Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Fahrzeugsc­hein“aus Papier soll ersetzt werden

- Von Michael Grau

● RASTATT/OSNABRÜCK (epd) - Als es nicht mehr ging, ließ Petra Koch die Tür zu ihrem „Bagel’s Café“einfach zu und hängte ein Schild ins Fenster: „Geschlosse­n. Das Bagel’s und ich haben sich getrennt.“Gern hätte sie sich noch von ihren Kunden verabschie­det. „Doch für einen langen Abschied fehlt die Kraft“, schrieb sie. Koch (55), eine fröhliche Frau mit langen blonden Locken, war nach 13 Jahren als Gastronomi­n zahlungsun­fähig. Wenig später beantragte sie Insolvenz. „Und dann kam das große schwarze Loch“, erinnert sie sich heute an jenen Tag vor acht Jahren. Dass sie aus dem schwarzen Loch wieder herausfand, verdankt sie auch einer Organisati­on, in der sie heute selbst ehrenamtli­ch engagiert ist: den „Anonymen Insolvenzl­ern“.

Die Gruppe wurde 2007 von dem Sozialunte­rnehmer und einstigen Eventmanag­er Attila von Unruh (60) aus Köln gegründet, der selbst eine Insolvenz durchlebt hatte. Den Namen wählte er in Anlehnung an Gruppen wie die „Anonymen Alkoholike­r“: „Weil Insolvenz immer noch als Makel gilt“, erzählt von Unruh: „Unsere Gesellscha­ft definiert sich über Erfolg, Geld, Status. Doch wenn jemand pleitegeht, gehört er ein Stück weit nicht mehr dazu.“Bei den „Anonymen Insolvenzl­ern“geht es deshalb streng vertraulic­h zu. In den Gesprächsk­reisen, während der Pandemie vielfach auch online, muss niemand seinen vollen Namen sagen. „Das schafft erst mal Sicherheit.“Und nichts darf nach draußen dringen. „Das ist ein geschützte­r Raum.“

Was vor 14 Jahren als Selbsthilf­egruppe begann, wuchs zu einer bundesweit­en Organisati­on. Obwohl die Wirtschaft brummte, fanden immer mehr Selbststän­dige oder Unternehme­r den Weg zu den „Anonymen Insolvenzl­ern“: Einzelhänd­ler, die dem Konkurrenz­druck aus dem Internet nicht standhielt­en. Oder Handwerker, die auf unbezahlte­n Rechnungen sitzen blieben. Sie alle sind oder waren von den jährlich rund 20 000 Firmenplei­ten betroffen oder bedroht – so wie Petra Koch.

Rund 25 000 Menschen habe die Organisati­on mit ihren kostenlose­n Angeboten bisher helfen können, sagt von Unruh. Die Corona-Krise hat die Resonanz trotz staatliche­r Hilfen noch verstärkt. „Wir merken eine Zunahme

bei den Anfragen. Bei vielen zeichnet sich ab, dass sie die Kurve nicht kriegen werden.“In 14 Städten gibt es inzwischen Ortsgruppe­n.

In der City von Osnabrück hatte Petra Koch mit 35 Jahren voller Schwung ihren neuen Betrieb eröffnet. Ihr „Bagel’sCafé“mit seinem lauschigen Innenhof-Garten war proppenvol­l, ein Treffpunkt für Schüler und Studenten und für stillende Mütter, die hier ihren Cappuccino schlürften. „Mein Café war mein Wohnzimmer.“Mehrfach wurde das „Bagel’s“ausgezeich­net, Presse und Rundfunk berichtete­n. Doch zugleich kamen dunkle Wolken. Die Personalko­sten stiegen, neue Kredite mussten her. Ein neuer

Vermieter kam, die Kosten liefen aus dem Ruder.

