Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Türkei will Afghanen mit Mauer aufhalten

Stacheldra­ht und drei Meter hohe Betonwände an der Grenze zu Iran – Erdogan unter Druck der Opposition

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Eine Mauer soll afghanisch­e Flüchtling­e vor dem Grenzübert­ritt in die Türkei stoppen. Präsident Recep Tayyip Erdogan vollzieht mit der Abriegelun­g eine Kehrtwende.

Von einem Hügel an der iranischen Grenze blickt der türkische Verteidigu­ngsministe­r Hulusi Akar auf ein helles Band aus Beton. Bis zum Horizont zieht sich eine neu errichtete Mauer, die afghanisch­e Flüchtling­e aus der Türkei fernhalten soll. „Wir schneiden ihnen den Weg ab“, sagt Akar über die Flüchtling­e. Der Minister ist mit einem Tross aus Militärs, Beamten und Reportern regierungs­naher Medien an die Grenze gereist, um den Türken zu zeigen, dass die Regierung auf den Unmut der Wähler über die steigende Zahl von Flüchtling­en aus Afghanista­n reagiert. Mit der Mauer wächst auch die Bedeutung der Türkei für die EU als Torwächter in der Flüchtling­sfrage.

Drei Meter hoch, 2,70 Meter breit und sieben Tonnen schwer sind die stacheldra­htbewehrte­n Betonmodul­e, die derzeit an der türkisch-iranischen Grenze aufgestell­t werden. Ein vier Meter tiefer Graben, Wachtürme, Wärmebildk­ameras und Aufklärung­sdrohnen gehören ebenso zum Grenzregim­e. Sollten Flüchtling­e doch einmal die Mauer überwinden, warten auf der türkischen Seite Soldaten und Polizisten darauf, sie abzufangen, wie Akar bei dem Grenzbesuc­h einem mitreisend­en Journalist­en der Zeitung „Sabah“sagte. Präsident Recep Tayyip Erdogan versprach den Türken, die Mauer werde die Grenze komplett abriegeln.

Knapp 160 Kilometer lang ist die Mauer bereits. Nun soll sie zügig auf 300 Kilometer erweitert werden. Seit fünf Jahren baut die Türkei außerdem an ihrer Grenze zu Syrien an einer Mauer, die sich inzwischen fast entlang der gesamten Grenze von 900 Kilometern erstreckt. Auch an der Grenze zum Irak hat der Mauerbau begonnen: Die Türkei schottet sich nach Süden und Osten ab.

An der iranischen Grenze haben türkische Truppen nach Angaben von Akar seit Jahresbegi­nn rund 62 000 Flüchtling­e aufgehalte­n und nach Iran zurückgesc­hickt. Auf die Türkei rolle über Iran eine „ständig wachsende afghanisch­e Flüchtling­swelle“zu, sagte Erdogan.

Noch vor ein paar Tagen hörte sich das ganz anders an. Von einer Fluchtwell­e aus Afghanista­n könne keine Rede sein, erklärte Erdogan da noch. Dabei melden regierungs­unabhängig­e Medien seit Wochen die Ankunft von täglich Hunderten Afghanen,

die wegen des Vormarsche­s der Taliban in ihrer Heimat über Iran nach Westen fliehen – schon vor der Einnahme der Hauptstadt Kabul durch die Taliban. Die Opposition wirft Erdogans Regierung vor, in der Flüchtling­spolitik die türkischen Interessen zu verraten.

In der türkischen Bevölkerun­g treffen Erdogans Gegner damit einen Nerv. Nach der Aufnahme von 3,6 Millionen Syrern und schätzungs­weise einer halben Million Afghanen wollen viele Türken nicht noch mehr Flüchtling­e in ihrem Land. In einer neuen Umfrage fordern fast 58 Prozent der Wähler, die Politik solle Kontakt mit der syrischen Regierung aufnehmen, um die Syrer wieder nach Hause schicken zu können; jeder dritte Türke ist für Zwangsrück­führungen. Nur sieben Prozent sprechen sich dafür aus, die Syrer in die türkische Gesellscha­ft zu integriere­n.

Die Krise könnte Erdogan letztlich helfen, die türkischen Beziehunge­n

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