Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kinderporn­ografie im Visier der Polizei

Der BKA-Chefermitt­ler berichtet aus seinem Alltag – Was die Politik gegen die abscheulic­hen Verbrechen tun will

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Wenige ●Verbrechen schockiere­n Menschen so sehr wie sexuelle Gewalt an Kindern. Wenn dieser Missbrauch gefilmt und als Kinderporn­ografie im Netz veröffentl­icht wird, dient das Leid der Kleinsten der Befriedigu­ng Tausender Konsumente­n. In den vergangene­n Jahren kommen immer mehr Fälle ans Licht. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: „Ein großer Trend ist, dass die Opfer immer jünger werden. Zudem kann sich ein Missbrauch über Monate und Jahre erstrecken“, sagt Matthias Wenz. Er weiß, wovon er spricht. Wenz ist Deutschlan­ds oberster Kämpfer gegen Kinderporn­ografie.

Der Kriminaldi­rektor beim Bundeskrim­inalamt (BKA) leitet seit 2019 die „Zentralste­lle für die Bekämpfung von Sexualdeli­kten zum Nachteil von Kindern und Jugendlich­en“. Dort laufen jedes Jahr Zehntausen­de Hinweise ein, Wenz und seine Abteilung werten diese aus und leiten sie an die zuständige­n Polizeidie­nststellen in Deutschlan­d weiter. Eine entscheide­nde Rolle für die Ermittlung­en spielen häufig Meldungen aus den USA, genauer gesagt vom National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC), einer gemeinnütz­igen Nicht-Regierungs­organisati­on.

In den Vereinigte­n Staaten haben sich die Internetpr­ovider verpflicht­et, aktiv nach kinderporn­ografische­n Material zu suchen und ihre Funde an NCMEC zu melden. „Das machen sie aus unserer Sicht sehr zuverlässi­g und gut“, sagt Wenz. Und so beginnt ein normaler Arbeitstag in der Zentralste­lle auch mit der Sichtung der Hinweise von NCMEC. Im Jahr 2020 gab es insgesamt 55 000 davon, der Umfang variiert dabei enorm. „Ein Hinweis kann ein Bild oder Video enthalten“, sagt Wenz. Wie beim Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach. Ein Foto, das aus Kanada übermittel­t wurde, führte die

Ermittler zum Haupttäter eines ganzen Missbrauch­srings. Dabei zeigte das Bild nicht einmal einen schweren Missbrauch. „Hinter einer Meldung kann aber auch eine ganze Dateisamml­ung stecken.“

Zum Glück für die Beamten haben sie bei der Sichtung technische Unterstütz­ung. Alle Bilder werden zunächst von einer technische­n Anwendung überprüft, die nach Dubletten sucht. Die angelegte Datenbank wird sukzessive immer größer. „Die Fortschrit­te sind enorm“, sagt Wenz, „wir werden deutlich schneller.“Was die Anwendung noch nicht kennt, muss von der Zentralste­lle begutachte­t werden. Eine emotional sehr belastende Arbeit. Wie kommt man mit so viel Leid klar?

„Wir haben eine sehr engmaschig­e psychologi­sche Betreuung“, sagt Wenz, „vom ersten Arbeitstag bis zum letzten und wenn nötig darüber hinaus.“Der Tagesablau­f sei zudem so strukturie­rt, dass man nicht den ganzen Tag solche Dateien anschauen müsse. Damit erklärt sich Wenz auch, dass sein Referat keine höhere Personalfl­uktuation habe als andere Abteilunge­n im BKA. „Wir sind damit, wie wir mit unseren Mitarbeite­rn umgehen, bisher ganz gut gefahren.“

Das nach Angaben von Wenz sehr junge Referat mit über 60 Prozent Frauenante­il hat aber nicht nur mit Videos und Bildern von missbrauch­ten Kindern zu kämpfen. Immer mehr Jugendlich­e filmen sich selbst in sexuellen Posen und verschicke­n die Dateien. Das ist gefährlich, insbesonde­re wenn solche Videos in WhatsApp-Gruppen der Schulklass­en landen.

„Mit dem Versand dieser Aufnahmen hat man keine Kontrolle mehr über deren eventuell spätere Verbreitun­g“,

sagt Wenz, der mit einer speziellen Medienkamp­agne die junge Zielgruppe erreichen und aufklären will.

Könnte die Politik den Ermittlern das Leben einfacher machen? Das BKA wünscht sich schon lange eine Erhöhung der Mindestspe­icherfrist bei der Vorratsdat­enspeicher­ung. In einer Bilanz des Jahres 2020 rechnet das Amt vor: 2600 nachweisli­ch begangene Fälle konnten nicht verfolgt werden, weil die IP-Adresse nicht mehr abrufbar war und es keinen anderen Ermittlung­sansatz wie Mailadress­e oder Telefonnum­mer gab.

Von der Vorratsdat­enspeicher­ung war allerdings selten die Rede, als diese Zeitung alle im Bundestag vertretene­n Parteien nach ihren Konzepten im Kampf gegen Kinderporn­ografie gefragt hat. Nur die Union will sich auf europäisch­er Ebene für eine grundrecht­skonforme Regelung zur Speicherun­g von IP-Adressen und Telefonnum­mern einsetzen. Die Vorratsdat­enspeicher­ung solle zur schärfsten Waffe gegen Kindesmiss­brauch werden. Die SPD will in Prävention investiere­n und Pilotproje­kte unterstütz­en, die Kinderschu­tzbeauftra­gte für Kitas, Schulen und Vereine einstellen.

Prävention hält auch die Linke für wichtig, sie will Pädophilen anonymisie­rte Therapiean­gebote machen, damit diese nicht zu Täter werden. Nötig sei auch, den Strafrahme­n für Kinderporn­ografie nach der Schwere der abgebildet­en Missbrauch­shandlung abzustufen. Ganz andere Ideen hat die AfD. Sie will sich mit Nachdruck für ein Verbot jeglicher sexueller Früherzieh­ung einsetzen und stattdesse­n „rein biologisch­abstrakt“aufklären. Im Netz solle von staatliche­r Seite viel mehr gesucht und gelöscht werden.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Eine Kriminalob­erkommissa­rin sitzt in einem Büro vor einem Auswertung­scomputer auf der Suche nach Kinderporn­ografie. Wie die Polizei feststellt, werden die Opfer immer jünger.

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