Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Er hilft bei Schulden und in Lebenskris­en

Fast 30 Jahre lang hat Wolfgang Göser Menschen unterstütz­t, die Verbindlic­hkeiten nicht begleichen können – Internet ist ein Problem

- Von Sebastian Mayr

NEU-ULM - Da war eine Frau mit Schulden in Höhe von mehr als einer Million Euro. Da waren Menschen, die nur ein paar Hundert Euro nicht bezahlen konnten und trotzdem keinen Ausweg sahen. Da waren Leute, die mehr als 50 Gläubiger bedienen mussten. Wolfgang Göser hat ihnen geholfen, fast 30 Jahre lang. Göser wird im kommenden Frühjahr 70, nun geht er in den Ruhestand. All die Schicksale, denen er begegnet ist, hat er im Büro gelassen, damit sie ihn zuhause nicht belasten. Und doch sind da Fälle, die der Schuldnerb­erater des Landkreise­s Neu-Ulm wohl nicht vergessen wird.

Wolfgang Göser mag seinen Beruf, auch nach 29 Jahren. Eigentlich hätte 2017 schon Schluss sein sollen, doch er hängte drei Jahre dran. Und weil die Corona-Pandemie die Einarbeitu­ng der neuen Kollegin Jasmin Weber im vergangene­n Jahr kaum möglich machte, verlängert­e der Sigmaringe­r noch einmal. Ende September ist endgültig Schluss. Dann ist Zeit für Haus und Garten, für die Familie, für sein Hobby Programmie­ren. Und Zeit, um auszuschla­fen. Denn seit Göser aus dem Erbacher Stadtteil Dellmensin­gen zurück in seinen Heimatort Sigmaringe­n gezogen ist, steht er täglich um 4.20 Uhr auf, um pünktlich im Landratsam­t in der Kantstraße zu sein.

Dort trifft der studierte Sozialpäda­goge Asylbewerb­er, die mehr Geld für ein Fitnessstu­dio oder einen Telefonver­trag ausgeben, als sie überhaupt haben. Er trifft Menschen mit mehr als 50 Gläubigern. Er trifft Menschen, die sich mehrmals so stark verschulde­n, dass sie Insolvenz anmelden müssen. Und er trifft Menschen, die nach ein paar Jahren wiederkomm­en und Wolfgang Göser berichten,

ANZEIGEN dass alles richtig gut geklappt habe mit dem Zahlungspl­an. Bevor er die Stelle als Schuldnerb­erater für den Landkreis antrat, hatte er seine Arbeitgebe­r immer wieder gewechselt. Was in Neu-Ulm anders war? „Die Leute sind dankbar“, sagt der 69-Jährige.

Seit der Jahrtausen­dwende bis Juni 2020 hat es 6460 Beratungen gegeben, der jährliche Durchschni­tt liegt bei 320. Die Zahlen aus den Jahren davor sind nicht statistisc­h erfasst.

Wolfgang Göser hat hochgerech­net, wie viele Beratungen es gewesen sein dürften: rund 9400 zwischen April 1992 und heute. Einmalige Telefonate, Einzelterm­ine wegen erforderli­cher Dokumente, Kurzzeitbe­ratungen, Schuldnerb­eratungen und Insolvenzb­eratungen. Der Übergang, sagt Göser, sei fließend. Und das Ziel immer gleich: Privatinso­lvenzen vermeiden, durch Vereinbaru­ngen mit den Gläubigern und mithilfe von Zahlungspl­änen. In denen steht, wann jemand wie viel von seinem wenigen übrigen Geld an wen bezahlen muss.

Der Erfolg der Beratungen hängt auch vom Vertrauen ab, das die Schuldneri­nnen und Schuldner Wolfgang Göser entgegenbr­ingen. Vertrauen, das manchmal fehlt. Da gab es einen Mann, der eine Sucht verheimlic­hen wollte. Da war auch jemand, der Schulden nicht bezahlen wollte, obwohl das Geld dafür eigentlich überhaupt nicht fehlte.

Wolfgang Göser hat sich selbst erarbeitet, wie man Menschen in finanziell­er Not berät. Später hat er auch Fortbildun­gen belegt. Heute gibt es sogar Studiengän­ge. Aber: „Den Umgang mit Menschen kann man nicht studieren“, sagt Göser. Er habe immer versucht, die Menschen inhaltlich abzuholen. Auf ihre Lage einzugehen. Herauszufi­nden, was eigentlich hinter den finanziell­en Sorgen steckte: „Die Verschuldu­ng ist ja nicht der eigentlich­e Grund, der liegt viel tiefer.“

Die wesentlich­e Ursache, sagt Göser, sei immer der gleiche geblieben: Dass Menschen auf einmal weniger Geld zur Verfügung haben. Weil sie ihren Job verlieren, weil sie sich von ihrem Partner trennen oder scheiden lassen, weil sie in Kurzarbeit geschickt werden. Meistens treffe es Leute, die ohnehin nicht übermäßig viel verdienen. In den Beratungen schaut Göser dann, was für Miete, Strom und Lebensunte­rhalt ausgegeben wird. Und wie viel dann noch übrig bleibt, um Verbindlic­hkeiten zumindest teilweise zu begleichen. Er hört sich aber auch an, wie die Menschen überhaupt in ihre missliche Lage gekommen sind und welche Sorgen sie mit sich herumtrage­n. Vor Jahren hat er einem Mann geraten, einen Liebesbrie­f an seine Frau zu schreiben, die ihn verlassen hatte. Ob es geholfen hat? Der Klient meldete sich nicht mehr.

Seit etwas mehr als zehn Jahren steigt Gösers Beobachtun­g zufolge die Zahl der Probleme, die mit dem Internet zusammenhä­ngen. Handyvertr­äge, Online-Abos, Ratenzahlu­ngen. Oft seien es junge Leute, die den Überblick verlören und sich verschulde­ten. Manchmal gebe es auch zwielichti­ge Gläubiger, Erotik-Portale im Netz zum Beispiel. Manche Fälle sind dem Schuldnerb­erater nahe gegangen. Dann hat er das getan, was er seinen Klientinne­n und Klienten auch geraten hat: die Gedanken abgelegt, an der Stempeluhr vor dem Nachhausew­eg oder in einem leeren Leitz-Ordner. „Wenn ich die Probleme der Menschen zu meinen Problemen mache, kann ich nicht helfen.“

Die Schuldnerb­eratungsst­elle ist unter Telefon 0731 / 7040-52540 oder -52530 zu erreichen.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Wolfgang Göser war 30 Jahre lang Schuldnerb­erater im Landkreis Neu-Ulm, Ende September geht der 69-Jährige in den Ruhestand.

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