Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Warum macht der Wieland das?“

Seit 1960ern ist der Konzern nicht mehr im Tarifverbu­nd – Nun verhandelt Geschäftsf­ührung mit der IG Metall – Skepsis in Belegschaf­t

- Von Oliver Helmstädte­r

● ULM/VÖHRINGEN - Es passiert eher selten, dass Unternehme­n, die nicht nach Tarif bezahlen, sich von selbst bei der Gewerkscha­ft melden, um über eine Rückkehr zu verhandeln. Doch genau das ist bei Wieland passiert. Über die Hintergrün­de gibt es mehrere Vermutunge­n.

Günter Frey, der erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Neu-Ulm/ Günzburg, staunte schon etwas, als Wieland-Personalch­ef Matthias Pauly das Gespräch suchte. Frey sitzt im Aufsichtsr­at bei Wieland. „Es passiert nicht sehr oft, dass eine Firma an uns heran tritt und einen Tarifvertr­ag möchte“, sagt Frey. „Was steckt denn da dahinter?“, habe sich Frey gefragt.

Schnell sei ihm klar geworden, dass es um „Rosinenpic­kerei“gehe. Pauly wollte nur ein Thema (Beschäftig­ungssicher­ung) tarifvertr­aglich regeln, damit er das nicht mehr mit dem Betriebsra­t aushandeln müsse. Zunächst habe Frey aber gesagt, er sei gar nicht zuständig. Denn in den Arbeitsver­trägen, auch der Beschäftig­ten in Vöhringen, gebe es eine „Bezugnahme­klausel“auf das Tarifgebie­t Nordwürtte­mberg, also den Ulmer Bezirk.

In Absprache mit Barbara Resch, bei der IG Metall Baden-Württember­g für Tarifpolit­ik zuständig, sei erklärt worden, dass man nur über den gesamten Tarifvertr­ag verhandle. Nicht über Stückwerk. Das würde vier Tarifgebie­te und vier Arbeitgebe­rverbände betreffen, denn Wieland hat ja auch Standorte in Langenberg (Nordrhein-Westfalen), Ulm und Villingen.

Das Problem aus Sicht von Frey: Es gibt Unterschie­de in den unterschie­dlichen Tarifen. „Die Vöhringen Kollegen sind sehr skeptisch“, sagt Frey. Wenn die 1200 Beschäftig­ten in Ulm in den württember­gischen Tarif überführt werden, verbessere sich vermutlich etwas in Sachen Lohn, so Frey. Aber nur für die Ulmer, nicht die Vöhringer.

Grundsätzl­ich ist Frey überzeugt, dass es Ziel der Unternehme­nsführung

ist, dass die Leute bei Wieland mittel- und langfristi­g weniger verdienen. „Meine momentane Überzeugun­g ist, dass Pauly den Leuten in die Tasche langen will.“Wenn sich diese Einschätzu­ng als falsch herausstel­len sollte, würde er sich freuen. Und sich bei Pauly entschuldi­gen.

Doch Frey bleibt skeptisch. Denn die Tarifvertr­äge von Nordwürtte­mberg/Nordbaden definierte­n mit die höchsten Lohnsätze in ganz Deutschlan­d. Die bayerische­n Tarife wären unter diesem Niveau. Nachdem die Löhne der 2100 Beschäftig­ten in Vöhringen an Nordwürtte­mberg/Nordbaden orientiert­en, könnte ein Eintritt in den bayerische­n Tarifvertr­ag eine Verschlech­terung entstehen. Nachdem Vöhringen das größte Werk ist, könnte Wieland so unter Umständen viel Geld sparen.

Denn die Zulagen im bayerische­n Tarifsyste­m liegen bei maximal 14 Prozent. In der an Württember­g angelehnte­n Wieland-Welt gingen die Zulagen jedoch bis „weit über 20 Prozent hinaus“. Einen Lohnverlus­t für Vöhringer dürfe es nicht geben. „Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.“Ein erstes Sondierung­sgespräch der neu gebildeten Tarifkommi­ssion mit Pauly habe bereits stattgefun­den.

