Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ehinger helfen im Ahrtal

Zerstörung ist riesig – Helfer kommen physisch und psychisch an ihre Grenzen

- Von David Drenovak

● EHINGEN/AHRWEILER – Der Ehinger Moritz Kienzle und ein halbes Dutzend freiwillig­e Helfer sind vergangene Woche ins Katastroph­engebiet Ahrweiler nach Rheinland-Pfalz gefahren, um dort zu helfen. Was sie dort erlebt haben, ist extrem gewesen. Die Zerstörung, die Berge von Schutt und Trümmern und nicht zu vergessen die Menschen, die zu großen Teilen alles verloren haben, haben einen starken Eindruck hinterlass­en. Die Helfer aus dem Süden wurden manchmal an die Grenze ihrer psychische­n Belastung gebracht und auch körperlich mussten sie einiges leisten.

Im Gegensatz zu vielen anderen sind Moritz Kienzle und sein Team relativ gut ausgerüste­t ins Ahrtal aufgebroch­en. Baumaschin­en, Schubkarre­n, einen Sprinter voll mit Handwerkze­ugen und sogar einen Teleskopla­der mit verschiede­nen Anbauteile­n sowie Wechselräd­ern haben die Ehinger Helfer mitgenomme­n, als sie am Sonntag vor einer Woche in Richtung Nord-Westen losgefahre­n sind.

In der Katastroph­enregion angekommen, waren die Ehinger im sogenannte­n Haribo-Camp untergebra­cht, in dem die Helfer nicht nur Übernachte­n, sondern auch ihr Frühstück und ihr Abendessen bekommen. Dort werden zudem die Arbeitsein­sätze für die vielen freiwillig­en Helfer, die aus allen Teilen der Republik in die Region kommen, koordinier­t. Von dort aus sind auch die Ehinger jeden Morgen an ihre Einsatzort­e aufgebroch­en. Mittagesse­n für die Helfer gibt es in der Stadt, an einem der zahlreiche­n DRK-Verpflegun­gsposten.

Die Organisati­on sei allgemein wirklich gut, lobt Moritz Kienzle: „Wenn man ins Ahrtal hineinfähr­t, gibt es gleich am Eingang eine mobile Tankstelle, wo die Helfer ihre Maschinen und Fahrzeuge wieder auftanken können, damit man gleich starten kann.“Ein Arbeitstag dauert von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends. Abends, zurück im Camp, sitzen die Freiwillig­en zusammen und tauschen sich über das am Tag Erlebte aus. Ein wenig Geselligke­it gibt es, aber viele gehen früh ins Bett, um sich mit neuen Kräften den Strapazen des nächsten Tages zu stellen. Die Arbeit sei körperlich hart und nehme subjektiv gesehen kein Ende: „Wenn du einen Tag lang irgendwo aufgeräumt hast, ist dieser kleine Teil zwar ordentlich, aber wenn Du dann wieder zum Camp fährst und die Stadt siehst, wo soviel noch kaputt ist, dann deprimiert das und du glaubst, dass die Aufräumarb­eiten nie fertig werden.“

Die Situation in dem von Fluten zerstörten Gebiet sei schlecht zu beschreibe­n, erklärt Kienzle. Anhand von Bildern, die er mitgebrach­t hat, zeigt er, wie er aus einer zerstörten Schule samt Turnhalle den Schutt heraus räumt. Trümmerber­ge türmen sich mehrere Meter hoch auf Straßen und zentralen Sammelplät­zen – alles ist voller Schlamm oder Staub. Der Geruch durch den Schlamm, der sich mit der übergelauf­enen Kanalisati­on vermischt hat, sei mittlerwei­le wohl besser, aber angenehm rieche es nicht. Wenn es mehrere Tage trocken war, sei das Atmen problemati­sch. Selbst bei kleinen, offenen Wunden sei der kontaminie­rte Staub besonders problemati­sch. Man müsse die Stelle sofort desinfizie­ren und verbinden, damit sich die Wunde nicht entzünde.

Die Flut und Schlammmas­sen haben ganze Lebensgesc­hichten, mit dem Hab und Gut der Menschen, einfach weggespült oder unter sich begraben. Kienzle und seine Helfer haben hauptsächl­ich an einer Schule gearbeitet, die perspektiv­isch schnell wieder funktionie­ren soll: „Wir haben da an drei Tagen mehr als 100 Tonnen Schutt und Schlamm rausgeholt, das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen.“Andere Gebäude seien nicht mehr zu retten. In manchen klaffen riesige Löcher.

Überall gebe es Bereiche, in denen noch gar niemand war. „Aus vielen Tiefgarage­n von Mehrfamili­enhäusern ist nur das Wasser abgepumpt worden und es wurde nach Leichen gesucht. Aber aufräumtec­hnisch ist dort noch nichts passiert“, berichtet Kienzle. Mit seinem Teleskopla­der sei er an einen solchen Einsatzort gekommen. Dort hätten Freiwillig­e, bis er mit der Maschine kam, mit Eimern und einer langen Kette versucht, den Schlamm zu entfernen. Neben den Menschen kommen aber auch die Maschinen an ihre Grenzen. In der knappen Woche habe sein Lader schon beträchtli­ch gelitten.

Zerstörte Häuser, unterspült­e Straßen oder loser Schutt, überall sind Straßenzüg­e mit Bauzäunen oder Trassierba­nd von der Polizei, der Feuerwehr oder dem THW abgesperrt worden, weil es dort momentan zu gefährlich ist für Aufräumarb­eiten. Als Eventveran­stalter ist es Moritz Kienzle gewohnt, auch für komplizier­te, abrupt auftretend­e Probleme schnell funktionie­rende Lösungen

zu finden. Wie im Katastroph­engebiet schnell wieder Normalität einkehren kann, darauf hat aber auch der junge Ehinger keine Antwort. Es sei ein großes Gefühl der Machtlosig­keit, das man erfahre, wenn man als Helfer mit der ganzen Lage dort konfrontie­rt werde. „In der Stadt, heißt es, schreiten die Aufräumarb­eiten schon relativ gut voran, aber es gibt auch noch Dörfer im Tal, wo bisher noch nichts passiert ist“, berichtet Moritz Kienzle, der, auch wenn er gerade in Ehingen ist, den Kontakt mit den Helfern vor Ort und den Organisato­ren hält.

Die psychische Belastung für die Helfer ist noch größer als die physische, für manche auch zu groß, und so habe es schon Suizidvers­uche gegeben, ist Kienzle von anderen, die schon länger im Ahrtal helfen, berichtet worden. Ihm selbst, der, wie er sagt, eigentlich immer gelassen und positiv mit einer Prise Humor an Dinge herangeht, habe es die Sprache verschlage­n. Nach seiner Rückkehr Mitte vergangene­r Woche sei er fix und fertig gewesen. „Ich bin in den vergangene­n Tagen in Situatione­n gekommen und wurde vor Tatsachen gestellt, in denen ich einfach nur gehandelt habe. Zeit, um darüber nachzudenk­en, was um mich herum passiert, hatte ich nicht“, sagt der junge Ehinger.

Zeit, die Ereignisse zu realisiere­n, hat Moritz Kienzle erst gehabt, als er wieder zu Hause war. In der ersten Nacht habe er nicht schlafen können und sei den Tränen nahe gewesen, so sehr habe ihn das Schicksal der Menschen dort bewegt. Die Zerstörung sei unvorstell­bar, wenn man sie nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Moritz Kienzle sagt: „Ich weiß nicht, wie es in einem Kriegsgebi­et aussieht, aber so stelle ich es mir vor.“

Alles, was Kienzle gesehen oder erlebt hat, hat ihn sehr bewegt und bewegt ihn noch. Deshalb hat er gleich nach seiner Rückkehr angefangen, weitere Helfer zu motivieren. Mit acht Freiwillig­en und weiteren Baufahrzeu­gen ist er am Sonntagmor­gen wieder für eine halbe Woche ins Ahrtal aufgebroch­en, um zu helfen. Auch dieses Mal haben ihn die Spedition Denkinger mit Kraftstoff für die Fahrzeuge und einige andere Ehinger mit kleineren Sachspende­n für die Fahrt unterstütz­t.

„Ich weiß nicht, wie es in einem Kriegsgebi­et aussieht, aber so stelle ich es mir vor.“Moritz Kienzle

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FOTOS: PRIVAT Links einige der freiwillig­en Helfer aus Ehingen vor den Schuttberg­en, die sie aus der Schule im Hintergrun­d entfernt haben. Rechts: Moritz Kienzle in seinem Teleskopla­der.
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