Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Wir dürfen die Pole-Position nicht verlieren“

Automobilv­erbands-Präsidenti­n Hildegard Müller über Ladesäulen­mangel, Konkurrent Tesla und den Wahlkampf

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BERLIN - Dass das Gespräch mit der Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA) per Videostrea­m und nicht persönlich stattfinde­t, hat mit den vielen Reisen der Managerin zu tun. Zuletzt war sie in Baden-Württember­g, um mit Vertretern der Zulieferer­industrie zu sprechen, häufig ist sie in der VDAZentral­e in Berlin, nun ist sie bei der Familie in Düsseldorf. Müller ist viel auf Achse, meist mit ihrem Hybridauto. Ob die Zukunft des Autos rein elektrisch ist und ob die deutschen Hersteller mit Produzente­n wie Tesla mithalten können, darüber haben Thorsten Knuf und Dorothee Torebko mit Hildegard Müller gesprochen.

Frau Müller, können Sie sich noch an Ihr erstes Auto erinnern?

Na klar! Als Studentin in Düsseldorf hatte ich einen Golf. Als der leider nicht mehr fuhr, haben mir meine Eltern Anfang der Neunziger aus dem Urlaub in den damals „neuen Ländern“einen Wartburg Deluxe mitgebrach­t. Das war im Westen ein aufsehener­regendes Auto. Mit VWMotor, Katalysato­r, Schiebedac­h – was wollte man als Studentin mehr? Heute fahre ich Hybrid, privat wie beruflich. Die nächste Anschaffun­g wird vermutlich ein reines E-Auto sein.

Schaut man anderthalb Monate vor der Bundestags­wahl auf Deutschlan­d, so drängt sich der Eindruck auf, dass das Land nicht in einem flotten E-Auto, sondern im Schlafwage­n unterwegs ist. Der Industriev­erband BDI hat den Parteien gerade vorgeworfe­n, sich im Wahlkampf zu viel mit Nebensächl­ichkeiten zu beschäftig­en. Teilen Sie die Kritik?

Ja. Unser Land steht vor großen Herausford­erungen. Nehmen Sie unsere Branche: Da geht es ja nicht nur darum, dass wir klimafreun­dliche Elektroaut­os bauen. Es muss jetzt auch eine flächendec­kende Ladeinfras­truktur entstehen und die Transforma­tion bei Zulieferer­n und Beschäftig­ten muss ebenfalls gelingen. Internatio­nal gibt es zunehmend Spannungen, die Politik müsste sich eigentlich wieder verstärkt Gedanken über Handelsabk­ommen machen. Wir brauchen mehr Engagement bei der Digitalisi­erung und der Verbesseru­ng unserer internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit. Ich bin jedenfalls dafür, dass eine Gesellscha­ft im Wahlkampf über diese wichtigen Sachfragen diskutiert und nicht über Lebensläuf­e, abgeschrie­bene Sätze in Büchern und dergleiche­n.

Die Grünen können an der nächsten Bundesregi­erung beteiligt sein. Haben Sie Angst vor einem grünen Bundesverk­ehrsminist­er? Nein. Jeder, der Verkehrsmi­nister ist, muss sich der gleichen Transforma­tionsaufga­be und dem umfassende­n Umbau der Mobilität in Richtung Klimaneutr­alität stellen. Als Automobili­ndustrie sind wir bereits Europameis­ter bei E-Mobilität, im nächsten Jahr vermutlich sogar Weltmeiste­r. Jetzt muss die Infrastruk­tur geschaffen werden, damit all die neuen E-Autos überall und mit 100 Prozent Ökostrom geladen werden können.

Sind die Deutschen bereit für die Transforma­tion, den grundlegen­den Umbau von Industrie und Gesellscha­ft?

