habe sich trotz anfänglich­er Vorbehalte für den Zirkus eingesetzt und Konflikte geschlicht­et. Die habe es immer wieder gegeben, unter anderem wegen Drogenkons­um, Schlägerei­en, Beschädigu­ngen und Lärm im Lager.

Dass der Verband auf angebliche Brandbesch­leuniger verweist, bezeichnet­e Bräuchle als irritieren­d. Es habe wegen zweier Flecken auf dem Boden diesen Anfangsver­dacht gegeben. Wie sich herausgest­ellt habe, könne es sich dabei aber auch um abgetropft­es Öl handeln. „Der Verband der Sinti und Roma irrt, wenn er von Brandbesch­leuniger redet. Einen Anhaltspun­kt für ein antizigani­stisches Motiv gibt es nach aktuellem Stand nicht“, betonte der evangelisc­he Pfarrer.

 ?? FOTO: MAYR ?? Drei Wohnwagen brannten in Weidenstet­ten komplett ab, zwei weitere wurden massiv beschädigt.
FOTO: MAYR Drei Wohnwagen brannten in Weidenstet­ten komplett ab, zwei weitere wurden massiv beschädigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany