Im Kampf gegen demütigende Paragrafen
Die Transfrau Tessa Ganserer hat beste Chancen, in den Bundestag einzuziehen
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MÜNCHEN - Das ist eine Frau, und das zeigt sie. Tessa Ganserer kommt mit engem beigefarbenem Kleid in den Münchner Presseclub, Ringe an Fingern und Ohren, Armreife, eine Halskette. Immer wieder streift sie durch das lange mittelblonde Haar. Sie ist eine Transfrau und der einzige Transmensch in einem deutschen Parlament, der sich zum Wechsel des Geschlechts bekennt.
„Wir können intensiv über Forstpolitik reden“, meint Ganserer mit sonorer Stimme und gepflegtem bayerischen Akzent. „Über Verkehr oder den öffentlichen Dienst, da kenne ich mich super aus.“Das will man aber nicht in der kleinen Runde. Die 44-jährige bayerische Grünen-Landtagsabgeordnete ist für etwas anderes bekannt. Tessa Ganserer sah einmal aus wie ein Mann und lebte als solcher. Nun hat sie ihr Geschlecht geändert. Im Herbst hat Ganserer gute Chancen, in den Bundestag zu wechseln.
Vor zwölf Jahren kam es zu diesem „Schlüsselerlebnis“, wie sie es bezeichnet. Da zog sie ein Kleid ihrer Frau an, alleine – „und dann wusste ich, dass ich kein Mann bin“. Es folgten das Leiden und das Ringen. Das pochende Gefühl, eine Frau zu sein. „Die Jahre vor dem Coming-out waren furchtbar", sagt sie heute. „Ich habe mich so gequält, hatte wahnsinnige Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung.“Transsexualität ist nicht nur ein intimes, es ist auch ein hoch politisches Thema. „Und dafür will ich nach Berlin“, sagt Ganserer. „CDU/CSU und SPD haben es nicht geschafft, das entwürdigende Transsexuellengesetz von 1981 zu verändern.“Aus Tessa Ganserer sprudelt es nur so heraus: „Demütigend, respektlos und erniedrigend“nennt sie die Paragrafen. Wer ein anderes Geschlecht haben möchte, das ihm nicht zugeschrieben ist, muss sich zweimal psychologisch begutachten lassen. Ganserer sagt dazu: „Man muss einen Seelenstriptease hinlegen.“Es werde gefragt, wann die erste Selbstbefriedigung stattgefunden habe. Der erste Geschlechtsverkehr – und mit wem? Welche sexuellen Fantasien bestehen? Gibt es typisch weibliche Hobbies? Was ist mit Analverkehr? Man müsse sich sogar ausziehen.
Will man das „nicht über sich ergehen lassen“, hat man viele Probleme im Alltag. In den Ausweisdokumenten steht der alte Name mit dem alten Bild. „Ich kann kein Auto mieten, weil man mir meine Geschichte nicht glaubt.“Auf dem Wahlzettel –
Ganserer kandidiert in ihrem Wohnort Nürnberg – steht ihr alter männlicher Vorname geschrieben, nur in Klammern ist dahinter „Tessa“gesetzt. „Deadname“wird der alte Name genannt. Man will diesen toten Namen nicht mehr hören oder lesen. In anderen Ländern geht die Annahme eines anderen Geschlechts viel einfacher, erzählt Ganserer. In der Schweiz, Spanien oder Malta beantragt man Ausweisdokumente mit dem neuen Namen und Geschlechtseintrag – das war es.
In Zwiesel in Ostbayern wurde sie geboren, sie machte eine Ausbildung zur Försterin. Dann studierte Ganserer Wald- und Forstwirtschaft, arbeitete früh bei den Grünen mit. Am 14. Januar 2019 das Outing in einem übervollen Saal im bayerischen Landtag: Sie kommt mit Perücke, Kleid, Stöckelschuhen. Sie sagt, dass sie ein „menschlich sehr angenehmes Gespräch“mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) hatte. Von nun an werde sie als Frau Tessa Ganserer geführt.
„Die Kolleginnen und Kollegen aus der Grünen-Fraktion standen Schlange, um mir zu gratulieren.“
Auch von den anderen Parteien kam Respekt – „mit Ausnahme der Rechtsaußen-Fraktion“. Es nervt sie, immer wieder als exotische Person betrachtet zu werden. Jede Menge Menschen würden sie hassen, deutlicher will sie dazu nicht werden. Beleidigende oder gar Droh-Mails übergibt sie regelmäßig der Polizei. Tessa Ganserer steht auf Platz 13 der GrünenLandesliste für den Bundestag. Bei den jetzigen Umfragewerten wird das locker für den Einzug reichen. Sie rechnet damit, dass noch zwei oder drei Transmenschen ins Parlament kommen, dann können sie gemeinsam für ihre Anliegen kämpfen.
Ihr erster Wahlkampf als Frau ist ein anderer als der letzte, 2018 für den bayerischen Landtag. Später erzählte sie, wie kaputt sie damals gewesen sei, wie verzweifelt. Sie musste Termine absagen und brachte es fast nicht über sich, einen Anzug anzuziehen und rauszugehen. Jetzt hat sie keine Männerkleidung mehr. Manche Fragen nerven Tessa Ganserer mittlerweile. Etwa wie es sich anfühlt, in einem „falschen Körper“zu leben? „Ich bin doch nicht im falschen Körper“, antwortet sie, „ich habe auch zwei Augen und zwei Hände, mit denen ich liebe Menschen umarmen kann.“Oder die Frage, wie ihre Frau damit umgegangen ist, was das für die Familie bedeutet? Da braust sie kurz auf: „Das habe ich schon hunderttausendmal erzählt, das kann man nachlesen.“
Also: Seit 2001 ist Tessa Ganserer mit der Grünen-Lokalpolitikerin und Energieberaterin Ines Eichmüller liiert, 2013 heirateten sie, es kamen zwei Söhne zur Welt. Ihrer Frau hatte sie sich als Erstes offenbart und kompletten Rückhalt von ihr erhalten. Wie viel Privatheit benötigt, wie viel Öffentlichkeit erträgt eine solche Beziehung? Für das eine oder andere Foto laufen die beiden Hand in Hand durch die Nürnberger Altstadt. Oder sie umarmen sich. „Mitleid“, sagt Ganserer, „brauche ich überhaupt nicht.“