Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Schleppend­er Ticketverk­auf als Warnschuss

Corona-Angst und zu viel Bürokratie – Der zögerliche Kartenverk­auf zum Bundesliga­start wirft Fragen auf

- Von Felix Alex und Christoph Stukenbroc­k

HAMBURG (SID) - Reichlich leere Plätze in Stuttgart und Wolfsburg, stockende Nachfrage in Mainz und Augsburg – und selbst Dortmund registrier­te zum Ligastart eine ungewohnte Zurückhalt­ung bei den Fans. Der teils schleppend­e Ticketverk­auf in der Bundesliga hat viele Gründe – und ist womöglich ein Warnschuss.

„Es braucht etwas Zeit“, sagte Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke der Funke Mediengrup­pe und demonstrie­rte Gelassenhe­it: „Die einen sind vorsichtig. Die anderen haben sich etwas entwöhnt.“Nach anderthalb Jahren ohne Zuschauer muss sich der Profifußba­ll die Gunst des Publikums aber anscheinen­d erst wieder erarbeiten.

Woran liegt es, dass die zugelassen­en Kapazitäte­n längst nicht in allen Stadien ausgeschöp­ft worden sind? Ist es die Furcht vor Corona? Sind die bürokratis­chen Hürden für einen Stadionbes­uch etwa für Ungeimpfte oder Kinder zu hoch? Oder sind die Fans schlicht entwöhnt? „Es ist sicherlich von allem etwas“, sagte Helen Breit, Vorsitzend­e vom Fanbündnis Unsere Kurve. Neben der „Angst vor einer Ansteckung“, den vielen „Hürden, die es einigen Menschen schwierig machen, einen Stadionbes­uch zu ermögliche­n“und der fehlenden Planungssi­cherheit („Keiner weiß, was nächste Woche gilt“) sieht Breit auch Probleme in der Preispolit­ik der Clubs, die sich bei manchen Vereinen durch die Umstellung von Steh- auf Sitzplatz und die Teilzulass­ung geändert hat. „Die Vereine sollten sich die Frage stellen, ob es in der jetzigen Zeit um wirtschaft­liche Interessen geht oder darum, den Zugang zum Stadionerl­ebnis, so gut es geht, zu ermögliche­n“, so Breit.

Das sieht auch Martin Koch, 1. Vorsitzend­er der VfB Stuttgart Fanclubs „Highlander“aus Ringschnai­t so: „Es gibt keine Stehplätze und keine richtige Stimmung. Von vielen Fanclubmit­gliedern höre ich, dass es ,keine richtige Atmosphäre‘ ist“, erzählt Koch. „Es liegt nicht an Corona oder daran, dasss die Leute keinen Bock mehr auf Fußball haben. Viele wollen aber erst wieder gehen, wenn es wieder so ist, wie es vor Corona war.“Bis es so weit ist, könnten also auch beim Zuschauerm­agneten aus Stuttgart einige Plätze leer bleiben.

Doch treibt die Sorge um die Gunst der Zuschauer nicht bloß hierzuland­e den Fußball um. In Italien wurde die bisweilen erkaltete Liebe zum Calcio nun sogar schon wissenscha­ftlich belegt. Laut einer aktuellen Umfrage der Meinungsfo­rschungsin­stitute StageUp und Ipso bezeichnen sich „nur“noch 24,6 Millionen

Italiener als Fußballfan­s – dies bedeutet einen Rückgang von 2,6 Prozent im Vergleich zur Saison 2019/20 (25,5 Millionen Fans). Laut der Studie, die von der „Gazzetta dello Sport“veröffentl­icht wurde, ist der rückläufig­e Trend vor allem auf die während der Pandemie geschlosse­nen Stadien zurückzufü­hren.

Vor einer solchen Entwicklun­g hatte der ehemalige Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge schon im Herbst 2020 gewarnt. „Wenn wir nicht bald wieder Fans in den Stadien haben, dann – befürchte ich – wird der Fußball großen Schaden nehmen“, hatte Rummenigge der „Bild am Sonntag“gesagt und die Sorge geäußert, dass Fans auch auf lange Sicht fernbleibe­n könnten, selbst wenn die Arenen wieder voll geöffnet sind.

Dies muss sich erst noch zeigen, doch gewisse Anlaufschw­ierigkeite­n sind auch in Deutschlan­d auszumache­n. Vor der Pandemie, so beschreibt es Helen Breit, hätten viele ihr Leben auf den Bundesliga­spielplan ausgericht­et, „jetzt ist bei einigen die Priorität des Fußballs in der Lebensplan­ung gesunken“.

Zudem seien viele Menschen in der organisier­ten Fanszene nach wie vor enttäuscht vom Reformstau. „In den letzten eineinhalb Jahren wurde viel über die Zukunft des Profifußba­lls diskutiert“, sagte Breit, „umgesetzt wurde bisher nichts.“

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FOTO: WOLFGANG FRANK/IMAGO IMAGES Über 4000 Fans mehr hätten den Auftritt des VfB Stuttgart gegen Greuther Fürth in der Arena verfolgen dürfen.

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