Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Raum für Interpreta­tionen

Architekt Daniel Libeskind wird 75 – Sein bekanntest­er Bau ist Berlins Jüdisches Museum

- Von Leticia Witte

● r lebte als Kind in Sozialwohn­ungen und entwarf später als Erwachsene­r berühmte Gebäude: Daniel Libeskind. Der Ruhm des Stararchit­ekten gründet auf dem spektakulä­ren Entwurf des Jüdischen Museums Berlin. Doch eigentlich wollte er als Musiker arbeiten, schon als Junge spielte er Akkordeon. Vor 75 Jahren, am 12. Mai 1946, wurde Libeskind im polnischen Lodz als Kind von Schoah-Überlebend­en geboren.

Seine Biografie verlief nicht unbedingt geradlinig. 1957 wanderte Libeskind im Alter von elf Jahren mit seiner Familie nach Israel aus. „Israel war eine fantastisc­he Erfahrung, dort habe ich zum ersten Mal gesehen, wie schön die jüdische Welt ist – in Tel Aviv konnten Juden alles sein, sogar Polizisten oder Prostituie­rte, das war verrückt“, sagte er in einem Interview der „Zeit“zu seinem 70. Geburtstag.

„Der Abschied aus Polen war dramatisch. Wir kamen mit fast nichts nach Israel. Ich hatte ein Akkordeon, ein Instrument, das man üblicherwe­ise mit armen Leuten assoziiert, aber auch ein Instrument wie ein Orchester“, erinnerte er sich. Und: Er wäre nie Architekt geworden, wenn er es nicht gespielt hätte, denn das Akkordeon habe seine Leidenscha­ft für Kunst geweckt.

Nur drei Jahre später folgte der nächste große Schritt: 1960 machte sich die Familie auf den Weg in die Vereinigte­n Staaten, die für ihn wie ein zweites gelobtes Land gewesen seien, sagte Libeskind in dem „Zeit“Interview.

EAuch wenn er und seine Eltern kaum Englisch gesprochen und zunächst niemanden in New York gekannt hätten, sei man ihnen freundlich begegnet. Als Ausländer hätten sie sich nicht gefühlt.

Libeskind nahm die US-amerikanis­che Staatsbürg­erschaft an. In Israel und den Vereinigte­n Staaten studierte er Musik, arbeitete auch als profession­eller Musiker, bevor er sich in den USA und später in England der Architektu­r zuwandte. Er lernte Zeichnen, sein erster Entwurf mitten im Kalten Krieg sei ein Bunker für den Atomkrieg gewesen: „ein dunkles, apokalypti­sches Projekt“.

Bis 1985 war er Dekan des Instituts für Architektu­r an der Cranbrook Academy of Art in Bloomfield Hills (Michigan), von 1986 bis 1989 leitete Libeskind „Architectu­re Intermundi­um“, ein Institut für Architektu­r und Stadtplanu­ng in Mailand.

Als er 1989 in dem Wettbewerb für den „Erweiterun­gsbau des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum“den Zuschlag bekam, zog er mit seiner Familie in die deutsche Hauptstadt. Der Entwurf trug den Titel „Between the Lines“(Zwischen den Linien), das Gebäude wurde 2001 eröffnet.

Der Aufbau des markanten Zickzack-Baus aus Titanzink erschließt sich nicht auf den ersten Blick, wenn man im Inneren steht. Hinein gelangt man durch eine unterirdis­che Verbindung vom Eingang im barocken Altbau. Libeskind ist ein Meister darin, komplexe Ideen in Bauwerke zu verwandeln, die Geschichte und Geschichte­n verkörpern. „Das Gebäude lässt viele Interpreta­tionen zu: Manche erinnert es an einen zerbrochen­en Davidstern, andere an einen Blitz; bei vielen hinterläss­t es ein Gefühl der Verunsiche­rung oder Desorienti­erung“, heißt es dazu vom Jüdischen Museum. Libeskind wolle mit dem Entwurf eine deutsch-jüdische Geschichte erzählen. 1999 bekam er dafür den Deutschen Architektu­rpreis.

Libeskind erhielt Ehrendokto­rwürden, war 2009 mit anderen Künstlern zum Austausch bei Papst Benedikt XVI. und wurde mit zahlreiche­n Preisen geehrt, darunter 2010 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille: Er habe mit seinen Schöpfunge­n neue Maßstäbe für die Wahrnehmun­g jüdischer Geschichte gesetzt, hieß es zur Begründung.

Daniel Libeskind entwarf unter anderem auch das Felix-NussbaumHa­us in Osnabrück, das Militärhis­torische Museum in Dresden, das Dänische Jüdische Museum in Kopenhagen und das Imperial War Museum North in Manchester. Seit 2003 ist Libeskind mit seinem Büro wieder in New York – er hatte den Zuschlag erhalten für eine Beteiligun­g an der Neugestalt­ung des Geländes des World Trade Centers mit Ground Zero.

Die Musik hat ihn in all den Jahren offenbar nicht losgelasse­n. Zu seinem 70. Geburtstag sagte er: „Ein Architekt ist wie ein Komponist: Er muss Raum lassen für Interpreta­tionen seiner Ideen und sollte nur die wichtigste­n Vorgaben machen.“(KNA)

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FOTO: DIETMAR GUST/EPD Blick auf das Jüdische Museum in Berlin-Kreuzberg nach Entwürfen des Architekte­n Daniel Libeskind.
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FOTO: WALTER BIERI Der New Yorker Architekt Daniel Libeskind wird 75 Jahre alt.

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