Ehinger helfen im Ahrtal
Zerstörung ist riesig – Helfer kommen physisch und psychisch an ihre Grenzen
● EHINGEN/AHRWEILER – Der Ehinger Moritz Kienzle und ein halbes Dutzend freiwillige Helfer sind vergangene Woche ins Katastrophengebiet Ahrweiler nach Rheinland-Pfalz gefahren, um dort zu helfen. Was sie dort erlebt haben, ist extrem gewesen. Die Zerstörung, die Berge von Schutt und Trümmern und nicht zu vergessen die Menschen, die zu großen Teilen alles verloren haben, haben einen starken Eindruck hinterlassen. Die Helfer aus dem Süden wurden manchmal an die Grenze ihrer psychischen Belastung gebracht und auch körperlich mussten sie einiges leisten.
Im Gegensatz zu vielen anderen sind Moritz Kienzle und sein Team relativ gut ausgerüstet ins Ahrtal aufgebrochen. Baumaschinen, Schubkarren, einen Sprinter voll mit Handwerkzeugen und sogar einen Teleskoplader mit verschiedenen Anbauteilen sowie Wechselrädern haben die Ehinger Helfer mitgenommen, als sie am Sonntag vor einer Woche in Richtung Nord-Westen losgefahren sind.
In der Katastrophenregion angekommen, waren die Ehinger im sogenannten Haribo-Camp untergebracht, in dem die Helfer nicht nur Übernachten, sondern auch ihr Frühstück und ihr Abendessen bekommen. Dort werden zudem die Arbeitseinsätze für die vielen freiwilligen Helfer, die aus allen Teilen der Republik in die Region kommen, koordiniert. Von dort aus sind auch die Ehinger jeden Morgen an ihre Einsatzorte aufgebrochen. Mittagessen für die Helfer gibt es in der Stadt, an einem der zahlreichen DRK-Verpflegungsposten.
Die Organisation sei allgemein wirklich gut, lobt Moritz Kienzle: „Wenn man ins Ahrtal hineinfährt, gibt es gleich am Eingang eine mobile Tankstelle, wo die Helfer ihre Maschinen und Fahrzeuge wieder auftanken können, damit man gleich starten kann.“Ein Arbeitstag dauert von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends. Abends, zurück im Camp, sitzen die Freiwilligen zusammen und tauschen sich über das am Tag Erlebte aus. Ein wenig Geselligkeit gibt es, aber viele gehen früh ins Bett, um sich mit neuen Kräften den Strapazen des nächsten Tages zu stellen. Die Arbeit sei körperlich hart und nehme subjektiv gesehen kein Ende: „Wenn du einen Tag lang irgendwo aufgeräumt hast, ist dieser kleine Teil zwar ordentlich, aber wenn Du dann wieder zum Camp fährst und die Stadt siehst, wo soviel noch kaputt ist, dann deprimiert das und du glaubst, dass die Aufräumarbeiten nie fertig werden.“
Die Situation in dem von Fluten zerstörten Gebiet sei schlecht zu beschreiben, erklärt Kienzle. Anhand von Bildern, die er mitgebracht hat, zeigt er, wie er aus einer zerstörten Schule samt Turnhalle den Schutt heraus räumt. Trümmerberge türmen sich mehrere Meter hoch auf Straßen und zentralen Sammelplätzen – alles ist voller Schlamm oder Staub. Der Geruch durch den Schlamm, der sich mit der übergelaufenen Kanalisation vermischt hat, sei mittlerweile wohl besser, aber angenehm rieche es nicht. Wenn es mehrere Tage trocken war, sei das Atmen problematisch. Selbst bei kleinen, offenen Wunden sei der kontaminierte Staub besonders problematisch. Man müsse die Stelle sofort desinfizieren und verbinden, damit sich die Wunde nicht entzünde.
