Signale aus den Rocky Mountains
Die Notenbanktagung in Jackson Hole bewegt die weltweiten Finanzmärkte – Börsianer interessiert vor allem der Umgang mit den Anleihekäufen
● FRANKFURT/BERLIN - Jackson Hole, der kleine Ort in den Rocky Mountains, ist jedes Jahr Schauplatz der wichtigsten Notenbanktagung weltweit. Doch schon zum zweiten Mal nach 2020 lädt die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) nicht zum persönlichen Treffen, Notenbanker und Ökonomen werden sich pandemiebedingt von Donnerstag bis Samstag nur virtuell miteinander austauschen. Auch wenn die Börsianer nicht allzu viel Neues erwarten – der Rede des Fed-Chefs Jerome Powell am Freitag werden sie dennoch genau lauschen. Gibt er Signale, wann die Notenbank mit dem „Tapering“, dem Zurückfahren der Anleihekäufe, beginnen könnte?
Damit rechnet Jörg Krämer nicht. Die amerikanischen Währungshüter hätten in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht, dass sie bald die Anleihekäufe drosseln würden. „Warum sollte man das jetzt beschleunigen?“, fragt der Chefvolkswirt der Commerzbank, denn auch der letzte Arbeitsmarktbericht in den USA hätte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Anders als die Europäische Zentralbank kümmert die Fed sich nicht nur um stabile Preise, sondern auch um maximale Beschäftigung. Seit der großen Finanzkrise 2008 kaufen die Zentralbanken vieler Staaten enorme Mengen Staatsund Unternehmensanleihen auf. Die Regierungen erhalten auf diese Art große Summen frischen Geldes zu niedrigen Zinsen, um umfangreiche Ausgabenprogramme zu finanzieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Nach Angaben des britischen Magazins Economist haben die reichen Staaten dadurch über 20 Billionen Euro (20 000 Milliarden) von ihren Zentralbanken bekommen. Versiegt dieses Füllhorn allmählich, müssen Regierungen wie die deutsche damit rechnen, dass die Anleger höhere
Zinsen verlangen, wenn sie dem Staat Geld borgen. Aktuell kauft die Fed pro Monat Staats- und Hypothekenanleihen im Volumen von 120 Milliarden Dollar. Das Inflationsziel habe man inzwischen erreicht, glauben die amerikanischen Geldpolitiker. Tatsächlich stiegen die Preise im Juli um 5,4 Prozent, das aber sei vor allem den höheren Energie- und Nahrungsmittelpreisen geschuldet, beschwichtigen sie. Die Preise sollen eigentlich um zwei Prozent steigen, wenn sie einmal kurzfristig darüber hinausgehen, dann wiege das nicht so schwer, wichtig sei die mittelfristige Preisentwicklung, versichern die Geldpolitiker dies- und jenseits des Atlantiks.
Dennoch mahnt Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt: „Was in den vergangenen Jahren die Inflation unter Ziel gehalten hat, waren vor allem die Importpreise. Da hatten wir eine schwache Entwicklung, aber das kann in der Zukunft ganz anders aussehen.“Jetzt schon wirkten sich die Lieferengpässe weltweit und der Anstieg der Frachtkosten stark in den Importpreisen aus, warnt Wieland: „Das kann sich mehr verfestigen als die Notenbanken das im Moment projizieren.“
Als der damalige Fed-Chef Ben Bernanke 2013 ein Zurückfahren der Anleihekäufe andeutete, sorgte er damit für große Unruhe. Das führte zu deutlich steigenden Zinsen und damit zu erheblichen Kursverlusten bei Anleihen. Eine solch heftige Reaktion der Finanzmärkte wie 2013 will die Fed vermeiden, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Deutschland. Vor allem sei der Immobilienmarkt durch die lockere Geldpolitik befeuert worden. Deshalb werde die Fed sehr behutsam diesen Einstieg in den Ausstieg wählen: „Wenn die amerikanische Notenbank zu schnell auf die Zinsbremse steigt, dann kollabiert der Immobilienmarkt. Und das will die Fed definitiv nicht sehen.“
Beobachter rechnen nun damit, dass die Fed einen Zeitplan für den Ausstieg schon nach der Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) am 21. und 22. September bekannt geben könnte. Dann nämlich liege auch ein weiterer Arbeitsmarktbericht vor, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Das sei eine bessere Grundlage, um über ein „Tapering“entscheiden zu können. Mit einem tatsächlichen Zurückfahren der Käufe rechnet die Commerzbank dann im Laufe des vierten Quartals.
Kommt es so, kann man davon ausgehen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik ebenfalls neu ausrichtet, zumal auch in der Eurozone die Teuerung anzieht. Die Bundesbank etwa erwartet zum Jahresende „Inflationsraten zwischen vier und fünf Prozent“, heißt es im Monatsbericht für August, der am Montag dieser Woche veröffentlicht wurde. „Der Druck auf die EZB dürfte zunehmen, ihre Anleihekäufe einzuschränken und den Leitzins anzuheben“, sagt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel – auch wenn EZB-Chefin Christine Lagarde immer wieder deutlich macht, dass die Euro-Zone noch nicht so weit sei und die Notenbank die Konjunktur stützen müsse. Damit würden sich auch hierzulande Konsumentenkredite verteuern. Die Kosten für Hypotheken zum Kauf von Eigentumswohnungen und Bau von Wohnhäusern würden gleichfalls steigen.
Andererseits hätten aber auch die Sparerinnen und Sparer etwas davon. Augenblicklich erhalten sie keine Guthabenzinsen und müssen zusehen, wie die Inflation den Wert des zurückgelegten Geldes dezimiert. „Mittelfristig verbessern sich die Aussichten, dass die Zinsen beispielsweise für Sparguthaben wieder steigen“, schätzt Kooths. „Auch die Renditen von Lebensversicherungen und Verträgen der privaten Altersvorsorge könnten zunehmen.“
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das aber nicht dieses oder nächstes Jahr passieren. Erstmal müsste die Fed die beiden Schritte wirklich gehen. Stefan Kooths vermutet: „Bis es soweit ist, gehen möglicherweise mehrere Jahre ins Land.“