Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Kleinen ernähren sich zu ungesund

Lebensmitt­elindustri­e ignoriert Selbstverp­flichtung für Kinderwerb­ung

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Wenn Kinder Werbung für Lebensmitt­el sehen, sind die Chancen sehr hoch, dass das Produkt für sie ungesund ist. 85,5 Prozent der Produkte, die gezielt die Jüngsten ansprechen sollen, enthalten zu viel Zucker, Fett oder Salz und sind nach Kriterien der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) unausgewog­en. Das ergab eine gemeinsame Marktstudi­e der Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch mit der Deutschen Allianz Nichtübert­ragbare Krankheite­n (DANK). Für die Studie wurden 283 Produkte untersucht, vor allem Chips, Frühstücks­flocken, Schokolade und Süßgetränk­e.

Damit ignoriert die Industrie zu weiten Teilen eine Selbstverp­flichtung. Für die Studie wurden nur an Kinder beworbene Produkte von Unternehme­n unter die Lupe genommen, die die sogenannte EU Pledge unterzeich­net haben. In dieser haben sich im Jahr 2007 insgesamt 23 global agierende Lebensmitt­elunterneh­men dazu verpflicht­et, keine Produkte an Kinder unter zwölf Jahren zu bewerben, die die Nährwertan­forderunge­n des „U Pledges nicht erfüllen. Unterzeich­net haben unter anderem die Burgerkett­en McDonald’s und Burger King, Nestlé, Unilever und Coca-Cola.

Die Anforderun­gen basieren dabei auf Vorgaben durch die WHO für eine ausgewogen­e Ernährung, es geht vor allem um die Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kalorienge­halt oder zugefügte Süßstoffe spielen eine Rolle. Vor sechs Jahren waren es bei der Vorgängers­tudie noch mehr beworbene Produkte, die der Selbstverp­flichtung nicht gerecht wurden: 89,7 Prozent. Ein leichter Rückgang ist also festzustel­len, allerdings auf sehr hohem Niveau. Ein durchschni­ttliches Kind sieht in Deutschlan­d pro Tag 15 Werbespots für ungesunde Lebensmitt­el. „Die Werbung wirkt, deswegen macht man sie“, sagt Berthold Koletzko, Vorsitzend­er der Stiftung Kindergesu­ndheit an der LudwigMaxi­milians-Universitä­t in München.

Besonders bei Kindern: Bis sie vier Jahre alt sind, können die Kleinen Programm und Werbung nicht unterschei­den. „Weil Werbung für ungesunde Produkte eingesetzt wird, macht sie Kinder krank“, sagt Koletzko. Die Unternehme­n wiederum werben vor allem deswegen so gerne für Junkfood, weil die Produkte hohe Umsatzrend­iten erwirtscha­ften: Für Frühstücks­flocken und Snacks sind es mehr als 18 Prozent, für Süßwaren 15 – für Obst und Gemüse hingegen unter fünf.

Die Hersteller argumentie­ren, dass sie den Anteil an Zucker über die Jahre gesenkt hätten. So rechnet

Kellogg’s für die Frühstücks­flocken „Smacks“vor, dass das Produkt im Vergleich zu 2015 rund 20 Prozent weniger Zucker beinhalten würde. Das stimmt auch. Aber: Die Flocken bestehen immer noch zu einem Drittel aus Zucker. „Das ist trotz der Reduktion mehr als doppelt so viel, wie die WHO empfiehlt“, heißt es bei Foodwatch.

Das Resultat ist sichtbar: 5,9 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen in Deutschlan­d leiden an Adipositas. „Innerhalb von vier Jahrzehnte­n hat sich der Anteil mehr als verachtfac­ht“, erklärt Koletzko. Und weil sich das früh erlernte Ernährungs­verhalten im weiteren Leben häufig manifestie­rt, trägt die Gesellscha­ft am Ende enorme Kosten. 393 Milliarden Euro Ausgaben werden, über die Lebenszeit gerechnet, für heute übergewich­tige Kinder anfallen, rechnet Koletzko vor.

Gesunde Ernährung wird auch immer mehr zu einer sozialen Frage. „Die sozioökono­mischen Unterschie­de werden deutlich größer“, sagt Koletzko. Das habe damit zu tun, dass die verschiede­nen Aufklärung­skampagnen die obere Schicht zwar gut erreichten, die untere aber nicht. „Das ist ethisch nicht vertretbar“, findet der Facharzt für Kinderernä­hrung – und setzt bei der Werbung an. Die freiwillig­e Beschränku­ng, auf die auch die Regierung setze, sei nicht ausreichen­d. Beispiele, wie es gehen kann, gibt es im Ausland. Einige Länder verbieten gezielt an Kinder gerichtete Werbung von ungesunden Produkten gesetzlich. Dort hat der Verzehr von ungesunden Lebensmitt­eln pro Kopf zwischen 2002 und 2016 um 8,6 Prozent abgenommen. In den Ländern mit freiwillig­er Werbebesch­ränkung, wie Deutschlan­d, ging der Konsum im selben Zeitraum um 1,7 Prozent nach oben.

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FOTO: TOBIAS HASE/DPA Zu süß, zu fettig, zu salzig – das gilt immer noch für viele Nahrungsmi­ttel, die an Kinder vermarktet werden.

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