Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Patentlösu­ng gesucht

USA fordern, Schutz für Corona-Impfstoffe aufzuheben – Debatte um mögliche Effekte

- Von Wolfgang Mulke und NBR

BERLIN - US-Präsident Joe Biden hat angekündig­t, den Patentschu­tz für Corona-Impfstoffe aufzuheben. Ob damit aber in aller Welt wirklich schneller geimpft werden kann, ist ungewiss. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum will Biden den Patentschu­tz ● aufheben?

Er unterstütz­t einen Vorstoß der Welthandel­sorganisat­ion (WTO), die als Folge der eskalieren­den Corona-Krise in Indien sowie Südamerika die Freigabe fordert. Hinzu kommt, dass zahlreiche demokratis­che USPolitike­r Biden zu einer Ausnahme gedrängt hatten. Republikan­er hingegen sprechen von einer drohenden Enteignung der Pharmaunte­rnehmen. Weltweit gibt es ein großes Ungleichge­wicht bei der Verteilung der Impfstoffe. In vielen ärmeren Ländern kommen wenige oder gar keine Lieferunge­n an. Ihnen fehlt auch das Geld für den Ankauf der Vakzine. 100 Länder, aber auch Nichtregie­rungsorgan­isationen wie Ärzte ohne Grenzen fordern deshalb schon länger die Aufhebung des Patentschu­tzes. Dahinter steckt die Hoffnung, dass weltweit mehr Produktion­sanlagen entstehen und die dringend benötigten Vakzine preisgünst­ig herstellen.

Darf der Patentschu­tz von Impfstoffe­n ● aufgehoben werden?

der Pharmazeut­ischen Industrie (BPI), geht davon aus, dass es mindestens zwölf Monate brauche, bis ein Produzent sicheren Impfstoff zur Verfügung stellen könnte.

Was sind laut Verbänden die Risiken? ●

Steutel warnt davor, dass eine Patentaufh­ebung von Investoren als Aufforderu­ng verstanden werden könnte, künftig kein Geld mehr in Seuchenbek­ämpfung zu stecken. Ohne Unternehme­n, die bei der Forschung Risiken eingehen – mit der Aussicht auf Patentschu­tz –, hätte es laut vfa weder so schnell Impfstoffe gegeben, noch würden die Unternehme­n in der Lage sein, Milliarden Dosen zu liefern. Joachimsen spricht von falschen Schuldzuwe­isungen: „Nicht Patente oder Schutzrech­te, sondern fehlende Ausgangsst­offe und Lieferengp­ässe für benötigte Technologi­en stehen einer Ausweitung der bereits extrem angekurbel­ten Produktion aktuell im Wege“, sagt er.

Würde die Aufhebung des Patentschu­tzes ● ausreichen, um weltweit schneller zu impfen?

„Wichtig wäre in einem nächsten Schritt auch ein Technologi­etransfer, damit in möglichst vielen Ländern Produktion­sstätten um- und ausgebaut werden können“, sagt Elisabeth Massute von „Ärzte ohne Grenzen“am Donnerstag der „Schwäbisch­en Zeitung“. Geeignete Hersteller sollten das nötige Wissen direkt übermittel­t bekommen. Möglich sei auch ein Modell, bei dem Pharmafirm­en wie Biontech oder Moderna ihre Erkenntnis­se der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO zur Verfügung stellen, die dann wiederum Experten vor Ort einsetzt, um dort die Produktion vom Impfstoffe­n anzuleiten. Massute schätzt: „Innerhalb von sechs Monaten wäre das zu schaffen.“Ein Problem mit dem Eingriff ins Patentrech­t hat man bei „Ärzte ohne Grenzen“nicht. „Die Forschung an den Impfstoffe­n ist mit großen Mengen an öffentlich­en Geldern gefördert worden“, betont Massute. Außerdem bedienten sich die Unternehme­n an Grundlagen­forschung, die ebenfalls zum großen Teil vom Staat finanziert werde.

Können die Unternehme­n angesichts ● der Krise nicht locker auf einen Teil der Gewinne verzichten?

Finanziell dürften die Unternehme­n die geringer ausfallend­en Gewinne wohl verkraften. Sie plagt eher eine andere Sorge. Die neuartigen mRNA-Impfstoffe von Biontech basieren auf Grundlagen­patenten, die sie dann auch freigeben müssten. Mit dem Wissen um diese Basis können auch ganz andere Therapien entwickelt werden, zum Beispiel im Kampf gegen Krebs. Dieses Knowhow wollen die innovative­n Unternehme­n daher nicht aus der Hand geben. „Wer an dieser Stelle mit am Patentschu­tz rüttelt, spielt also mit dem Feuer“, warnt Reto Hilty, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Der schützende Stich: In vielen ärmeren Staaten sind Impfstoffe kaum erhältlich.

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