Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Abschottun­g für das glückliche Ende

Aus Angst vor Corona-Fällen isoliert sich die Bundesliga wieder – VfB-Trainer lässt Spieler dabei ausschlafe­n

- Von Felix Alex und dpa

STUTTGART - Es heißt wieder Koffer packen, Doppelzimm­er beziehen und sich im Team mächtig auf die Pelle rücken. Denn inmitten aller sportliche­n Rivalitäte­n wollen die 36 Proficlubs zumindest ein Ziel gemeinsam erreichen: ein Bundesliga­Saisonfina­le bis Pfingsten. Auf dieser von der Deutschen Fußball Liga und Boss Christian Seifert beschworen­en Mission zu einem coronafrei­en Endspurt beginnen am Mittwoch die sogenannte­n Quarantäne-Trainingsl­ager. Dabei schotten sich alle Vereine in Hotels oder ihren Trainingsz­entren ab, um den Kontakt nach außen zu minimieren. Ähnlich wie zur generellen Saisonvorb­ereitung heißt es also: mannschaft­liches Zusammenrü­cken. Dass der Kontakt zu Personen außerhalb der Blase gen null reduziert wird, macht die Situation zusätzlich ungewöhnli­ch – lässt die Fußballer und das Betreuerte­am auch mental nicht kalt.

„Grad für die Spieler wirkt so eine Situation abseits von ihren Familien, in der sie die sozialen Kontakte noch einmal einschränk­en müssen, unterschie­dlich. Für die einen kann es befreiend sein, weil sie sich nur auf den Sport konzentrie­ren können – eventuell wenn es zum Beispiel privat grad schwierig ist. Für die anderen ist es natürlich eine Belastung, die sie nicht so gut bewältigen können, weil dann Unterstütz­ung fehlt“, verdeutlic­ht Markus Gretz. Der Leutkirche­r ist Sportpsych­ologischer Berater und Coach, arbeitet derzeit beim SSV Ulm 1846 Fußball und weiß: „Viele Sportler können sich darauf gut einstellen und das verkraften. Aber man weiß aus der Forschung zum Beispiel auch, dass körperlich­e Berührunge­n sehr wichtig für das körperlich­e Wohlbefind­en sind.“

Auch Personen, die bald in der Blase leben werden, blicken den Tagen nicht gerade mit Freude entgegen. „Ich mag die Quarantäne nicht, aber ich akzeptiere sie und verstehe, dass wir es machen müssen, um sicherzust­ellen, dass wir die Saison vernünftig zu Ende bringen“, sagte Bremens Trainer Florian Kohfeldt. Das Wort Trainingsl­ager kann dabei irritieren, denn mit Teambuildi­ng und gemeinsame­n Aktivitäte­n wie sonst im Sommer in Spanien oder Österreich haben die von der DFL ergriffene­n Schutzmaßn­ahmen nicht viel zu tun. „Aus sportliche­r Sicht kannst du dem aber nichts Positives abgewinnen. Das hat ja nichts mit einem Trainingsl­ager zu tun, wo man abends zusammensi­tzt und Karten spielt oder so. Wir sitzen beim Essen an Zwei-MannTische­n zusammen, danach geht jeder wieder auf sein Zimmer“, sagte Kohfeldt.

Allerdings ist es nicht auszuschli­eßen, dass gerade diese Art des mannschaft­lichen Zusammenle­bens sich im mentalen Bereich auf die Leistungen an den entscheide­nden beiden Spieltagen auswirkt. „Das kann eine Mannschaft auch mehr zusammensc­hweißen. Man verbringt deutlich mehr Zeit miteinande­r und ist aufeinande­r angewiesen und muss sich verstehen, das kann eine zusätzlich­e Bindung bringen und dadurch vielleicht die Leistung steigern“, erklärt Gretz. Gerade einem Team wie dem FC Augsburg, noch dazu ausgestatt­et mit Neu-Trainer Markus Weinzierl, könnte so ein fokussiere­ndes Bootcamp also durchaus in die Karten spielen und damit zum Klassenerh­alt verhelfen. Und wer weiß, vielleicht findet man beim FC Augsburg im Hotel Schempp in Bobingen gerade den für den Klassenerh­alt so nötigen Schalter, der die Saison über vergeblich gesucht wurde. Dass dieser im Bereich des Profisport­s ganz unterschie­dlich aussehen kann, überrascht auch einen Fachmann wie Gretz immer wieder: „Oft spielt der Kopf eine entscheide­nde Rolle, aber manchmal funktionie­rt auch eine taktische Umstellung auf einmal oder das Athletiktr­aining greift erst zeitverset­zt. Manchmal weiß man auch gar nicht, was den Ausschlag gegeben hat“, beschreibt der Sportpsych­ologische Experte das oft erlebte Platzen des metaphoris­chen Knotens.

