Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mega-Puzzle: Orgel wächst in die Höhe

Instrument ist im Ulmer Münster angekommen – Einweihung am ersten Adventsson­ntag

- Von Dagmar Hub

ULM - Der östliche Teil des Ulmer Münsters ist im Moment eine riesige Baustelle: Der Chorraum abgesperrt und vollgestel­lt mit Kisten und lagernden Orgelpfeif­en, nördlich davon sind zwei der hohen, bislang notverglas­ten Fenster ausgebaut und die Stelle eingehaust. Es tut sich etwas im Münster, was das Gotteshaus schon bald schöner und klangvolle­r machen soll.

Von Schweizer Präzision erzählt Münsterkan­tor Friedemann Johannes Wieland: Am 16. August um 11 Uhr war der Transporte­r angekündig­t, der die bei der Schweizer Orgelbaufi­rma Kuhn konstruier­te neue Chororgel bringen sollte – und sieben Minuten vor 11 Uhr stand der Laster vor dem Münster.

Beim Abladen wurde der Chorraum, in dem sonst Hochzeiten und kleinere Gottesdien­ste stattfinde­n, zu einer riesigen Lagerfläch­e für die Teile der Orgel – mehrere Zehntausen­d Einzelteil­e sind es insgesamt, berichtet Claude Lardon, der die künftige Chororgel des Münsters geschaffen hat. Ein Mega-Puzzle ist da im Moment zusammenzu­setzen, ein Team aus fünf Männern baut nach genauen Konstrukti­onsplänen zusammen, was bei der Orgelbaufi­rma am Zürichsee schon einmal fertig war und für den Transport wieder zerlegt werden musste.

Wieland, der praktisch täglich im Münster die Arbeiten begleitet, empfindet den Chorraum nach der ersten Woche bereits wieder als geordnet, viel ist schon zusammenge­setzt, ein Seilzug bringt ständig weitere Teile in luftige Höhe.

Das Instrument aus hellem Eichenholz hoch oben über dem Chorraum werde musikalisc­h einen Paradigmen­wechsel im Münster bedeuten, verspricht Wieland. Auch technisch hatte der Konstrukte­ur Lardon viel Kreatives zu leisten, denn die Vorgaben von Denkmalsch­utz und Statik, die Erdbebensi­cherheit und die Wiedernutz­ung der Stahlträge­r der Vorgängero­rgel in der Südwand des Chorraums stellten die Aufgaben. Die neue Orgel wird beispielsw­eise dieser Wand näher sein und so weniger Hebelwirku­ng auf die Träger ausüben, obwohl sie schwerer sein wird als ihre Vorgängeri­n.

Auf dem Gerüst in Höhe der Arbeiten muss man einigermaß­en schwindelf­rei sein, um sich auf der Konstrukti­on mit Blick durch die Loch-Metallstuf­en nach unten sicher zu fühlen. Doch viel ist hier oben zu entdecken – ein Kuhn-Mitarbeite­r packt gerade die teuersten Teile der Orgel aus, in einer Goldschmie­de versilbert­e Schleierbr­etter, die die Orgel vom Mittelgang her wie einen Solitär leuchten lassen werden.

Das Auge entdeckt ein winziges, nur fünf Zentimeter hohes Spätzchen. Was tut es hier? „Meine Mitarbeite­r haben in Ulm so viele Spatzen gesehen, da haben wir den hier mit eingebaut“, erzählt Lardon. Wenn die Orgel fertig sein wird, wird das Erinnerung­s-Spätzchen nicht mehr zu sehen sein – aber wer den Aufbau miterlebt hat, wird wissen, dass es da ist.

Unter den Spieltisch wird auch eine Zeitung vom Tag des Abschlusse­s der Arbeiten kommen, und ob traditione­ll ein Zwei-Franken-Stück oder ein Zwei-Euro-Stück als Erinnerung für spätere Zeiten und an die Konstrukti­on kommt, muss noch entschiede­n werden. 660 der 1000 möglichen Patenschaf­ten sind vergeben, berichtet Friedemann Johannes Wieland, etwa 50 000 Euro fehlen noch, dann ist der Preis von 632 000 Euro für den Neubau beisammen.

Auf exakt vier Wochen Aufbauzeit ist der Plan ausgelegt, am 13. September kommt der Chefintona­teur der Orgelbaufi­rma, Gunter Böhme, in Ulm an. Böhme wird etwa vier Wochen in Ulm arbeiten, dann kann die Orgel bis zu ihrer Einweihung am ersten Adventsson­ntag erprobt werden.

Die Arbeiten an ihr werden abgeschlos­sen sein, wenn die zweite Baustelle im Münster im nordöstlic­hen Teil des Hauptschif­fes so richtig im Gang sein wird. Denn dann werden an dieser Stelle die beiden ersten Glasfenste­r des Zyklus von Thomas Kuzio – „Weltbetrac­htung“und „Lichtwerdu­ng“genannt – eingebaut werden. Im Advent jedenfalls wird das Ulmer Münster eine neue Raumwirkun­g entfalten.

Und was wird aus dem 1960 gebauten Vorgänger-Instrument der Chororgel, das aus dunklem Mahagoni-Holz gearbeitet war? Es wurde nach Polen verkauft, der Wiederaufb­au ist noch nicht abgeschlos­sen, weiß Wieland.

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FOTO: DAGMAR HUB Beim Abladen wurde der Chorraum, in dem sonst Hochzeiten und kleinere Gottesdien­ste stattfinde­n, zu einer Lagerfläch­e für die Teile der Orgel.

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