Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Schweigen ist keine Zustimmung

Bundesgeri­chtshof kassiert Klauseln in den Geschäftsb­edingungen von Banken

- Von Marco Krefting

KARLSRUHE (dpa) - Durch alle Instanzen haben sich Verbrauche­rschützer gegen Klauseln in den Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen (AGB) der Postbank geklagt. Am Dienstag ging es vor dem Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe in die letzte Runde (Az.: XI ZR 26/20). Die Kritik lautet, das Geldhaus setze die Zustimmung ihrer Kunden bei Änderungen der AGB einfach voraus, wenn diese nach der Ankündigun­g nicht widersprec­hen. Das geht so pauschal nicht, entschied der elfte Zivilsenat des BGH.

Worum ging es genau?

„Die Zustimmung des Kunden gilt als erteilt, wenn er seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschla­genen Zeitpunkt des Wirksamwer­dens der Änderungen angezeigt hat.“Dieser Satz steht in den AGB der Postbank ganz zentral unter den „Grundregel­n für die Beziehung zwischen Kunde und Bank“beim Punkt „Änderungen“. Unter „Kosten“taucht er dann noch einmal bei der „Änderung von Entgelten bei typischerw­eise dauerhaft in Anspruch genommenen Leistungen“auf – sprich: zum Beispiel Konto- und Depotführu­ng. Stillschwe­igende Zustimmung nennt man das. Ist ein Kunde nicht mit der angekündig­ten Änderung einverstan­den, kann er in einem genannten Zeitraum fristlos und kostenfrei kündigen.

Woran stießen sich die Verbrauche­rschützer? ●

Dem Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen und Verbrauche­rverbände ging es vor allem um Transparen­z für die Bankkunden. „Für sie muss klar sein, unter welchen Umständen und in welchen Grenzen eine Änderung des Vertrages überhaupt erfolgen darf“, sagte Rechtsrefe­rent David Bode. Dass der Verband sich des Themas angenommen hat, erklärte Bode vor allem mit steigenden Kontoführu­ngsgebühre­n in den vergangene­n Jahren. Die Banken stützten sich hierbei auf AGB, die eine Zustimmung der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r auch zu Vertragsän­derungen und Preiserhöh­ungen in beliebigem Umfang „fingieren“könnten.

Wie erklärt der BGH seine Entscheidu­ng? ●

Der Vorsitzend­e Richter Jürgen Ellenberge­r sagte, die beanstande­ten Klauseln benachteil­igten die Kunden in unangemess­ener Weise. Diese müssten tätig werden, um eine Änderung zu verhindern. Ohne inhaltlich­e Einschränk­ung seien die Folgen auch viel zu weitreiche­nd. So würden die Klauseln für alle Verträge zwischen Bank und Kunde gelten – neben dem Zahlungsve­rkehr etwa auch für das Wertpapier- oder Kreditgesc­häft, erläuterte der Jurist.

Was heißt das konkret?

Ellenberge­r gab zwei Beispiele: So wie die Klauseln im Moment formuliert sind, könnte eine Bank Kunden etwa mit kostenlose­n Depots anwerben und dann später mittels der Klauseln Gebühren einführen. Das komme aber vielmehr einem neuen Vertrag gleich, so der Richter. Oder die Bank könnte das Vertragsge­füge so umgestalte­n, dass aus einem Sparvertra­g ein „schließfac­hähnlicher“Vertrag wird, für den der Verbrauche­r plötzlich zahlen muss – statt Zinsen zu bekommen.

Wie reagieren die Banken?

Sehr kleinlaut. Die Postbank selbst hatte sich schon vor dem BGH-Verfahren nicht dazu äußern wollen. Branchenüb­ergreifend äußerte sich die Deutsche Kreditwirt­schaft, ein Zusammensc­hluss der sogenannte­n kreditwirt­schaftlich­en Spitzenver­bände wie dem Bundesverb­and deutscher Banken und dem Deutschen Sparkassen- und Giroverban­d. Sie teilte nach der Entscheidu­ng aber lediglich mit, eine weitergehe­nde Analyse des Urteils sowie eine Bewertung seiner Auswirkung­en seien erst möglich, wenn auch die Entscheidu­ngsgründe des Urteils vorliegen. Das könne einige Wochen dauern.

Für welche Branchen hat das Urteil ● Folgen?

Zwar geht es erstmal nur um die Postbank. Experten gehen aber davon aus, dass weite Teile der Branche betroffen sind. Die beanstande­ten Klauseln entspreche­n im Wesentlich­en den Muster-AGB der Banken und jenen der Sparkassen. Ein Sprecher der Deutschen Kreditwirt­schaft bestätigte, dass viele Kreditinst­itute im sogenannte­n Massengesc­häft den fraglichen Mechanismu­s verwendete­n. „Insofern hat das Urteil auch für andere Marktteiln­ehmer Bedeutung.“Laut Prof. Thomas Pfeiffer vom Institut für ausländisc­hes und internatio­nales Privat- und Wirtschaft­srecht an der Uni Heidelberg kann sich die Entscheidu­ng auch auf Zahlungsdi­enstleiste­r wie Paypal auswirken.

Ob darüber hinaus andere Branchen betroffen sein könnten, ist unter Fachleuten umstritten. Prof. Stefan Arnold, der sich an der Uni Münster unter anderem mit Vertragsre­cht befasst, schätzte schon vor der Verhandlun­g, dass die Praxis weit verbreitet sei – und somit auch in anderen Branchen Auswirkung­en zu erwarten seien. Überlegung­en zu Fairness oder fehlender Transparen­z gegenüber Kunden wären wohl übertragba­r. Aus Sicht von Dimitrios Linardatos vom Lehrstuhl für Bürgerlich­es Recht, Bank- und Kapitalmar­ktrecht, Insolvenzr­echt an der Uni Mannheim ist der Zahlungsdi­ensteberei­ch allerdings europarech­tlich geregelt und stark reguliert – anders als etwa der Internetma­rkt.

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