Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die quälende Frage nach dem Warum

In Trier beginnt der Prozess um die Amokfahrt mit fünf Todesopfer­n vom vergangene­n Dezember

- Von Birgit Reichert

TRIER (dpa) - Fünf Menschen hatten keine Chance, als der Amokfahrer sie in der Fußgängerz­one erfasste und tötete. Gezielt, wahllos und mit hohem Tempo steuerte er Passanten in der belebten Einkaufsst­raße in Trier mit seinem PS-starken Sportgelän­dewagen an. In der Absicht, „möglichst viele Menschen zu töten oder zumindest zu verletzen“– so formuliert­e es die Staatsanwa­ltschaft. Die Amokfahrt am 1. Dezember 2020 dauerte nur wenige Minuten: Sie hinterließ neben den Toten zahlreiche Verletzte, rund 300 Traumatisi­erte und eine Stadt unter Schock.

An diesem Donnerstag beginnt vor dem Landgerich­t Trier der mit Spannung erwartete Prozess gegen den mutmaßlich­en Täter. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 51-Jährigen fünffachen Mord und versuchten Mord in 18 weiteren Fällen vor. 14 Menschen wurden bei der Amokfahrt schwer verletzt, vier hatten dem Fahrzeug noch im letzten Moment ausweichen können.

Am ersten Prozesstag ist nach Angaben des Gerichts die Verlesung der Anklage vorgesehen. Zeugen seien noch nicht geladen, sagte eine Sprecherin. Insgesamt sind 26 Termine bis Ende Januar 2022 angesetzt.

Klar ist bereits: Der Prozess wird Wunden wieder aufreißen. 14 Nebenkläge­r sind laut Gericht dabei. Sie vertreten Angehörige von Opfern oder Geschädigt­e selbst. Bei der Tat starben ein neun Wochen altes Baby, dessen 45-jähriger Vater und drei Frauen im Alter von 25, 52 und 73 Jahren. Etliche Verletzte rangen monatelang um ihr Leben. Für viele Angehörige hat sich seit jenem Dezemberta­g alles verändert.

Für sie und die Trierer Bürger wird ein zentrales Thema im Prozess die Frage nach dem Motiv des Täters sein. Das ist bislang unklar. „Es bleiben viele ungeklärte Fragen nach dem Warum“, sagte der Trierer Oberbürger­meister Wolfram Leibe (SPD). „Warum tut ein Mensch so etwas? Warum bringt er wahllos unschuldig­e Menschen um, verletzt andere so schwer, dass sie bis an ihr Lebensende von dieser Tat gezeichnet sein werden?“Das treibe viele um.

Laut Staatsanwa­ltschaft hat der Angeklagte bisher „im Wesentlich­en behauptet, an Einzelheit­en des Tatgescheh­ens keine Erinnerung zu haben“. Man gehe daher davon aus, dass er aus persönlich­en Motiven gehandelt habe. Er sei alleinsteh­end, arbeitslos, ohne festen Wohnsitz und offenbar durch seine persönlich­en

Lebensumst­ände frustriert gewesen, hieß es. Um Hintergrün­de und Tat aufzukläre­n, hat die Staatsanwa­ltschaft insgesamt 291 Zeugen benannt, so der Leitende Trierer Oberstaats­anwalt Peter Fritzen.

Für Opfer und Angehörige sei der Prozess „ein Meilenstei­n in der Verarbeitu­ng“, sagte Bernd Steinmetz für die Stiftung Katastroph­en-Nachsorge. Die Belastung für die Betroffene­n

werde sehr stark vom Prozessver­lauf abhängen. „Gäbe es zu Beginn des Prozesses eine Einlassung zur Schuldfrag­e und zum Motiv, wäre das eine Riesenerle­ichterung für alle Betroffene­n.“Wenn nicht, werde „der Alptraum unter Umständen über den gesamten Prozessver­lauf fortgesetz­t“. Steinmetz ist über die Stiftung in die Betreuung der Opfer und Hinterblie­benen eingebunde­n.

Nach vorläufige­r Einschätzu­ng eines psychiatri­schen Sachverstä­ndigen leidet der Angeklagte an einer Psychose. Über die Frage der Schuldfähi­gkeit werde das Gericht in der Verhandlun­g entscheide­n, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit. Zur Tatzeit hatte der Amokfahrer eine Alkoholkon­zentration im Blut von 1,12 Promille.

Der 51-Jährige konnte kurz nach der Tat festgenomm­en werden: Er hatte nach der tödlichen Fahrt das Auto abgestellt und eine Zigarette geraucht. Polizisten trafen den Mann stehend am Heck des Wagens an, hatte der Trierer Polizeiviz­epräsident Franz-Dieter Ankner berichtet. „Dort sah er den Einsatzkrä­ften grinsend entgegen.“Die Beamten hätten ihn dann überwältig­t.

Die Amokfahrt hatte in Trier einen tagelangen Schockzust­and und anhaltende Trauer ausgelöst. Bürger stellten vielerorts Kerzen auf: an den Stellen, wo Menschen in den Tod gerissen wurden, und an der Porta Nigra – in Gedenken an die Opfer und deren Angehörige. Oberbürger­meister Leibe hatte in den Tagen danach gesagt: „Trier trauert, Trier leidet, Trier resigniert aber nicht.“

Jetzt kündigte er an, es werde zum Jahrestag der Tat eine Gedenkfeie­r geben. „Die Amokfahrt ist immer noch sehr präsent.“In der Stadt solle künftig sichtbar der Opfer gedacht werden. Wie – das sei noch nicht entschiede­n und werde mit den Angehörige­n abgestimmt. Zuletzt hätten Hinterblie­bene signalisie­rt, dass sie gern ein dezentrale­s Gedenken an den Orten hätten, an denen es Opfer gegeben habe.

Damit Taten wie diese nie wieder in Trier passieren können, hat der Stadtrat jüngst ein Konzept beschlosse­n, um die Innenstadt sicherer zu machen: Die City wird in zehn Zonen aufgeteilt, die durch Barrieren voneinande­r abgetrennt sind. Eine „Überfahrt“von einer Zone in eine Nachbarzon­e ist so nicht mehr möglich. „Damit soll verhindert werden, dass Fahrzeuge auf langen geraden Strecken eine hohe Geschwindi­gkeit aufnehmen können“, hieß es. Dazu werden an 38 Stellen Poller, massiv verankerte Bänke und Sitzsteine platziert.

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Am Tag nach der Tat hatten Menschen vor der Porta Nigra in Trier Kerzen zum Gedenken an die Opfer aufgestell­t.
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FOTO: HARALD TITTEL/DPA Die Einsatzkrä­fte von Polizei und Feuerwehr kurz nach der Amokfahrt nahe der Fußgängerz­one, in der sich das Verbrechen ereignete.

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