In ihrer Zone
Bahnradsportlerin Denise Schindler fährt in persönlicher Bestzeit zu Paralympics-Bronze
TOKIO (SID/dpa) - Zunächst die historische Premiere, dann die süße Belohnung: Denise Schindler brauchte nach ihrer fulminanten Fahrt zu Bronze zur Beruhigung erst einmal ein paar Gummibärchen. Die persönliche Rechnung mit der Verfolgung bei Paralympics beglichen und erste Medaillengewinnerin überhaupt in Tokio – das alles wühlte die unterschenkelamputierte Radfahrerin gewaltig auf. Bei der Siegerehrung flossen die Tränen.
„Es sind so viele Steine vom Herzen gefallen, ich glaube, das hat das ganze Velodrom gehört“, sagte die 35-jährige Münchnerin (Spitzname: „Killerbiene“) vollkommen euphorisiert. „Ich muss das jetzt erst mal sacken lassen. Hier mit einer Medaille heimgehen zu dürfen – auf der Bahn –, das ist Wahnsinn.“Und ihr Coup könnte zur Initialzündung für die deutsche Paralympics-Mannschaft werden, denn gleich zum Start der Spiele fiel eine enorme Last ab.
„Das ist ein wunderbarer Auftakt. Natürlich ist eine solche Premiere Ansporn und Schub zugleich für das gesamte Team“, schwärmte Friedhelm Julius Beucher. Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) war als Fan im Izu Velodrom und feuerte Denise Schindler lautstark an. Für Chef de Mission Karl Quade ist der Traumstart „eine große Motivation für die nächsten Tage“.
Denise Schindler musste in ihrem Leben früh einen Schicksalsschlag verkraften: Im Alter von zwei Jahren rutschte sie unter eine Straßenbahn, ihr Unterschenkel musste amputiert werden. Im Kindergarten und in der Schule wurde sie wegen ihrer Behinderung gehänselt, doch das ist längst Vergangenheit. Der Sport habe ihr geholfen, innerlich stärker zu werden und mit solchen Dingen umzugehen. „Das im Kopf durchzuspielen, was wäre gewesen, wenn, das bringt nichts. Ich bin auch mit eineinhalb
Beinen ein sehr glücklicher Mensch“, sagte die Athletin des BPRSV Cottbus vor dem Start der Paralympics. Ihre Prothese übrigens lässt sie mit einem 3D-Drucker erstellen und brachte damit auf der Hannover-Messe 2016 den damaligen US-Präsidenten Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Staunen.
Schon seit Jahren ist Denise Schindler absolute Weltklasse. Doch während sie auf der Straße bereits zweimal Silber und einmal Bronze bei Paralympischen Spielen gewonnen hat, war das mit der Bahn beim Großereignis bislang immer so eine Sache. 2012 ist sie als Vierte hauchdünn an einer Medaille vorbeigefahren, vier Jahre später in Rio gab es statt Edelmetall wegen zu langen Windschattenfahrens eine Disqualifikation.
Deshalb lag Denise Schindlers Fokus diesmal vor allem auf der Verfolgung über 3000 Meter. „Ich muss ehrlich sagen, ich stand so unter Druck, ich war heute den ganzen Tag nicht ansprechbar, ich war wirklich in meiner Zone, ich habe mich voll auf mich fokussiert, auf niemand anderen“, sagte sie. Und münzte den Druck in Leistung um: Schon in der Qualifikation fuhr sie trotz Trainingsrückstands nach einer Entzündung am Stumpf zweieinhalb Sekunden unter dem alten Weltrekord, im kleinen Finale verbesserte sie in 3:55,120 Minuten ihre Bestzeit gleich noch einmal um zwei Sekunden.
Bis auf Denise Schindlers Sternstunde verlief der erste Wettkampftag für den DBS erwartungsgemäß unspektakulär. Verena Schott und Marlene Endrolath verpassten im Schwimmen die Finals, Maurice Schmidt und Sylvi Tauber scheiterten im Rollstuhlfechten vor den Medaillenentscheidungen. Von den Mannschaften starteten die Goalballer mit einem 6:4 gegen die Türkei perfekt in ihre Goldmission.