Schülerausweis als Freifahrtschein
Kinder und Jugendliche können im Süden auch ohne Tests ins Kino und Restaurant
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STUTTGART - Baden-Württemberg ist vorgeprescht, Bayern hat nachgezogen: In beiden Bundesländern reicht inzwischen ein Schülerausweis, um ins Kino, ins Restaurant oder ins Museum gehen zu dürfen. Einen aktuellen Test braucht es laut der neuen Corona-Verordnungen nicht. Die Praxis sieht vielerorts anders aus, denn so manche Betreiber von Gaststätten und Veranstaltungshäusern pochen trotzdem auf einen Testnachweis zum Schutz vor Corona. Auch der oberste Elternvertreter aus dem Südwesten, Michael Mittelstaedt, äußert sich kritisch: „Das ist reine Politik, das hat nichts mit Wissenschaft zu tun.“
Seit Montag vergangener Woche gilt in Baden-Württemberg eine neue Corona-Verordnung, die Schutzmaßnahmen nicht mehr an Inzidenzwerte knüpft. Seitdem gilt ganz generell die 3G-Regel, um an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen oder etwa im Innenraum eines Restraurants zu essen. Das heißt: Wer geimpft, genesen oder getestet ist, darf rein. Ähnliches gilt in Bayern seit diesem Montag. Dort greift die konsequente 3G-Regel in einem Landkreis ab einem Inzidenzwert von 35.
Ein Detail der neuen Corona-Verordnungen der beiden Südländer polarisiert: Kinder und Jugendliche erfüllen automatisch die geltende 3GRegel. Als Nachweis reicht ein Schülerausweis, ein Schüler-Abo für den öffentlichen Nahverkehr oder jede sonstige schriftliche Bescheinigung einer Schule – etwa das letzte Zeugnis. Das baden-württembergische Sozialministerium von Manfred Lucha (Grüne) begründet das so: „Kinder und Jugendliche werden in der Schule regelmäßig getestet.“Für viele Schulen bedeutet die neue Regelung eine Entlastung, da sie den Kindern keine gesonderten Testbescheinigung mehr ausstellen müssen. Die dienten bislang etwa auch dazu, dass Kinder an Freizeitveranstaltungen, etwa im Sportverein, teilnehmen können.
Umstritten an der neuen Regelung ist aber, dass der Schülerausweis auch in Ferienzeiten ausreicht – aktuell also noch zweieinhalb Wochen –, obwohl die Kinder dann nicht regelmäßig getestet werden. „Die CoronaVerordnung unterscheidet nicht zwischen Schul- und Ferienzeit“, bestätigt ein Sprecher Luchas. „Die Landesregierung hat deshalb insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass Kinder und Jugendliche sich während der Sommerferien mehr im Familienverbund aufhalten und in der Regel weniger Kontakte haben als während der Schulzeit.“Schließlich seien sie nicht in ihrer Klasse, im Sportverein oder in sonstigen außerschulischen Veranstaltungen in dieser Zeit. Luchas Sprecher weist darauf hin, dass es auch während der Ferien möglich sei, einen Corona-Test zu machen – noch bis zum 11. Oktober sind diese kostenlos.
Schön und gut, sagt Rainer Straub aus Ravensburg. Er begrüßt die Regelung als äußerst pragmatisch. Der Vater zweier minderjähriger Söhne hat aber auch andere Erfahrungen gemacht – beispielsweise im Kino in Ravensburg. Hier gab es ohne aktuellen Test keinen Einlass. Dabei bleibt es laut Kino-Homepage auch, bis die Schule wieder begonnen hat und die Kinder regelmäßig getestet werden. Private Veranstalter dürfen strikter sein als das Land dies empfiehlt. Andernorts, etwa in einer Trampolinhalle in Bad Saulgau im Kreis Sigmaringen, hatte der Schülerausweis gereicht. „Insgesamt wäre es einfacher, wenn der Schülerausweis alle Türen öffnet“, sagt er. „Es fehlt der klare Aufruf des Landes: Liebe Veranstalter, bitte akzeptiert das.“Einen klaren, einheitlichen Kurs vermisst er.
Auch das Sozialministerium räumt ein, dass noch nicht alles rund laufe. „Es dauert natürlich immer eine gewisse Zeit, bis die Regeln auch zu allen Menschen vorgedrungen sind, beispielsweise in der Gastronomie“, sagt Luchas Sprecher. „Wir hatten bereits ein paar Anfragen zu diesem Thema, aber letztlich ist das eine sehr einfache und pragmatische Lösung, sodass sich Sorgen oder Vorbehalte meist in Luft auflösen.“Überhaupt sei dieses Vorgehen „infektiologisch vertretbar und eine pragmatische Lösung im Sinne der Kinder und Jugendlichen“.
Angesichts weiter steigender Infektionszahlen sehen das nicht nur manche Unternehmer anders. „Die Rechnung geht nicht auf“, sagt auch Elisabeth Schili, Pressesprecherin des Landesschülerbeirats. „In den Ferien werden Schülerinnen und Schüler nicht getestet, haben aber trotzdem einen Freifahrtschein“, kritisiert sie. Darüber hinaus besuchten gar nicht alle Schüler die Schule und würden daher nicht regelmäßig getestet – wenn sie etwa bereits einen Abschluss in der Tasche haben, oder krankheitsbedingt der Schule fern bleiben. Auch böten die bislang zwei Tests pro Wochen keinen dauerhaften Schutz. „In Hinblick auf die steigenden Zahlen dürfen wir jetzt nicht fahrlässig werden“, warnt Elisabeth
Schilli. „Ein funktionierender Infektionsschutz ist die Voraussetzung für eine Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens und des Unterrichts vor Ort.“Der Landesschülerbeirat fordert, auch weiterhin auf Testzertifikate der Schule zu setzen.
Genau diesen Aufwand wollten die Schulen lange schon abschaffen, betont Baden-Württembergs oberster Elternsprecher Michael Mittelstaedt. „Die Schulen haben lange darüber gejammert, Testbescheinigungen ausstellen zu müssen.“Für ihn bedeutet die neue Regelung einen Paradigmenwechsel, wie er sagt. Im Vordergrund stehe nun nicht mehr der Schutz der Allgemeinheit, jeder müsse sich um seinen Schutz nun selbst kümmern. „Ich finde es merkwürdig, dass auch in den Ferien ein Schülerausweis reicht“, sagt auch er. Für die Eltern und Kinder sei das praktisch. „Mit Blick auf die Schulöffnungen ist das aber wirklich das Allerletzte“, sagt Mittelstaedt. „Wir sehen ja in anderen Bundesländern, dass der Urlaub das Hauptproblem ist. Die Leute nicht gleich zu testen, halte ich für verwerflich, da wir unseren Kindern keine erneuten Schulschließungen oder Wechselunterricht zumuten dürfen.“Bei massiv steigenden Infektionsraten befürchtet er diese aber.