Schleppender Ticketverkauf als Warnschuss
Corona-Angst und zu viel Bürokratie – Der zögerliche Kartenverkauf zum Bundesligastart wirft Fragen auf
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HAMBURG (SID) - Reichlich leere Plätze in Stuttgart und Wolfsburg, stockende Nachfrage in Mainz und Augsburg – und selbst Dortmund registrierte zum Ligastart eine ungewohnte Zurückhaltung bei den Fans. Der teils schleppende Ticketverkauf in der Bundesliga hat viele Gründe – und ist womöglich ein Warnschuss.
„Es braucht etwas Zeit“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke der Funke Mediengruppe und demonstrierte Gelassenheit: „Die einen sind vorsichtig. Die anderen haben sich etwas entwöhnt.“Nach anderthalb Jahren ohne Zuschauer muss sich der Profifußball die Gunst des Publikums aber anscheinend erst wieder erarbeiten.
Woran liegt es, dass die zugelassenen Kapazitäten längst nicht in allen Stadien ausgeschöpft worden sind? Ist es die Furcht vor Corona? Sind die bürokratischen Hürden für einen Stadionbesuch etwa für Ungeimpfte oder Kinder zu hoch? Oder sind die Fans schlicht entwöhnt? „Es ist sicherlich von allem etwas“, sagte Helen Breit, Vorsitzende vom Fanbündnis Unsere Kurve. Neben der „Angst vor einer Ansteckung“, den vielen „Hürden, die es einigen Menschen schwierig machen, einen Stadionbesuch zu ermöglichen“und der fehlenden Planungssicherheit („Keiner weiß, was nächste Woche gilt“) sieht Breit auch Probleme in der Preispolitik der Clubs, die sich bei manchen Vereinen durch die Umstellung von Steh- auf Sitzplatz und die Teilzulassung geändert hat. „Die Vereine sollten sich die Frage stellen, ob es in der jetzigen Zeit um wirtschaftliche Interessen geht oder darum, den Zugang zum Stadionerlebnis, so gut es geht, zu ermöglichen“, so Breit.
Das sieht auch Martin Koch, 1. Vorsitzender der VfB Stuttgart Fanclubs „Highlander“aus Ringschnait so: „Es gibt keine Stehplätze und keine richtige Stimmung. Von vielen Fanclubmitgliedern höre ich, dass es ,keine richtige Atmosphäre‘ ist“, erzählt Koch. „Es liegt nicht an Corona oder daran, dasss die Leute keinen Bock mehr auf Fußball haben. Viele wollen aber erst wieder gehen, wenn es wieder so ist, wie es vor Corona war.“Bis es so weit ist, könnten also auch beim Zuschauermagneten aus Stuttgart einige Plätze leer bleiben.
Doch treibt die Sorge um die Gunst der Zuschauer nicht bloß hierzulande den Fußball um. In Italien wurde die bisweilen erkaltete Liebe zum Calcio nun sogar schon wissenschaftlich belegt. Laut einer aktuellen Umfrage der Meinungsforschungsinstitute StageUp und Ipso bezeichnen sich „nur“noch 24,6 Millionen
Italiener als Fußballfans – dies bedeutet einen Rückgang von 2,6 Prozent im Vergleich zur Saison 2019/20 (25,5 Millionen Fans). Laut der Studie, die von der „Gazzetta dello Sport“veröffentlicht wurde, ist der rückläufige Trend vor allem auf die während der Pandemie geschlossenen Stadien zurückzuführen.
Vor einer solchen Entwicklung hatte der ehemalige Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge schon im Herbst 2020 gewarnt. „Wenn wir nicht bald wieder Fans in den Stadien haben, dann – befürchte ich – wird der Fußball großen Schaden nehmen“, hatte Rummenigge der „Bild am Sonntag“gesagt und die Sorge geäußert, dass Fans auch auf lange Sicht fernbleiben könnten, selbst wenn die Arenen wieder voll geöffnet sind.
Dies muss sich erst noch zeigen, doch gewisse Anlaufschwierigkeiten sind auch in Deutschland auszumachen. Vor der Pandemie, so beschreibt es Helen Breit, hätten viele ihr Leben auf den Bundesligaspielplan ausgerichtet, „jetzt ist bei einigen die Priorität des Fußballs in der Lebensplanung gesunken“.
Zudem seien viele Menschen in der organisierten Fanszene nach wie vor enttäuscht vom Reformstau. „In den letzten eineinhalb Jahren wurde viel über die Zukunft des Profifußballs diskutiert“, sagte Breit, „umgesetzt wurde bisher nichts.“