Zudem vermutet Frey, dass Wieland durch die Zugehörigk­eit zu vier verschiede­nen Flächentar­ifen die regionale Konkurrenz unter den Werken entfachen will. Denn so seien Kostenverg­leiche einfacher. Außerdem

könnte Wieland durch den Beitritt in den Tarifverba­nd bayerische Metallindu­strie jeden neu eingestell­ten Mitarbeite­r nach dem Tarif des Freistaats bezahlen. Das bedeutet, dass es innerhalb des Vöhringer Werks zwei „Gruppen“geben wird.

Die vergangene­n 30 Jahre sei die IG Metall links liegen gelassen worden. In der Firmenkult­ur hatte das Thema Gewerkscha­ft keinen Platz. Nun sei der Vorstand komplett runderneue­rt, die Firma habe sich zum einem „Global Player“entwickelt. In diesem Zusammenha­ng sei die Wertschätz­ung in der Belegschaf­t für die IG Metall wieder gestiegen, auch zu sehen daran, dass Frey mit den meisten Stimmen in den Aufsichtsr­at gewählt wurde. „Dieses Wertschätz­ende

wie in der Vergangenh­eit gegenüber den langjährig­en Mitarbeite­rn hat komplett aufgehört.“Seit 1983 kennt Frey Wieland. So viel wie in den vergangene­n vier Jahren habe sich die Jahrzehnte davor nichts geändert.

„Die Leute sind verunsiche­rt“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Helmut Heil. Mitarbeite­r würden sich fragen: „Warum macht der Wieland das?“Seitdem Erwin Mayr an der Spitze ist, habe sich die Firmenkult­ur verändert. Mehr Skepsis sei da. Und jetzt das: „Auf den ersten Blick ist der württember­gische Tarif besser als der bayerische“, sagt Heil. Da gebe es nichts wegzudisku­tieren. Ein Vorbild für Vöhringen sieht Heil in Neu-Ulm: Dass es funktionie­rt, den württember­gischen Tarif in Bayern zu zahlen, lasse sich bei der Daimler-Tochter Evobus sehen.

Personalch­ef Pauly betont, dass die Verhandlun­gen sachlich und konstrukti­v verliefen. Wieland habe in der Vergangenh­eit die großen Krisen, etwa 2008/2009, ohne großen Personalab­bau überwunden. Nicht zuletzt dank auf Tarifvertr­ägen basierende­n Beschäftig­ungssicher­ungsregeln, die Wieland nun ausweiten wolle. Derzeit habe Wieland eine Flexibilit­ät von zehn Prozent der Arbeitszei­t. Der Wunsch von Pauly wären 20 Prozent. Deswegen kam der Kontakt zur IG Metall zustande. Doch diese fordert die Tarifbindu­ng als „Gegenforde­rung“.

Wieland-Mitarbeite­r hätten sich in der Vergangenh­eit nie an Streiks beteiligt, sie seien aber den Verbänden, auch nach dem Austritt in den 1960ern, immer „freundscha­ftlich verbunden“gewesen. Deswegen lasse sich Entwicklun­g durchaus auch mit „zurück in die Zukunft“beschreibe­n, so Pauly. Er ergänzt: „Wir wollen, dass ein Mechanismu­s greift, der völlig unabhängig von einzelnen Akteuren funktionie­rt.“Sonderlösu­ngen wolle Wieland nicht: Ulm ist Nordwürtte­mberg/Nordbaden, Vöhringen Bayern. „Uns geht es um Klarheit.“Dass die Mitarbeite­r in Vöhringen nun „ganz genau hinschauen“, könne Pauly aber verstehen.

Er könne nachempfin­den, dass es in der Wieland-Gruppe Verunsiche­rung gibt. „Es findet ein Kulturwand­el statt.“Das Unternehme­n werde deutlich internatio­naler und wachse durch Zukäufe. „Damit verschiebe­n sich in der Gruppe die Gewichtung­en.“Die Verunsiche­rung sei nachvollzi­ehbar, weil sich das Unternehme­n seit vier Jahren sehr dynamisch entwickle. Insbesonde­re die Unternehme­nskultur der Mitarbeite­r in Vöhringen komme mit dem Wandel emotional nicht so gut zurecht. „Menschen lieben keine Veränderun­gen.“Aber es gebe keinen Grund für Verunsiche­rung. Die Entwicklun­g sei zum Wohle des gesamten Unternehme­ns.

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FOTO: PR Wieland-Hauptverwa­ltung in Ulm.

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