„Warum macht der Wieland das?“
Seit 1960ern ist der Konzern nicht mehr im Tarifverbund – Nun verhandelt Geschäftsführung mit der IG Metall – Skepsis in Belegschaft
● ULM/VÖHRINGEN - Es passiert eher selten, dass Unternehmen, die nicht nach Tarif bezahlen, sich von selbst bei der Gewerkschaft melden, um über eine Rückkehr zu verhandeln. Doch genau das ist bei Wieland passiert. Über die Hintergründe gibt es mehrere Vermutungen.
Günter Frey, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Neu-Ulm/ Günzburg, staunte schon etwas, als Wieland-Personalchef Matthias Pauly das Gespräch suchte. Frey sitzt im Aufsichtsrat bei Wieland. „Es passiert nicht sehr oft, dass eine Firma an uns heran tritt und einen Tarifvertrag möchte“, sagt Frey. „Was steckt denn da dahinter?“, habe sich Frey gefragt.
Schnell sei ihm klar geworden, dass es um „Rosinenpickerei“gehe. Pauly wollte nur ein Thema (Beschäftigungssicherung) tarifvertraglich regeln, damit er das nicht mehr mit dem Betriebsrat aushandeln müsse. Zunächst habe Frey aber gesagt, er sei gar nicht zuständig. Denn in den Arbeitsverträgen, auch der Beschäftigten in Vöhringen, gebe es eine „Bezugnahmeklausel“auf das Tarifgebiet Nordwürttemberg, also den Ulmer Bezirk.
In Absprache mit Barbara Resch, bei der IG Metall Baden-Württemberg für Tarifpolitik zuständig, sei erklärt worden, dass man nur über den gesamten Tarifvertrag verhandle. Nicht über Stückwerk. Das würde vier Tarifgebiete und vier Arbeitgeberverbände betreffen, denn Wieland hat ja auch Standorte in Langenberg (Nordrhein-Westfalen), Ulm und Villingen.
Das Problem aus Sicht von Frey: Es gibt Unterschiede in den unterschiedlichen Tarifen. „Die Vöhringen Kollegen sind sehr skeptisch“, sagt Frey. Wenn die 1200 Beschäftigten in Ulm in den württembergischen Tarif überführt werden, verbessere sich vermutlich etwas in Sachen Lohn, so Frey. Aber nur für die Ulmer, nicht die Vöhringer.
Grundsätzlich ist Frey überzeugt, dass es Ziel der Unternehmensführung
ist, dass die Leute bei Wieland mittel- und langfristig weniger verdienen. „Meine momentane Überzeugung ist, dass Pauly den Leuten in die Tasche langen will.“Wenn sich diese Einschätzung als falsch herausstellen sollte, würde er sich freuen. Und sich bei Pauly entschuldigen.
Doch Frey bleibt skeptisch. Denn die Tarifverträge von Nordwürttemberg/Nordbaden definierten mit die höchsten Lohnsätze in ganz Deutschland. Die bayerischen Tarife wären unter diesem Niveau. Nachdem die Löhne der 2100 Beschäftigten in Vöhringen an Nordwürttemberg/Nordbaden orientierten, könnte ein Eintritt in den bayerischen Tarifvertrag eine Verschlechterung entstehen. Nachdem Vöhringen das größte Werk ist, könnte Wieland so unter Umständen viel Geld sparen.
Denn die Zulagen im bayerischen Tarifsystem liegen bei maximal 14 Prozent. In der an Württemberg angelehnten Wieland-Welt gingen die Zulagen jedoch bis „weit über 20 Prozent hinaus“. Einen Lohnverlust für Vöhringer dürfe es nicht geben. „Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.“Ein erstes Sondierungsgespräch der neu gebildeten Tarifkommission mit Pauly habe bereits stattgefunden.
