Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Merkel spricht von Schmerz und Bitternis

In ihrer letzten Regierungs­erklärung zu Afghanista­n wird die Kanzlerin persönlich

- Von Ellen Hasenkamp

BERLIN - „Bitter“. Das ist das Wort, das Angela Merkel an diesem Tag am häufigsten verwendet in ihrer Rede vor dem Bundestag – rund ein halbes Dutzend Mal kommt es in ihrer Regierungs­erklärung vor. Die Kanzlerin spricht außerdem von „furchtbare­n menschlich­en Dramen“, von „einer Tragödie“und einem „atemberaub­end schnellen“Zusammenbr­uch in Afghanista­n.

Die sonst so nüchterne Kanzlerin wird sogar persönlich, als sie an einen BKA-Beamten aus ihrem eigenen Personensc­hutzkomman­do erinnert, der im Sommer 2007 in Afghanista­n getötet wurde. Sie sei noch immer in Kontakt mit dessen Eltern, sagt Merkel und fügt hinzu, sie könne „nur ahnen, wie groß ihr Schmerz gerade jetzt wieder sein muss“. Gerade jetzt, da die Taliban das Land wieder übernommen haben und alles umsonst gewesen zu sein scheint.

Bitter ist die Lage also auch für Angela Merkel. Ausgerechn­et sie, die sich als Bundeskanz­lerin stets das Militärisc­he so weit wie möglich vom Leib halten wollte, wird nun auf den letzten Metern ihrer Kanzlersch­aft von einem gescheiter­ten Armee-Einsatz eingeholt, den sie zwar unterstütz­t, aber nicht einmal selber in Gang gebracht hatte. Doch trotz der langen Zeit sowohl Merkels im Amt als auch der Bundeswehr in Afghanista­n ist es erst ihre dritte Regierungs­erklärung zu dem Thema. Und zugleich ihre vermutlich letzte.

Ausgesucht hat sie sich das auch diesmal nicht, ebenso wie bei den beiden vorherigen Reden. Stets war es die Dramatik der Ereignisse, die sie als Regierungs­chefin zwang, sich zu erklären: 2009 nach dem Blutbad in Kundus und 2010, als in kurzer Zeit zahlreiche deutsche Soldaten am Hindukusch starben.

Dass Merkel, wie auch vielen anderen Rednerinne­n und Rednern im Parlament, die dramatisch­en Szenen am Flughafen Kabul zu Herzen gehen, nimmt man ihr ab. Wirklich Verantwort­ung übernimmt die Kanzlerin aber nicht – jedenfalls verteilt sie die Verantwort­ung für die Entwicklun­g in Afghanista­n so breitfläch­ig über die internatio­nale Staatengem­einschaft, die rot-grüne Vorgängerr­egierung, die afghanisch­en Eliten und die allgemeine­n Risiken der Außenpolit­ik, dass am Ende für ihre Bundesregi­erung und sie selbst nur ein ziemlich kleiner Teil übrig bleibt. „Deutschlan­d ist ja keinen Sonderweg gegangen“, hält Merkel beispielsw­eise fest. Sie erwähnt, dass die afghanisch­e Führung den Widerstand teilweise „gar nicht erst aufgenomme­n“habe. Sie erinnert daran, dass die hohen Ziele von „bürgerlich­en Freiheiten“und „Menschenre­chten“schon vom früheren grünen Außenminis­ter Joschka Fischer ausgegeben worden seien.

Schief gegangen ist in Afghanista­n aber nicht nur das große Ganze, sondern auch die Vorbereitu­ng auf

Abzug und Evakuierun­g. Auch das allerdings weist Merkel größtentei­ls zurück, erneut garniert mit einer „persönlich­en Anmerkung“, diesmal allerdings keiner emotionale­n, sondern einer „etwas zugespitzt­en“. In Richtung all derer, die nun sagen, man hätte schon viel früher handeln müssen, sagt Merkel: „Hinterher, im Nachhinein, präzise Analysen und Bewertunge­n zu machen, das ist nicht wirklich komplizier­t.“Das ist in der Tat etwas spitz – und spätestens jetzt durchzieht auch die Rede der Kanzlerin ein Hauch von Wahlkampf.

SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich hat da weniger Hemmungen und nutzt seinen Auftritt unverblümt dafür, gegen den Vorschlag eines Nationalen Sicherheit­srats von Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet zu stänkern und diese Methode als „delegieren von Verantwort­ung“zu brandmarke­n. Dem setzt er das Ideal eines „erfahrenen Regierungs­chefs“entgegen, den Namen von SPD-Vizekanzle­r Olaf Scholz muss man sich dann nur noch dazu denken.

FDP-Chef Christian Lindner wiederum fordert nicht nur „personelle Konsequenz­en“und einen EU-Sondergipf­el,

sondern nutzt die angekündig­te Enthaltung der Linken auch für Warnungen vor den außenpolit­ischen Gefahren durch ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis. Auch aus SPD und Grünen kam Kritik an der Linksparte­i wegen deren Stimmentha­ltung.

Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock bestand im Bundestag auf einem Untersuchu­ngsausschu­ss, den die Grünen am liebsten schon jetzt für die nächste Legislatur­periode beschließe­n würden. Die SPD plädiert dagegen für eine Enquetekom­mission.

 ??  ?? Regierungs­bankrotter­klärung
Regierungs­bankrotter­klärung

Newspapers in German

Newspapers from Germany