Die Flut und Schlammmassen haben ganze Lebensgeschichten, mit dem Hab und Gut der Menschen, einfach weggespült oder unter sich begraben. Kienzle und seine Helfer haben hauptsächlich an einer Schule gearbeitet, die perspektivisch schnell wieder funktionieren soll: „Wir haben da an drei Tagen mehr als 100 Tonnen Schutt und Schlamm rausgeholt, das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen.“Andere Gebäude seien nicht mehr zu retten. In manchen klaffen riesige Löcher.
Überall gebe es Bereiche, in denen noch gar niemand war. „Aus vielen Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern ist nur das Wasser abgepumpt worden und es wurde nach Leichen gesucht. Aber aufräumtechnisch ist dort noch nichts passiert“, berichtet Kienzle. Mit seinem Teleskoplader sei er an einen solchen Einsatzort gekommen. Dort hätten Freiwillige, bis er mit der Maschine kam, mit Eimern und einer langen Kette versucht, den Schlamm zu entfernen. Neben den Menschen kommen aber auch die Maschinen an ihre Grenzen. In der knappen Woche habe sein Lader schon beträchtlich gelitten.
Zerstörte Häuser, unterspülte Straßen oder loser Schutt, überall sind Straßenzüge mit Bauzäunen oder Trassierband von der Polizei, der Feuerwehr oder dem THW abgesperrt worden, weil es dort momentan zu gefährlich ist für Aufräumarbeiten. Als Eventveranstalter ist es Moritz Kienzle gewohnt, auch für komplizierte, abrupt auftretende Probleme schnell funktionierende Lösungen
zu finden. Wie im Katastrophengebiet schnell wieder Normalität einkehren kann, darauf hat aber auch der junge Ehinger keine Antwort. Es sei ein großes Gefühl der Machtlosigkeit, das man erfahre, wenn man als Helfer mit der ganzen Lage dort konfrontiert werde. „In der Stadt, heißt es, schreiten die Aufräumarbeiten schon relativ gut voran, aber es gibt auch noch Dörfer im Tal, wo bisher noch nichts passiert ist“, berichtet Moritz Kienzle, der, auch wenn er gerade in Ehingen ist, den Kontakt mit den Helfern vor Ort und den Organisatoren hält.
Die psychische Belastung für die Helfer ist noch größer als die physische, für manche auch zu groß, und so habe es schon Suizidversuche gegeben, ist Kienzle von anderen, die schon länger im Ahrtal helfen, berichtet worden. Ihm selbst, der, wie er sagt, eigentlich immer gelassen und positiv mit einer Prise Humor an Dinge herangeht, habe es die Sprache verschlagen. Nach seiner Rückkehr Mitte vergangener Woche sei er fix und fertig gewesen. „Ich bin in den vergangenen Tagen in Situationen gekommen und wurde vor Tatsachen gestellt, in denen ich einfach nur gehandelt habe. Zeit, um darüber nachzudenken, was um mich herum passiert, hatte ich nicht“, sagt der junge Ehinger.
Zeit, die Ereignisse zu realisieren, hat Moritz Kienzle erst gehabt, als er wieder zu Hause war. In der ersten Nacht habe er nicht schlafen können und sei den Tränen nahe gewesen, so sehr habe ihn das Schicksal der Menschen dort bewegt. Die Zerstörung sei unvorstellbar, wenn man sie nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Moritz Kienzle sagt: „Ich weiß nicht, wie es in einem Kriegsgebiet aussieht, aber so stelle ich es mir vor.“
Alles, was Kienzle gesehen oder erlebt hat, hat ihn sehr bewegt und bewegt ihn noch. Deshalb hat er gleich nach seiner Rückkehr angefangen, weitere Helfer zu motivieren. Mit acht Freiwilligen und weiteren Baufahrzeugen ist er am Sonntagmorgen wieder für eine halbe Woche ins Ahrtal aufgebrochen, um zu helfen. Auch dieses Mal haben ihn die Spedition Denkinger mit Kraftstoff für die Fahrzeuge und einige andere Ehinger mit kleineren Sachspenden für die Fahrt unterstützt.
„Ich weiß nicht, wie es in einem Kriegsgebiet aussieht, aber so stelle ich es mir vor.“Moritz Kienzle