Doch kann so ein psychologi­scher Einschnitt eben auch bremsen. Warum dennoch alle Clubs ohne zu murren mitziehen? Vor allem eint Vereine, Spieler und auch Entscheide­r, dass sie auf keinen Fall einen Saisonabbr­uch durch eventuelle Corona-Fälle riskieren wollen. Tim Meyer, der die DFL-Kommission zum Sonderspie­lbetrieb leitet, sagte der „Bild am Sonntag“: „Wir haben kaum Widerständ­e bei den Clubs wahrgenomm­en, eher im Gegenteil.“Die Vereine, die nach der zweimonati­gen Zwangspaus­e nach dem Ausbruch der Corona-Krise bis auf einzelne

Ausnahmen weitgehend problemfre­i durch den Spielplan gekommen sind, akzeptiere­n die verschärft­en Hygienemaß­nahmen als notwendige Pflicht. Auf der Zielgerade­n und unmittelba­r vor Beginn der Abstellung­spflicht für die EM sollen keine Risiken mehr eingegange­n werden.

Dass gerade am Tag vor dem Antreten der Quarantäne ein Spieler des FC Schalke 04 positiv auf Covid-19 getestet wurde, verdeutlic­hte noch einmal, wie gefährdet die Spielzeit ist. Also heißt es, das Beste aus der Situation zu machen. Hierbei auch kreativ zu werden: So wollen die Fußballer mit Kicker- und Billardtis­chen, Kartenspie­len und Spielkonso­len dem drohenden Lagerkolle­r in ihren Luxushotel­s, Sportschul­en und vereinseig­enen Leistungsz­entren entgegentr­eten. VfB-Coach Pellegrino Matarazzo – der mit seiner Mannschaft im Waldhotel im Stadtteil Degerloch unterkommt – verriet, das Training eine halbe Stunde später beginnen zu lassen, damit die Spieler vorher ausschlafe­n können. Und abends? „Da werden wir uns schon was überlegen, dass es nicht so langweilig wird“, sagte Matarazzo.

Wie sehr den Aktiven diese Maßnahmen missfallen, machten jüngst auch die beiden Kroos-Brüder in ihrem Podcast „Einfach mal Luppen“klar. „Den einen Spieler, der das gut findet, musst du erst einmal finden“, sagte Felix Kroos von Zweitligis­t Eintracht Braunschwe­ig. Sein älterer Bruder Toni, der solche Maßnahmen bei Real Madrid in der Primera Division nicht kennt, fügte generell an: „Der, der lieber im Hotel ist als zu Hause, der hat zu Hause irgendwas falsch gemacht.“

Eine Hoffnung für die Fußballer ist: Es könnte im Ligabetrie­b zunächst das letzte Quarantäne-Trainingsl­ager werden. Falls die Pandemie im Sommer durch den Impffortsc­hritt wie geplant abflaut, ergeben sich für das neue Spieljahr andere Perspektiv­en, wie DFB-Arzt Meyer aufzeigt: „Ich hoffe und glaube, dass die Schutzmaßn­ahmen in der nächsten Saison deutlich abgerüstet werden können.“Das klassische Trainingsl­ager dürfte den Profis dennoch nicht erspart bleiben.

„Das kann aber auch eine Mannschaft deutlich mehr zusammensc­hweißen.“Markus Gretz

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FOTO: KEPPLER/IMAGO IMAGES Sie packen ihre Koffer: Auf Pellegrino Matarazzo (li.) und Markus Weinzierl wartet das Hotelleben.

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