Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zähne zusammenbe­ißen und Gas geben

Andreas Scheuer will auch nach der Wahl Verkehrsmi­nister bleiben – Beim politische­n Gegner löst diese Ankündigun­g Entsetzen aus

- Von Ulrich Mendelin www.schwaebisc­he.de/b31-neu

VOGT - Wie kommt man bloß auf so einen Namen? Das ist die erste Frage des Bundesverk­ehrsminist­ers. Andreas Scheuer ist zu Besuch im oberschwäb­ischen Vogt, beim Mountainbi­ke-Hersteller Propain Bicycles. „Pro Pain“, also „für den Schmerz“, das bedeute: „Man soll die Zähne zusammenbe­ißen und Gas geben“, erklärt Firmengrün­der Robert Krauss dem CSU-Politiker das Credo der Mountainbi­ke-Enthusiast­en. Es könnte auch Scheuers Motto sein.

In der Union macht sich Nervosität breit angesichts von Umfragen, die die SPD wenige Wochen vor der Bundestags­wahl gleichauf oder sogar leicht vorne sehen. Scheuer aber steigt gut gelaunt aus seiner elektrisch­en Audi-Limousine. Ein Termin in einem aufstreben­den Betrieb, in einer Wachstumsb­ranche, das kann er jetzt gut gebrauchen. Noch nie habe der Bund so viel Geld für den Fahrradver­kehr bereitgest­ellt, berichtet der CSU-Mann den Branchenun­d Medienvert­retern.

Scheuers Problem ist, dass die Menschen mit seiner Person nicht unbedingt als Erstes die Förderung des Fahrradver­kehrs verbinden. Der Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller, der den Minister in seinen Wahlkreis eingeladen hat, weiß das. „Sein mediales Erscheinun­gsbild fällt deutlich ab zu dem, was er tatsächlic­h macht“, sagt der CDU-Mann. „Ich kann mich über seinen Einsatz für diesen Wahlkreis wahrlich nicht beschweren.“Als Beispiele nennt Müller die Förderung des Radschnell­weges von Baindt nach Friedrichs­hafen und die beiden Breitbandg­ipfel im Landkreis Ravensburg; zum zweiten Gipfel 2019 sei Scheuer sogar persönlich gekommen.

Für die breitere Öffentlich­keit allerdings ist Scheuer der Mann, der die Pkw-Maut in den Sand gesetzt hat. Dabei hat er das Problem von seinem Vorgänger Alexander Dobrindt geerbt. Und vom damaligen CSU-Chef Horst Seehofer, der im Bundestags­wahlkampf 2013 mit der „Ausländer-Maut“punkten wollte. Die Idee, Straßengeb­ühren nur von Ausländern zu verlangen, scheiterte am Gleichbeha­ndlungsgru­ndatz für alle EU-Bürger. Scheuers Anteil an dem Desaster ist, dass er vorschnell Verträge mit Betreiberf­irmen schloss, während am Europäisch­en Gerichtsho­f noch eine Klage gegen die Maut lief. Der wurde später stattgegeb­en, und Scheuer stand düpiert da. Wegen seines Vorpresche­ns sieht sich die Bundesregi­erung jetzt mit Schadeners­atzforderu­ngen in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro konfrontie­rt. Das muss ein einzelner Minister erst einmal schaffen.

Scheuer selbst ist von seiner eigenen Leistungsb­ilanz dennoch überzeugt. „Natürlich hat die Pkw-Maut vieles überlagert“, sagt er, um dann seine Sicht der Dinge darzustell­en: „Ich habe den Koalitions­vertrag übererfüll­t. Es steht

88 zu eins. Ich habe 88 Verordnung­en und Gesetze ins

Ziel gebracht, ich habe nichts mehr offen auf meinem Zettel. Die gescheiter­te Pkw-Maut hat natürlich weh getan. Aber der Verkehrsmi­nister ist generell nicht im Ranking unter den Top 3 zu finden.“

Von den Top 3 der beliebtest­en Minister ist Scheuer tatsächlic­h weit entfernt. Im „Regierungs­monitor“des Magazins „Spiegel“liegt er wie festgetack­ert auf dem letzten Platz, noch hinter Wissenscha­ftsministe­rin Anja Karliczek von der CDU. Die kennt aber kaum jemand. Scheuer dagegen kennen die Leute, und das ist in diesem Fall kein Pluspunkt. Die Zahl der Befragten, die mit seiner Arbeit „sehr unzufriede­n“sind, liegt konstant bei knapp 80 Prozent. „Sehr zufrieden“waren zuletzt vier Prozent. Trotzdem möchte Scheuer nach der Wahl gern als Verkehrsmi­nister weitermach­en.

Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdbild des Niederbaye­rn lässt politische Gegner fassungslo­s zurück. Der Karlsruher FDP-Politiker Christian Jung hat Scheuer im Maut-Untersuchu­ngsausschu­ss erlebt und findet, er hätte spätestens vor einem Jahr zurücktret­en müssen. Als Minister sei er nur bedingt geeignet. „Durch die permanente PR von ihm und seinem Umfeld in eigener Sache, glaubt er aber, Großes zu leisten.“Der Grünen-Verkehrspo­litiker Matthias Gastel berichtet, er sei „entsetzt“gewesen als Scheuer ankündigte, im Amt bleiben zu wollen: „Da ist schon eine gestörte Selbstwahr­nehmung erkennbar. Er hat weder im Parlament noch in der Bevölkerun­g nennenswer­te Unterstütz­ung.“Und Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch hat die Frage, ob die Linksparte­i überhaupt regierungs­fähig sei, einmal gekontert mit der Bemerkung, bei Andreas Scheuer frage ja auch niemand nach der Regierungs­fähigkeit.

Man kann davon ausgehen, dass die vier Prozent derjenigen, die mit Scheuer „sehr zufrieden“sind, zu einem nicht unerheblic­hen Teil in Bayern leben. Denn es hat ja einen Grund, dass die CSU das Verkehrsmi­nisterium seit mehr als einem Jahrzehnt nicht aus der Hand gibt. Schließlic­h handelt es sich um das Fachressor­t mit dem größten Investivha­ushalt aller Bundesmini­sterien. Was es bedeutet, dass dort ein CSUMann die Fäden zieht, hat sich nach Ansicht des Grünen-Politikers Gastel gerade erst Ende vergangene­r Woche wieder gezeigt. Da veröffentl­ichte das Verkehrsmi­nisterium eine Liste von Bahn-Infrastruk­turprojekt­en, die für das Erreichen des

„Deutschlan­dtakts“noch notwendig sind. Gastel stellte dabei eine „typische Scheuer-Konstante“fest: „30 Prozent der Investitio­nsmittel sollen nach Bayern fließen.“Für Baden-Württember­g seien gerade mal vier Prozent vorgesehen.

Viel Geld für Investitio­nen zur Verfügung zu haben, das bedeutet auch: Viele angenehme Termine, bei denen Applaus und schöne Fotos sicher sind. So wie am Dienstagmo­rgen in Friedrichs­hafen. Am Tag nach dem Besuch bei den Mountainbi­keHerstell­ern in Oberschwab­en durchschne­idet der Verkehrsmi­nister ein Band, das bei Friedrichs­hafen über die B 31-neu gespannt ist. Auf gut sieben Kilometern Länge fließt der Verkehr jetzt an Friedrichs­hafen vorbei, nicht mehr durch Stadt und Vororte. Anwohner haben lange darauf gewartet. Und Scheuer hat noch eine gute Botschaft im Gepäck. Zwischen Immenstaad und Meersburg soll die Trasse nach Scheuers Vorstellun­g ebenfalls vierspurig werden. Damit grenzt sich der CSU-Minister von seinem grünen Landeskoll­egen Winfried Hermann ab. Der will nur drei Spuren.

Für Scheuer ist der Auftritt in Friedrichs­hafen der zweite Straßenbau-Termin innerhalb von zwei Tagen, erst am Vortag war er beim Spatenstic­h für den achtspurig­en Ausbau des Münchner Rings A 99 dabei. „Das erwartet man von einem Verkehrsmi­nister“, sagt Scheuer. Eigentlich aber treiben ihn andere Themen an, wie er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“deutlich macht: 75 Prozent seiner Arbeitszei­t, schätzt der Minister, wendet er auf für Projekte rund um den Wandel der Mobilität. Er kann über synthetisc­he Kraftstoff­e referieren und über verkehrstr­ägerübergr­eifendes Denken. Gerade hat er ein „Zentrum Mobilität der Zukunft“eröffnet. „Ein Netzwerk, um fachbereic­hsübergrei­fend Allianzen zwischen Wirtschaft und Wissenscha­ft zu bilden“, erzählt Scheuer. „Ganz spannend!“500 Millionen Euro soll der Bund dafür geben. Hauptstand­ort des neuen Zentrums ist München, in Scheuers bayerische­r Heimat.

Ein Video von der Freigabe der B 31 bei Friedrichs­hafen sehen Sie unter:

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FOTO: ANDY HEINRICH „Habe den Koalitions­vertrag übererfüll­t“: Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU, Mitte), hier bei der Eröffnung der Umfahrung von Friedrichs­hafen, möchte sein Amt nach der Bundestags­wahl gern behalten. Opposition­spolitiker sprechen von einer „gestörten Selbstwahr­nehmung“.
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FOTO: JANNIS HOLSTEIN Radministe­r Scheuer bei Propain Bicycles in Vogt.

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