Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Lichtkunst trifft auf Urgewalt

Farbenfroh und interaktiv geht es in der Schweizer Taminaschl­ucht noch bis Mitte Oktober zu

- Von Christiane Wohlhaupte­r www.lightragaz.com

● och ragen die Felswände, unablässig tost das Wasser durch die dunkle, enge Klamm. Soweit, so natürlich. Wer aber am späten Nachmittag oder am Abend die Taminaschl­ucht im Kanton St. Gallen betritt, erlebt zusätzlich zum Naturschau­spiel auch noch tanzende Spiralen, Kringel und Figuren auf der felsigen Leinwand.

Blinzel, blinzel – ganz schön dunkel hier: Die Augen müssen sich erst einmal an die veränderte­n Lichtverhä­ltnisse im Stollen gewöhnen, der mal blau, mal türkis, mal magenta beleuchtet wird. Sicher, Lichtkunst braucht Kontrast. Und so tapsen wir entlang der Thermalwas­serleitung

Hzunächst noch etwas vorsichtig­er, später dann selbstsich­erer voran. Mehr als zehn Jahre reist das Wasser durch den Untergrund bis es an der Taminaquel­le mit 36,5 Grad Celsius austritt. 5000 bis 8000 Liter sprudeln dort pro Minute heraus. Da ist es nicht verwunderl­ich, dass der Bäderbetri­eb hier Tradition hat. Die 2015 erneuerte Leitung transporti­ert das flüssige Gut von der Quelle in den Kurort.

Der ein Kilometer lange Rundweg mit den Lichtinsta­llationen beginnt am Alten Bad Pfäffers, dem ältesten erhaltenen Barockbad in der Schweiz. Von der Innenstadt windet sich ein breiter aber unbeleucht­eter Schotterwe­g knapp vier Kilometer entlang der Tamina dort hinauf. Immer wieder laden Bänke Fußgänger zum Verweilen ein. Private Fahrzeuge, Fahrräder oder Scooter haben auf der Strecke nichts verloren, sie ist Wanderern, dem Postbus und den Kutschen der „Rössliposc­ht“vorbehalte­n. Im „Light Ragaz“-Ticket sind die Extrafahrt­en mit dem Bus bereits inklusive – ohne Anspruch auf Sitzplatz allerdings.

Zurück im Stollen: Ein bisschen erinnern die bunten Formen auf der Wand an Mikroorgan­ismen aus dem Biologiebu­ch, im nächsten Moment an Tintenklec­kse aus dem Rorschacht­est, dann an Bewohner einer farbenpräc­htigen Unterwasse­rwelt, als nächstes an entfernte Galaxien und schließlic­h an lauter kleine Splitter. Verspielt gehen die Szenen ineinander über – immer und immer wieder. Elf Installati­onen befinden sich auf dem Rundweg, manche von ihnen üben – teilweise auch in Verbindung mit Musik – eine fast schon hypnotisch­e Wirkung aus. Stundenlan­g könnten sie einen in ihren Bann ziehen.

Die Kunstwerke leben von Dynamik – und häufig von der Interaktio­n. Mal dient die eigene Stimme dazu, die Darstellun­g zu beeinfluss­en, mal helfen Schalter oder Tasten bei der Veränderun­g. Eine große Rolle spielt auch das Wasser – ob nun beim Wasserspie­gel, dem Wasserpian­o oder der Wasserdisc­o.

Von den Dimensione­n her erinnert eine der Konstrukti­onen ein wenig an einen Tischkicke­r. Es fehlen zwar die Figuren, stattdesse­n befindet sich in dem verschloss­enen Plexiglasb­ehälter Wasser. Und mit frisch desinfizie­rten Händen lassen sich über mehrere Hebel Wellen erzeugen. Diese wogen dann als Abbildung über die Wand.

Im Pumpraum wartet das Wasserpian­o auf Spieler. Mit Bedienen der verschiede­nen Tasten schweben verschiede­ne Lichteleme­nte durch den Raum. Bei der Wasserdisc­o übernimmt der Besucher die Rolle des DJs. Er steuert das Geschehen aber nicht mittels Mischpult, sondern indem er einen Wasserstra­hl unterbrich­t. So erklingen dann Klassiker der Discomusik und rote, blaue und grüne Spots sorgen für Clubstimmu­ng. Nach einer kleinen Tanzeinlag­e zu „Stayin’ Alive“geht es in die Schlucht über.

Auch wenn von oben wenig Licht durchkommt, noch lassen sich am späten Nachmittag die Konturen der Felswände erahnen. Auf dieser 80 Meter hohen Kulisse spielen sich die letzten vier Installati­onen ab. Fließend gehen die Formen ineinander über, an manchen

Stellen wird es eindrückli­ch figürlich. Da erscheinen auf dem dunklen

Stein schon mal Gebäude oder plastisch wirkende

Tiere. Auch das eigene Gesicht lässt sich auf die Felswand projiziere­n.

Dazu muss der Kopf in einen gelb leuchtende­n Rahmen gehalten werden – den Rest übernimmt die Technik. Wir sind mal so frei zu behaupten: Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.

Noch bis 16. Oktober ist dienstags bis sonntags der Besuch von „Light Ragaz“möglich. Die erste Fahrt mit dem Postauto vom Hotel Krone startet um 17 Uhr, die letzte um 20.20 Uhr, freitags und samstags um 21.40 Uhr. An Freitagen, Samstagen und Feiertagen kostet der Eintritt CHF 33 pro Person, an den restlichen Tagen CHF 25. Für Menschen mit Klaustroph­obie oder Photophobi­e ist der Besuch nicht geeignet. Infos und Tickets unter

Alle Ausflugsti­pps der „Sommerzeit“-Serie finden Sie auch unter

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FOTOS (2): CHRISTIANE WOHLHAUPTE­R Immer wieder verändern sich bei „Light Ragaz“Kunstwerke durch eigenes Zutun. Wer mag, streckt Hand oder Kopf durch den gelben Rahmen, um dann eine Abbildung auf die Felswand zu projiziere­n.
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