Motorradfahrer zu Bewährungsstrafen verurteilt
Die zwei Männer standen nach einem folgenschweren Unfall vor Gericht – und zeigten sich reumütig
● LAUPHEIM/BIBERACH - Zwei junge Motorradfahrer haben sich im vergangenen Jahr auf der B 30 ein illegales Rennen geliefert und einen Unfall verursacht – anschließend flohen sie auf spektakuläre Weise vom Unfallort. Am Dienstag mussten sie sich vor dem Amtsgericht Biberach verantworten.
Es sind Szenen, wie man sie sonst nur aus Actionfilmen kennt: Zwei Motorradfahrer liefern sich am helllichten Tage ein Rennen – und das bei normalem Verkehr auf der B 30. Sie überholen andere Verkehrsteilnehmer mit sehr hohem Tempo, auch eine Baustelle mit einem gesperrten Fahrstreifen kann sie nicht davon abhalten. Ein paar Kilometer später passiert, was wohl passieren musste: ein Unfall. Einer der beiden Biker stößt mit einem Auto zusammen, stürzt und schlittert mit seiner Maschine 160 Meter über den Asphalt. Noch bevor ihm andere Verkehrsteilnehmer zu Hilfe eilen können, rappelt er sich hoch, springt bei seinem Freund hinten auf die BMW auf – und sie rasen davon. Die zurückgelassene Yamaha geht unterdessen in Flammen auf und brennt komplett aus. So geschehen am 9. Mai 2020.
Staatsanwältin Tanja Kraemer wirft den beiden Motorradfahrern, inzwischen 29 und 30 Jahre alt, ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und im Falle des gestürzten Bikers überdies Fahren ohne Fahrerlaubnis und ohne Versicherung vor. Nach der Anklageverlesung wird die Sitzung zunächst unterbrochen – die Staatsanwältin, die Richterin und die Anwälte der Angeklagten treffen eine Vereinbarung: Sollten die zwei Männer gestehen, bewegt sich das Strafmaß in einem Rahmen von fünf bis 16 Monaten – für den 29-Jährigen auf Bewährung, während dies im Fall des 30-jährigen Gestürzten während der Verhandlung geklärt werden muss.
Und die Geständnisse kommen: Zerknirscht sitzen die beiden Männer auf der Anklagebank, den Blick auf ihre Tische gerichtet. Äußern wollen sie sich zunächst nicht, lassen aber über ihre Anwälte erklären, dass sie die Tat vollumfänglich einräumen. Es sei „eine Ausfahrt unter Freunden“gewesen, teilt der Anwalt des 29-Jährigen mit. Als Richterin Julia Wichmann den 30Jährigen fragt, welche Folgen sein Sturz hatte, bricht es doch aus ihm heraus: „Ich wäre fast gestorben. Das war eine Katastrophe. Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat.“Seine Stimme ist brüchig, in seinen Augen stehen Tränen. Großen Streit habe es in seiner Familie deshalb gegeben, ist er doch Vater eines kleinen Kindes, das um ein Haar seinen Papa verloren hätte. Inzwischen ist ein weiteres Kind auf der Welt.
Seine Verletzungen waren nicht so harmlos, wie es zunächst schien. Tiefe Abschürfungen habe er gehabt, „teilweise fast bis auf den Knochen.“Außerdem sei das Sprunggelenk verletzt gewesen, Fußnägel wurden herausgerissen, ein paar Tage später sei Fieber hinzu gekommen. „Ich dachte, ich sterbe“, sagt der Angeklagte. Ins Krankenhaus habe er sich nicht getraut, aus Angst vor den Konsequenzen, wenn er gefasst würde.
An diesem Punkt erklärt der zuständige Polizeibeamte, wie er überhaupt auf die beiden Angeklagten kam. Nachdem sie geflüchtet waren und die Yamaha komplett verbrannt war, sah es mit Hinweisen zunächst mau aus. Ein Zeuge gab letztlich den entscheidenden Hinweis – er hatte in seinem Auto eine Kamera installiert, die die Angeklagten filmte, wie sie im Baustellenbereich mit hoher Geschwindigkeit auf dem gesperrten Fahrstreifen fuhren. Das Kennzeichen des 29-Jährigen war darauf deutlich zu sehen.
Auf die Vorladung der Polizei reagierte er allerdings nicht, weshalb die Beamten eine Verkehrskontrolle vor seiner Arbeitsstelle einrichteten – und ihn so erwischten. Die Auswertung des Handys führte die Ermittler schließlich zum zweiten Motorradfahrer, dem gestürzten 30-Jährigen. Er hatte seinem Kumpel Fotos von seinen Verletzungen geschickt, die ebenfalls Teil der Beweisaufnahme waren. „Das sieht echt böse aus“, kommentiert die Staatsanwältin die Bilder.
