Bedrückende Erinnerungen aus dem Frauengefängnis
Mesale Tolu berichtet in der Roxy-„Lockdownbar“über ihre Haftzeit – Auch in Deutschland wachsam sein
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ULM - Die Türkei gilt für viele Menschen als beliebtes Urlaubsland und die Hauptstadt Istanbul als pulsierende Metropole. Doch die Geschichte der Neu-Ulmerin Mesale Tolu klingt, wie aus einem entsetzlichen Politthriller: Die junger Frau wurde im April 2017 von einer türkischen Anti Terror Einheit in Istanbul festgenommen. An der Lockdownbar im Roxy erzählt die Freiheitsaktivistin von der nächtlichen Razzia.
Auch wenn die Ereignisse bereits vier Jahre zurückliegen, bleiben diese vier Stunden des staatlichen Überfalls für sie noch immer dramatisch. Nicht zuletzt, weil in dieser Zeit auch ihr kleiner Sohn während der Durchsuchungsaktion in der Wohnung von den maskierten und bewaffneten Polizisten festgehalten wurde. Es folgte eine achtmonatige Untersuchungshaft in einem türkischen Frauengefängnis, in dem sie mit 18 Frauen in einem Raum eingesperrt war.
Die Justiz warf ihr vor, dass sie Mitglied in einer terroristischen Organisation gewesen sei. Grund dafür sei ihre Anwesenheit als Journalistin auf drei Veranstaltungen gewesen und dass sie sich an einer Demonstration für Frauenrechte beteiligt habe. Wie die meisten anderen Mitgefangenen sei sie aber lediglich für die demokratischen Grundrechte eingetreten, stellt Tolu klar und erinnert sich: „In der Haft bin ich aus dem Leben herausgerissen worden.“Erst nach einigen Monaten im Gefängnis habe sie von den zahlreichen Solidaritätskundgebungen erfahren, wie sie auch in Ulm stattgefunden hatten.
Politiker, Juristen und Aktivisten haben sich für die Freilassung der Journalistin eingesetzt und damit den Druck auf die Verantwortlichen in der Türkei erhöht. Im darauffolgenden Dezember wurde Tolu unter Auflagen aus der Haft entlassen. In ihrem Buch „Mein Sohn bleibt bei mir“hat die Autorin die dramatischen Ereignisse dieser Tage aufgeschrieben. Bestsellerautor und Enthüllungsjournalist Günter Wallraff habe sie dazu ermutigt, sagte Tolu, und ergänzte, dass Wallraff auch als Prozessbeobachter in der Türkei im Gerichtssaal mit dabei gewesen sei.
Zurück in ihrer deutschen Heimat hat Tolu ihre Leidenschaft zum Schreiben mit einer derzeitigen Ausbildung zur Journalistin gefestigt, wie sie erzählt. Derzeit absolviert sie bei der „Schwäbischen Zeitung“ihr Volontariat. Auch in Deutschland sieht Tolu kritische Entwicklungen für die Pressefreiheit und nennt die Angriffe auf Journalisten im Rahmen von Corona-Demonstrationen als Beispiel und mahnt: „Sich für die demokratischen Rechte einzusetzen, soll nicht nur die Aufgabe von Freiheitsaktivisten sein.“