Zudem vermutet Frey, dass Wieland durch die Zugehörigkeit zu vier verschiedenen Flächentarifen die regionale Konkurrenz unter den Werken entfachen will. Denn so seien Kostenvergleiche einfacher. Außerdem
könnte Wieland durch den Beitritt in den Tarifverband bayerische Metallindustrie jeden neu eingestellten Mitarbeiter nach dem Tarif des Freistaats bezahlen. Das bedeutet, dass es innerhalb des Vöhringer Werks zwei „Gruppen“geben wird.
Die vergangenen 30 Jahre sei die IG Metall links liegen gelassen worden. In der Firmenkultur hatte das Thema Gewerkschaft keinen Platz. Nun sei der Vorstand komplett runderneuert, die Firma habe sich zum einem „Global Player“entwickelt. In diesem Zusammenhang sei die Wertschätzung in der Belegschaft für die IG Metall wieder gestiegen, auch zu sehen daran, dass Frey mit den meisten Stimmen in den Aufsichtsrat gewählt wurde. „Dieses Wertschätzende
wie in der Vergangenheit gegenüber den langjährigen Mitarbeitern hat komplett aufgehört.“Seit 1983 kennt Frey Wieland. So viel wie in den vergangenen vier Jahren habe sich die Jahrzehnte davor nichts geändert.
„Die Leute sind verunsichert“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Helmut Heil. Mitarbeiter würden sich fragen: „Warum macht der Wieland das?“Seitdem Erwin Mayr an der Spitze ist, habe sich die Firmenkultur verändert. Mehr Skepsis sei da. Und jetzt das: „Auf den ersten Blick ist der württembergische Tarif besser als der bayerische“, sagt Heil. Da gebe es nichts wegzudiskutieren. Ein Vorbild für Vöhringen sieht Heil in Neu-Ulm: Dass es funktioniert, den württembergischen Tarif in Bayern zu zahlen, lasse sich bei der Daimler-Tochter Evobus sehen.
Personalchef Pauly betont, dass die Verhandlungen sachlich und konstruktiv verliefen. Wieland habe in der Vergangenheit die großen Krisen, etwa 2008/2009, ohne großen Personalabbau überwunden. Nicht zuletzt dank auf Tarifverträgen basierenden Beschäftigungssicherungsregeln, die Wieland nun ausweiten wolle. Derzeit habe Wieland eine Flexibilität von zehn Prozent der Arbeitszeit. Der Wunsch von Pauly wären 20 Prozent. Deswegen kam der Kontakt zur IG Metall zustande. Doch diese fordert die Tarifbindung als „Gegenforderung“.
Wieland-Mitarbeiter hätten sich in der Vergangenheit nie an Streiks beteiligt, sie seien aber den Verbänden, auch nach dem Austritt in den 1960ern, immer „freundschaftlich verbunden“gewesen. Deswegen lasse sich Entwicklung durchaus auch mit „zurück in die Zukunft“beschreiben, so Pauly. Er ergänzt: „Wir wollen, dass ein Mechanismus greift, der völlig unabhängig von einzelnen Akteuren funktioniert.“Sonderlösungen wolle Wieland nicht: Ulm ist Nordwürttemberg/Nordbaden, Vöhringen Bayern. „Uns geht es um Klarheit.“Dass die Mitarbeiter in Vöhringen nun „ganz genau hinschauen“, könne Pauly aber verstehen.
Er könne nachempfinden, dass es in der Wieland-Gruppe Verunsicherung gibt. „Es findet ein Kulturwandel statt.“Das Unternehmen werde deutlich internationaler und wachse durch Zukäufe. „Damit verschieben sich in der Gruppe die Gewichtungen.“Die Verunsicherung sei nachvollziehbar, weil sich das Unternehmen seit vier Jahren sehr dynamisch entwickle. Insbesondere die Unternehmenskultur der Mitarbeiter in Vöhringen komme mit dem Wandel emotional nicht so gut zurecht. „Menschen lieben keine Veränderungen.“Aber es gebe keinen Grund für Verunsicherung. Die Entwicklung sei zum Wohle des gesamten Unternehmens.