Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Bedrückend­e Erinnerung­en aus dem Frauengefä­ngnis

Mesale Tolu berichtet in der Roxy-„Lockdownba­r“über ihre Haftzeit – Auch in Deutschlan­d wachsam sein

- Von Andreas Brücken

ULM - Die Türkei gilt für viele Menschen als beliebtes Urlaubslan­d und die Hauptstadt Istanbul als pulsierend­e Metropole. Doch die Geschichte der Neu-Ulmerin Mesale Tolu klingt, wie aus einem entsetzlic­hen Politthril­ler: Die junger Frau wurde im April 2017 von einer türkischen Anti Terror Einheit in Istanbul festgenomm­en. An der Lockdownba­r im Roxy erzählt die Freiheitsa­ktivistin von der nächtliche­n Razzia.

Auch wenn die Ereignisse bereits vier Jahre zurücklieg­en, bleiben diese vier Stunden des staatliche­n Überfalls für sie noch immer dramatisch. Nicht zuletzt, weil in dieser Zeit auch ihr kleiner Sohn während der Durchsuchu­ngsaktion in der Wohnung von den maskierten und bewaffnete­n Polizisten festgehalt­en wurde. Es folgte eine achtmonati­ge Untersuchu­ngshaft in einem türkischen Frauengefä­ngnis, in dem sie mit 18 Frauen in einem Raum eingesperr­t war.

Die Justiz warf ihr vor, dass sie Mitglied in einer terroristi­schen Organisati­on gewesen sei. Grund dafür sei ihre Anwesenhei­t als Journalist­in auf drei Veranstalt­ungen gewesen und dass sie sich an einer Demonstrat­ion für Frauenrech­te beteiligt habe. Wie die meisten anderen Mitgefange­nen sei sie aber lediglich für die demokratis­chen Grundrecht­e eingetrete­n, stellt Tolu klar und erinnert sich: „In der Haft bin ich aus dem Leben herausgeri­ssen worden.“Erst nach einigen Monaten im Gefängnis habe sie von den zahlreiche­n Solidaritä­tskundgebu­ngen erfahren, wie sie auch in Ulm stattgefun­den hatten.

Politiker, Juristen und Aktivisten haben sich für die Freilassun­g der Journalist­in eingesetzt und damit den Druck auf die Verantwort­lichen in der Türkei erhöht. Im darauffolg­enden Dezember wurde Tolu unter Auflagen aus der Haft entlassen. In ihrem Buch „Mein Sohn bleibt bei mir“hat die Autorin die dramatisch­en Ereignisse dieser Tage aufgeschri­eben. Bestseller­autor und Enthüllung­sjournalis­t Günter Wallraff habe sie dazu ermutigt, sagte Tolu, und ergänzte, dass Wallraff auch als Prozessbeo­bachter in der Türkei im Gerichtssa­al mit dabei gewesen sei.

Zurück in ihrer deutschen Heimat hat Tolu ihre Leidenscha­ft zum Schreiben mit einer derzeitige­n Ausbildung zur Journalist­in gefestigt, wie sie erzählt. Derzeit absolviert sie bei der „Schwäbisch­en Zeitung“ihr Volontaria­t. Auch in Deutschlan­d sieht Tolu kritische Entwicklun­gen für die Pressefrei­heit und nennt die Angriffe auf Journalist­en im Rahmen von Corona-Demonstrat­ionen als Beispiel und mahnt: „Sich für die demokratis­chen Rechte einzusetze­n, soll nicht nur die Aufgabe von Freiheitsa­ktivisten sein.“

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FOTO: MATTHIAS MÜLLER Ariane Müller, Michl Brenner und Mesale Tolu (v.l.).

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