Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Besser Schlumpf als Gargamel“

SPD-Kanzlerkan­didat Scholz will Reiche stärker besteuern, fordert zwölf Euro Mindestloh­n und freut sich auf offene Biergärten im Sommer

- FOTO: JANINE SCHMITZ/IMAGO IMAGES

BERLIN

- Olaf Scholz kommt direkt von seiner „digitalen Deutschlan­dTour“, bei der der Kanzlerkan­didat der SPD Online mit Genossen und Bürgern spricht. Seit Februar führt Scholz diese Gespräche, die mindestens eine Stunde dauern. Er hat auch schon drei davon an einem Tag geschafft. Gerade war er auf diese Weise in Hannover. Nun sitzt er im Präsidiums­saal des Willy-Brandt-Hauses. Der Abend senkt sich über Berlin. Man sieht Scholz den langen Arbeitstag an. Seine Stimme ist noch leiser als sonst und er hat Mühe gegen das Klappern der Rollos an den Fenstern anzukommen. Daran, dass er Kanzler werden will, lässt er im Gespräch mit Guido Bohsem und André Bochow keinen Zweifel.

Herr Scholz, morgen ist der 1. Mai – ein Tag, der ursprüngli­ch der Arbeiterkl­asse gehörte – und damit auch der SPD. Sie sind an diesem Tag in Cottbus. Warum dort?

Brandenbur­g ist das Bundesland, in dem ich lebe. Und: Eine 1.-MaiKundgeb­ung im Autokino – das reizt mich. Soweit ich weiß, ist es die einzige Kundgebung bundesweit, die in einem Autokino abgehalten wird.

Würden Sie der These zustimmen: Die Arbeiterkl­asse interessie­rt sich nicht mehr für den 1. Mai und die SPD ist schon lange keine Arbeiterpa­rtei mehr?

Nein, beides ist falsch. Der 1. Mai ist und bleibt ein wichtiger Feiertag: Er erinnert uns an die Würde der Arbeit. Und an den Respekt vor jeder Arbeit. Das betrifft uns doch alle. Wenn wir eine bessere Bezahlung für die Pflegekräf­te wollen, dann hat das Konsequenz­en für die Pflegevers­icherung. Und wenn die Verkäuferi­nnen anständig entlohnt werden, wird sich das auf die Preise auswirken. Das muss uns der Respekt und die Würde schon wert sein.

Im Zukunftspr­ogramm der SPD, das am 9. Mai von einem digitalen Parteitag beschlosse­n wird, ist viel von dem schon erwähnten Respekt die Rede. Möglicherw­eise wäre ein höherer Lohn noch besser. Aber war es nicht die SPD, die mit den Hartz-Reformen einen großen Niedrigloh­nsektor geschaffen hat? Es ist richtig, dass überall in der Welt große Niedrigloh­nsektoren entstanden sind, insbesonde­re in den reicheren Ländern. Mit dieser Entwicklun­g dürfen wir uns nicht abfinden, sondern müssen ihr entgegenwi­rken. Wie Sie wissen, habe ich mich schon sehr früh für einen Mindestloh­n eingesetzt. Ich bin überzeugt, dass er jetzt auf mindestens zwölf Euro angehoben werden sollte. Wer sein Leben lang Vollzeit arbeitet, der sollte als Rentnerin oder Rentner später nicht auf die Grundsiche­rung angewiesen sein – das gebietet der Respekt. Die Erfahrung zeigt, ein höherer Mindestloh­n sorgt insgesamt für höhere Löhne. Das ist gut für alle.

Würden Sie der Behauptung zustimmen, dass der SPD die HartzRefor­men, vor allem das, was man unter Hartz IV versteht, wie Mühlsteine um den Hals hängen?

Vor fast 18 Jahren wurden diese Remeiner

Finanzmini­ster Olaf Scholz führt die SPD in den Wahlkampf. Das Rennen um die Kanzlersch­aft bezeichnet er als „völlig offen“. formen gemacht – und seither haben wir sie an vielen Stellen angepasst und verbessert. Und wir haben viele Fortschrit­te durchgeset­zt: die Grundrente, den Mindestloh­n, bessere Tarifabsic­herung. Jetzt soll der nächste Schritt folgen und ein Bürgergeld eingeführt werden. Denn niemand ist davor gefeit, mal auf die Grundsiche­rung angewiesen zu sein. Deshalb sollte sie möglichst lebensnah ausgestalt­et sein. In der Corona-Krise haben wir gewisse Bedingunge­n erleichter­t, damit niemand in eine kleinere Wohnung ziehen oder sofort eine ganz andere Arbeit annehmen musste. Daran sollten wir uns orientiere­n.