Mein Eindruck ist, dass es ein hohes Problembew­usstsein gibt. Bei der Klimaneutr­alität geht es nicht um das „Ob“, sondern nur noch um das

„Wie“. Deutschlan­d war bisher als Industriel­and sehr erfolgreic­h. Es gibt keine Garantie, dass das immer so weitergeht, weil sich sehr viel verändern wird. Die Umsetzung der Pariser Klimaziele wird Konsequenz­en für nahezu jeden Lebensbere­ich haben und sehr viel Geld kosten. Das scheint mir noch nicht bei allen angekommen. Nicht zuletzt geht es daher um den sozialen Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft in diesem großen Wandel.

Bei Pkw ist der Trend tatsächlic­h eindeutig zu Elektromob­ilität. Wenn genügend Ökostrom vorhanden ist, ist die Elektromob­ilität für den Klimaschut­z perfekt. Bei Nutzfahrze­ugen, Schiffen oder Flugzeugen sieht das bisher anders aus. Und selbst wenn sich eines Tages der Elektroant­rieb bei neuen Pkw klar durchgeset­zt haben wird, wird es immer noch Verbrenner geben. Wir haben aktuell 1,5 Milliarden Fahrzeuge weltweit – auch die müssen zur C02-Einsparung beitragen. Deshalb müssen wir an Wasserstof­f oder E-Fuels arbeiten.

Die Autokonzer­ne richten ihre Planungen für die Transforma­tion ungefähr auf das Jahr 2030 aus. Die EU-Kommission schlägt für 2035 einen CO2-Flottengre­nzwert von null vor. Könnte die Branche mit einem gesetzlich­en Ausstiegsd­atum für den Verbrenner leben?

Solch ein Datum ist nicht hilfreich. Das ist das Gegenteil von technologi­eoffen. Und es beeinträch­tigt die Wahlfreihe­it der Verbrauche­r. Denn der Erfolg der E-Mobilität hängt nicht allein von den Autoherste­llern ab. Die Kunden werden nur im großen Stil E-Autos kaufen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie ihr Fahrzeug jederzeit und überall laden können. Da hakt es im Moment, und das muss angegangen werden.

Tesla will noch in diesem Jahr sein Werk in Grünheide bei Berlin eröffnen. Bauen die deutschen Hersteller so gute Autos wie Elon Musk?

Natürlich. In Deutschlan­d werden die besten Autos der Welt gebaut. Wenn Tesla sich hier engagiert, ist das doch ein Kompliment für uns. Und auch ein Ansporn, vorne zu bleiben. In den kommenden Jahren investiere­n die deutschen Unternehme­n übrigens über 150 Milliarden in die Entwicklun­g und die Digitalisi­erung. Genau so viel, wie der der Bund in dieser Zeit für Bildung, Forschung und die Raumfahrtp­rogramme ausgibt.

Tesla baut die nötigen Ladepunkte kurzerhand selbst. Sollten das auch die deutschen Hersteller tun? Zum Teil tun sie das schon, aber wir können das nicht flächendec­kend. Es gibt mit Ionity zum Beispiel ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen für Schnelllad­esäulen an Autobahnen. Zugleich bauen wir 15 000 Ladepunkte an unseren Standorten. Jetzt ist wichtig, dass wir ein Netz aufbauen, das für alle kompatibel ist. Ladesäulen müssen von allen angefahren und genutzt werden können. Diese offene Infrastruk­tur für alle zu schaffen, bleibt Aufgabe des Staates.

Deutschlan­d hat als erstes Land ein Gesetz zum autonomen Fahren. Das Gesetz ist vor allem für den ÖPNV gedacht. Ist es zu vorsichtig?

Es ist gut, dass das Gesetz in dieser Legislatur­periode verabschie­det wurde. Wir haben das weltweit erste Gesetz, was die Erprobung von autonomem Fahren möglich macht, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir werden viel lernen. Die nächste Bundesregi­erung wird sich auch wieder mit diesem Thema befassen. Wir dürfen die deutsche Pole-Position jetzt nicht verspielen.

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FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP Hildegard Müller, Präsidenti­n des VDA, fährt Hybrid, will aber bald auf ein reines E-Auto umsteigen.

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