Nach Darstellung des Sachverständigen erfolgte der Unfall auf der linken Spur. Dort habe ein VW Caddy ein anderes Fahrzeug überholt. Als der Fahrer die Motorräder heranfliegen sah, wollte er wohl nach rechts wechseln, um sie vorbeizulassen – aber der 29Jährige war bereits neben ihm und wollte rechts überholen. Er wich zurück auf die linke Spur und erwischte dabei das Vorderrad seines Freundes, der links überholen wollte und daraufhin stürzte.
„Die beiden haben das Auto quasi in die Zange genommen“, erklärt ein anderer Zeuge. Er fuhr auf der linken Spur direkt hinter den Angeklagten, als der Unfall passierte. „Ich hatte Angst, den gestürzten Motorradfahrer zu überfahren“, schildert er den Unfallhergang. Wie ein Film habe sich der Vorfall eingeprägt. „Fast noch während des Sturzes sprang der Mann schon auf und schwang sich auf das andere Motorrad“, sagt der Zeuge, er wirkt immer noch ein wenig ungläubig.
Der Fahrer des VW Caddy blieb unverletzt; die Schäden an seinem Auto sind auf den Bildern, die der Sachverständige zeigt, deutlich zu sehen. „Zum Zeitpunkt des Unfalls hatten die Motorräder eine Geschwindigkeit etwa zwischen 120 und 136 Kilometer pro Stunde“, erklärt der Experte. Zuvor, als die Angeklagten im Baustellenbereich auf dem gesperrten Fahrstreifen fuhren, seien es zwischen 129 und 147 km/h gewesen – bei erlaubten 80. „Der Unfallhergang, wie die Zeugen ihn schildern, ist vollumfänglich nachvollziehbar“, lautet das Ergebnis der Untersuchung.
Das Urteil fällt überraschend milde aus: Beide Angeklagten erhalten eine Bewährungsstrafe. Der 29-Jährige wird wegen des verbotenen Rennens und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, außerdem muss er 1500 Euro an „Ärzte ohne Grenzen“zahlen. Sein Führerschein bleibt eingezogen und für eine erneute Führerscheinprüfung bleibt er drei weitere Monate gesperrt. Zugute kommt ihm, dass er ein Geständnis abgelegt hatte und zum Tatzeitpunkt nur eine Vorstrafe hatte. Allerdings kommt zu der überhöhten Geschwindigkeit und der Flucht noch das falsche Überholen hinzu, ohne das der Unfall so nicht passiert wäre. Der Verteidiger hatte in seinem Plädoyer eine Sperre für eine erneute Führerscheinprüfung für unnötig befunden, die Richterin sieht das jedoch anders. „Die Schadenshöhe und die verschiedenen Anklagepunkte führen zu einer Sperre, die nicht unter einem Jahr liegen kann“, sagt sie. Da der Unfall bereits ein Jahr her sei, liege die Sperre nun bei lediglich drei Monaten.
Der 30-Jährige wird zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt ist. Außerdem muss er 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten und bekommt einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt. „Als ich die Akten das erste Mal gesehen habe, dachte ich, eine Bewährung käme nicht infrage“, führt die Richterin aus. 13 Vorstrafen, fast alle beinhalten auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis, weist der Angeklagte im Bundeszentralregister auf. „Aber dann habe ich mir Ihren Fall genauer angeschaut“, sagt die Richterin und schaut den 30-Jährigen direkt an. Ihr sei aufgefallen, dass sich trotz einer schwierigen Kindheit und einiger Gesetzesverstöße im Jugendalter vier Jahre vor dem Unfall etwas geändert habe – denn so lange lebte der Angeklagte ohne weitere Vergehen. „Vielleicht war es die Hochzeit oder die Geburt des ersten Kindes, ich weiß es nicht“, sagt sie. Aber die Sozialprognose sei gut, sogar eine Umschulung habe der 30-Jährige angefangen, die er nun auch beenden kann. „Ich denke, Sie haben daraus gelernt und die richtigen Schlüsse gezogen: Nämlich, dass Sie verdammtes Glück haben, überhaupt noch hier zu sein“, sagt Richterin Wichmann. „Das ist ihre allerletzte Chance auf ein straffreies Leben“, mahnt sie.Der 30-Jährige erwidert den Blick der Richterin zunächst nicht, er schaut weiter auf seinen Tisch. Dann aber hebt er den Blick doch und sagt: „Es tut mir sehr, sehr leid. Ich kann es mir selbst nicht erklären. Das war eine Lektion für mein ganzes Leben.“