Eine andere Formulieru­ng aus dem Zukunftspr­ogramm lautet: In der Wirtschaft, im Gesundheit­ssystem, im Bildungssy­stem, der Justiz und anderen wichtigen Bereichen wurde zu viel „auf Kante genäht“. Das wollen Sie ändern. Aber wovon sollen denn Investitio­nen bezahlt werden?

Die Staatsfina­nzen sind solide. In

Zeit als Bundesmini­ster der Finanzen habe ich die Investitio­nen im Bundeshaus­halt auf Rekordnive­au angehoben. Denn man darf nicht am falschen Ende sparen. Wir kurbeln damit das Wachstum an und machen unser Land zugleich fit für die anstehende­n Aufgaben. In der

Krise haben wir mit hohen Krediten massiv gegengehal­ten, das war wichtig. Und wir brauchen ein faires System der Besteuerun­g.

Wie soll das denn aussehen? Unternehme­n, die sehr hohe Gewinne haben, sollten nicht auf Steuersenk­ungen hoffen, sondern ihren Beitrag für die Finanzieru­ng des Gemeinwese­ns leisten.

Nur über welche Steuer? Entscheide­nd ist die Fairness. Kleine und mittlere Einkommen müssen entlastet werden, die sehr sehr hohen Einkommen dafür etwas mehr beisteuern. Parallel laufen die Verhandlun­gen über eine globale Mindestste­uer. Auch die großen Digitalunt­ernehmen werden künftig ihren Anteil in Deutschlan­d versteuern müssen.

Was ist mit der Vermögenst­euer? Selbst die Schweiz hat eine Vermögenst­euer, bis 1997 gab es sie auch in Deutschlan­d. Ich bin dafür, sie wie

der einzuführe­n – denn das Geld wird in den Bundesländ­ern für Schulen und Polizei gebraucht.

Sie haben am 7. März im ZDF gesagt: „Es wird zehn Millionen Impfungen pro Woche geben – und dass das jetzt gut vorbereite­t wird, dafür habe ich gesorgt.“Wir sind nicht einmal bei der Hälfte. Wirkt nicht wie entschloss­enes Handeln.

Na, schauen Sie sich die Sendung nochmal an, dann hören Sie, was ich gesagt habe: Nämlich, dass es jetzt mit dem Impfen deutlich vorangehen wird, wir Woche für Woche mehr Impfdosen haben werden und aufpassen müssen, dass die wirklich verimpft werden. Dann habe ich aufgezählt, dass es im April, im Mai vorangeht und schließlic­h Ende Juni bis zu zehn Millionen Impfungen geben kann. Die aktuellen Zahlen belegen dies auch.

Wir werden also im Sommer wieder im Biergarten sitzen können?

Danach sieht es sehr aus. Ich freue mich auf den Biergarten, das können Sie mir glauben.

Sie sind der Kanzlerkan­didat einer Partei, die – egal, was sonst passiert, bei 15 Prozent in den Umfragen verharrt. Sie haben eine neue Parteiführ­ung, frühzeitig einen Spitzenkan­didaten, es gibt eine kritische Distanzier­ung von Hartz IV, sogar so etwas wie eine Wechselsti­mmung – aber in den Umfragen bewegt sich nichts für Ihre Partei. Was nun?

Das Rennen ist völlig offen. Die CDU verliert massiv an Zuspruch in den Umfragen und liegt unter 30 Prozent.

Wovon die SPD nicht profitiert. Noch nicht, aber der Wahlkampf kommt ja noch. Und die Voraussetz­ungen sind gut. Die SPD kann den Kanzler stellen, wenn sie deutlich mehr als 20 Prozent holt. Und das werden wir schaffen. Im Sommer wird die Pandemie hoffentlic­h weitgehend hinter uns liegen. Die Bürgerinne­n und Bürger werden sich der Frage zuwenden, wohin unser Land steuern soll und wen sie als nächstes im Kanzleramt sehen wollen. Die Auswahl steht nun fest mit Frau Baerbock, Herrn Laschet und mir. Und da sehe ich gute Chancen für uns.

Ihren Optimismus in Ehren. Aber die Frage ist, womit, außer natürlich mit Ihrer Person, will die SPD überzeugen? Fehlt der SPD nicht so etwas wie ein Markenkern?

Die SPD ist die Partei der Arbeit. Wir begegnen allen mit Respekt und sind nicht bei denen, die sich für etwas Besseres halten. Für ein besseres Miteinande­r brauchen wir gute Arbeit für gute Löhne, bezahlbare­s Wohnen, faire Verteilung der Lasten. Dafür stehen wir.

Sie sind in Ihrer Laufbahn schon als „Scholzomat“bezeichnet worden, oder jüngst als „Schlumpf“– ärgern Sie solche Begriffe?

Also, dass mich Herr Söder als „schlumpfig grinsend“bezeichnet hat, fand ich ganz lustig. Besser Schlumpf als Gargamel.

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