Verfrachtet, verkauft oder verramscht Berühmte Bibliotheken im Südwesten: Die kostbaren Bücherbestände aus dem Kloster Ochsenhausen sind in alle Winde zerstreut
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OCHSENHAUSEN - Zeitgenossen rühmten die benediktinische Klosterbibliothek Ochsenhausen als eine der „schönsten und umfangreichsten in Schwaben“. Lange ist’s her. Von den einst rund 60 000 handgeschriebenen und gedruckten Büchern ist heute nur noch ein kleiner Bruchteil davon vor Ort zu sehen.
Die Benediktiner zeichnete schon immer eine Offenheit für Kultur und Geisteswissenschaften aus. Auch die oberschwäbischen Äbte wetteiferten um die höchste Weisheit mit dem Bau von repräsentativen Bibliothekssälen, in denen sich die Universalität des Geistes und die Macht des Wissens widerspiegeln sollten. Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert enthielten die Klosterbibliotheken dann nicht mehr nur Schriften aus Theologie und Philosophie, sondern man fühlte sich auch den rationalen Wissenschaften verpflichtet. Gesammelt wurden etwa Bücher über Ackerbau, Viehzucht und Obstbau, Brücken- und Straßenbau, Krankenpflege und Medizin, Mathematik und Pädagogik, Geografie und Astronomie. Auch Lektüre zum Kirchen- und Volksrecht, zu Geschichte oder Musik stießen bei den Mönchen auf reges Interesse.
Der Wetteifer endete 1783/84 in der Region Oberschwaben mit dem Bau des klassizistischen Bibliothekssaals in Ochsenhausen unter Abt Romuald Weltin. Durch den Portikus im Osten mit den Statuen des Hermes und der Minerva tritt wissbegierig der Mönch in das Reich der Wissenschaften. Abt Romuald förderte mit großer Begeisterung die Forschertätigkeiten des Klosters und richtete in Ochsenhausen sogar ein astronomisches Observatorium ein. Zudem kaufte er am 4. Januar 1788 für 5000 Gulden insgesamt 9000 Bände des verstorbenen Fürst-Bischofs von Chiemsee und füllte damit die Lücken in den neuen Wandregalen auf. Parallel dazu ließ er die dreischiffige Halle mit rundum laufender Empore aufwendig dekorieren.
Die Gemälde fertigte Joseph Anton Huber, einer der besten Augsburger Maler, mit den Stuckarbeiten wurde der Neresheimer Baudirektor Thomas Schaidhauf beauftragt, der in der berühmten Wessobrunner Schule ausgebildet worden war. Als Kontrast zur strengen Architektur des Saales wählte Schaidhauf für die Decke über der Empore ornamentale Schmuckreliefs und Putten mit den Attributen der Physik, Chemie, Mathematik und Astronomie. „Vermutlich waren die Bücher thematisch entsprechend im Saal sortiert“, sagt Andreas Kreißig, zuständig in Ochsenhausen für Bibliothek und Öffentlichkeitsarbeit.
Blickfang bis heute ist das illusionistische Deckenfresko in strahlenden Farben. Im Zentrum steht der Ordensgründer Benedikt als Mittler zwischen Gott und Mensch. Er empfängt vom Heiligen Geist (die Taube) über Maria die göttliche Weisheit. Neben Benedikt finden sich auch Bernhard von Clairvaux, Norbert von Xanten und Augustinus. Engel mit Schriftband und Buch lassen keinen Zweifel an der Bildbotschaft der Lehre der Mutter Kirche, erklärt Kreißig. Zu ihren Füßen finden sich die Untugenden mit Pan für die Unzucht, Häresie für die falsche Lehre und Faulheit sowie Aphrodite für die verderbliche Liebe. Rechts davon haben sich Wissenschaftler versammelt. Darunter ist auch ein Astronom mit Fernglas, der an die Bemühungen der Ochsenhausener Patres erinnert. Kreißig: „Allerdings hält er das Fernrohr verkehrt herum – warum auch immer.“
Über die Gründung der Klosterbibliothek in Ochsenhausen ist leider nur sehr wenig überliefert. Der reiche Bestand an Handschriften, auf den das Kloster stolz war, bezeugt, dass in den Anfangsjahren Verbindungen zum Mutterkloster St. Blasien im Schwarzwald und dem dortigen berühmten Skriptorium bestanden. Von den heute noch existierenden Handschriften
aus Ochsenhausen aus dem
12. Jahrhundert stammen nachweislich vier aus St. Blasien. Die Verwalter der Bibliothek benutzten verschiedene Formen, um den Bücherbesitz der Klostergemeinde zu kennzeichnen. Die jüngste Bezeichnung ist nach den Angaben von Kreißig ein kleiner Oval-Stempel mit dem Konventswappen und dem Text „SIG. BIBLIOTH. OCHSENHUSAN“.
Im Zuge der Säkularisation im Jahr 1803 wurde dann ein Schlussstrich unter die jahrhundertealte Tradition der Wissenspflege durch geistliche Institutionen gezogen. Die ehemalige Benediktinerabtei wurde dem österreichischen Staatskanzler Clemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich zugesprochen. Knapp 25 Jahre später entschloss sich Metternich dann zum Verkauf der Grafschaft Ochsenhausen und begann, die Bibliothek mithilfe von Fachleuten zu sichten. Rund 8000 wertvolle Bände sollen für die Bibliothek des Fürsten aussortiert worden sein, von denen sich heute etwa die Hälfte in seinem ehemaligen Schloss Königswart in Böhmen befindet. Die älteste erhaltene Handschrift aus den Ochsenhausener Beständen stammt aus der ersten Hälfte des
9. Jahrhunderts.
Ein Großteil der Bücher wurde verkauft und ist längst in alle Himmelsrichtungen zerstreut: von Berlin und Budapest über Straßburg und Paris bis nach Chicago und Washington. Der Rest – angeblich waren es 22 Wagenladungen – wurde entweder eingestampft oder nach Biberach gebracht und nach Gewicht verramscht. Dort kam eine Weltchronik der Kirchengeschichte dann irgendwie in den Besitz eines Vicarius’ namens Manz. In allen Bänden hatte der angehende Biberacher Priester die Seite mit dem Stempel des Klosters herausgerissen, was vermuten lässt, dass er die Bücher gestohlen hat – bis auf einen Band, den er wohl übersehen hat. Über Umwege landete diese Weltchronik wieder in der Klosterbibliothek und steht heute in einem Regal auf der Empore.
Einmal noch kamen die größten Schätze der ehemaligen Benediktinerabtei Ochsenhausen zurück nach Oberschwaben: 1993 im Zuge einer Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum in Prag und dem Denkmalamt in Pilsen. Mittlerweile wird der Saal für Konzerte genutzt. Denn das Kloster ist seit 1988 Sitz der Landesakademie für die musizierende Jugend.
Führungen durchs Kloster und den Bibliothekssaal werden beinahe täglich um 14 Uhr angeboten. Näheres gibt es unter