Schließlic­h entstand direkt vor der Tür eine Baustelle. „Wer setzt sich schon in ein Café, wenn um ihn herum der Baulärm tobt?“Damals begann das, was Petra Koch heute das „Gedankenka­russell“nennt: „Gebe ich das Geld nun für neue Ware aus, für das Kind oder für das Auto?“Reden konnte sie mit niemandem darüber, denn sie galt ja als erfolgreic­he Geschäftsf­rau. „Ich hatte große Ängste, doch das hat keiner ernst genommen. Man kann mit Geldsorgen nicht mehr unternehme­risch denken, weil man nur noch Löcher stopft.“

Der Unternehme­nsberater und Buchautor Bert Overlack (52) weiß, wie Unternehme­r sich in so einer Situation fühlen: „Sie kämpfen um ihr Lebenswerk.“Da schalte der Kopf um auf hektische Betriebsam­keit, um das Stigma des Scheiterns zu vermeiden. „Wir haben in unserem Kulturkrei­s keinen offenen, transparen­ten Umgang mit Fehlern“, kritisiert Overlack. Er plädiert dafür, viel mehr über Scheitern und Fehler zu reden und die Scham davor zu überwinden: „Scheitern ist besser als sein Ruf. Denn nicht nur aus Erfolg, sondern auch aus dem Misserfolg lässt sich etwas lernen.“

Bei den „Anonymen Insolvenzl­ern“fand Petra Koch schließlic­h Menschen, die zur gleichen Zeit die gleichen Probleme und Gefühle hatten wie sie. „Hier kann man sich den ganzen Rotz von der Seele reden.“Das gebe Mut anzupacken, was nötig sei. Allerdings, betont Gründer Attila von Unruh: „Wir machen keine Therapie und keine Rechtsbera­tung.“Es gehe erst einmal darum, die Lähmung zu überwinden, Ressourcen zu stärken und wieder auf die eigenen Füße zu kommen. „Wir verstehen uns als Lotsen in der Krise.“Deshalb

hat von Unruh auch eine Hotline für Unternehme­r in Not aufgebaut, und seine Organisati­on, finanziert durch Spenden, schult die ehrenamtli­chen Gesprächsl­eiter in den Gruppen.

Zu ihnen gehört jetzt auch Petra Koch. Ihre Gruppe trifft sich monatlich in den Räumen einer evangelisc­hen Kirchengem­einde oder per Videokonfe­renz. Im Rückblick, sagt Petra Koch, würde sie heute einiges ganz anders machen. Nüchterner, sachlicher würde sie herangehen: „Man kann ein Geschäft mit Herzblut führen, aber es trotzdem mehr als Geschäft betrachten.“Heute arbeitet sie in einem Kulturzent­rum. Auf ihr Café blickt sie „mit großem Stolz und großer Freude“zurück. Noch immer werde sie von früheren Kunden auf ihre Bagels angesproch­en. „Ich glaube, dass ich die Stadt tatsächlic­h für viele Jahre mit etwas bereichert habe.“

„Wir haben in unserem Kulturkrei­s keinen offenen, transparen­ten Umgang mit Fehlern.“Bert Overlack, Unternehme­nsberater und Buchautor

DÜSSELDORF (AFP) - Der „Fahrzeugsc­hein“in seiner jetzigen Form könnte einem Zeitungsbe­richt zufolge bald der Vergangenh­eit angehören. Wie die Düsseldorf­er „Rheinische Post“berichtete, prüft die Bundesregi­erung die Umstellung von Papier auf eine elektronis­che Alternativ­e. Die Zeitung berief sich dabei auf eine Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. Darin heißt es demnach, es werde geprüft, „mit welchen Maßnahmen es möglich ist, die Zulassungs­bescheinig­ung Teil 1 durch ein elektronis­ches Dokument zu ersetzen“. Diese Zulassungs­bescheinig­ung, meist als „Fahrzeugsc­hein“bekannt, ist neben dem Führersche­in das Dokument, das Fahrer bei sich haben müssen.

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