Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wolfgang Schäuble würdigt in Biberach die Verdienste Matthias Erzbergers

- FOTO: GERD MÄGERLE www.schwaebisc­he.de/strobl21

Als „großen Parlamenta­rier und Demokraten“hat Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) den vor 100 Jahren von rechten Extremiste­n ermordeten Zentrumspo­litiker und Reichstags­abgeordnet­en Matthias Erzberger gewürdigt. Schäuble war am Donnerstag­abend Hauptredne­r einer Gedenkvera­nstaltung in der Biberacher Stadthalle zu Erzbergers Todestag.

Herr Strobl, viele CDU-Politiker, darunter Sie selbst, warnten mit Blick auf Afghanista­n: 2015 darf sich nicht wiederhole­n. Ist das die richtige Reaktion angesichts der Zustände dort?

2015 wurden Fehler gemacht. Weltweit haben Staaten Hilfsorgan­isationen, auch dem UNHCR die Mittel gekürzt. Für Flüchtling­e etwa in der Türkei war nicht einmal mehr die Versorgung mit knapp einem Dollar pro Tag gewährleis­tet. Deshalb haben sich viele Hunderttau­send Menschen unkontroll­iert auf den Weg nach Europa und Deutschlan­d gemacht. Das ist es, was sich mit Blick auf Afghanista­n nicht wiederhole­n darf. Wer aus dem Land flüchtet, geht zuerst in die Nachbarlän­der. Dort müssen wir den Flüchtling­en eine Perspektiv­e geben, durch Bildung, berufliche Qualifikat­ion und dergleiche­n. Das wird viel Geld kosten, doch es würde ein vielfaches mehr kosten, wenn wir diese Menschen bei uns aufnehmen müssten.

Auch Alice Weidel von der AfD sagt, 2015 dürfe sich nicht wiederhole­n. Sie meint, und viele Menschen verstehen das so, dass Deutschlan­d überforder­t war. Waren wir das?

Ich weiß nicht, was Frau Weidel alles plappert, und ich kommentier­e das nicht. Jedenfalls, wie ich sagte, 2015 ist nicht alles optimal gelaufen. Entscheide­nd ist freilich: Wir haben es unter Kontrolle gebracht. 2015 kamen fast 100 000 Flüchtling­e nach Baden-Württember­g, im vergangene­n Jahr waren es 7000. Wir hatten Kontrolle versproche­n, wir haben Kontrolle, wir haben Wort gehalten.

Ihre grün-schwarze Regierung streitet über ein Landeskont­ingent zur Aufnahme afghanisch­er Flüchtling­e. Muss hier nicht viel schneller und unbürokrat­ischer geholfen werden?

Es wird schnell und unbürokrat­isch geholfen. Wir haben kein Verteilung­sproblem. Bereits Mitte Juni waren wir unter meinem Vorsitz in der Innenminis­terkonfere­nz einig, dass die Länder die Ortskräfte aufnehmen. Damals sind wir von insgesamt 5000 Menschen ausgegange­n. Inkludie

Biberach war Zentralort von Erzbergers damaligem Wahlkreis Württember­g, hier befindet sich auch sein Grab. Schäuble würdigte Erzberger als einen Wegbereite­r der Demokratie auf deutschem Boden unter schwierige­n Bedingunge­n. Er hob seine Bedeutung als Reichsfina­nzminister hervor, der das Steuer- und Finanzsyst­em neu ordnete. Auf Erzberger geht die einheitlic­he Einkommens­teuer zurück, sive der Familien und besonders schutzbedü­rftiger Menschen – ich denke an Frauenrech­tlerinnen oder Journalist­innen und Journalist­en – wird nun, verteilt auf die gesamte Republik, von etwa 10 000 Personen ausgegange­n. Die Aufnahme und die Verteilung in den Ländern ist gesichert.

Was passiert nun mit ausreisepf­lichtigen Afghanen in BadenWürtt­emberg?

Es ist offensicht­lich, dass man jetzt niemanden nach Afghanista­n abschieben kann. Und evident ist auch, dass die, die jetzt kommen, sehr lange oder vielleicht für immer bei uns bleiben. Das kann eine Chance fürs Land sein, diese Menschen sprechen oft mehrere Sprachen. Das müssen wir nutzen und sie sofort qualifizie­ren, oder direkt in Arbeit vermitteln. Aber zuerst wird jede und jeder sicherheit­süberprüft. Ich will wissen, wer bei uns im Land ist. Auch da haben wir 2015 unsere Lektion gelernt.

Der Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz sagte jüngst zur 100Tage-Bilanz von Grün-Schwarz: Die CDU 2021 ist nicht die CDU 2020. Sehen Sie das auch so?

Es wäre ganz schlimm, wenn er Unrecht hätte. Menschen und Parteien, wie sie heute in ihren Grundzügen noch gilt. Viel zu lange sei Matthias Erzberger in der Bundesrepu­blik ein „Stiefkind der Erinnerung­skultur“geblieben, so Schäuble. Er selbst hatte in seiner Zeit als Bundesfina­nzminister vor zehn Jahren dafür gesorgt, dass der größte Saal im heutigen Finanzmini­sterium den Namen Erzbergers trägt.

sich nicht weiterentw­ickeln, werden abgewickel­t. Gott sei Dank haben wir ja die Fähigkeit, uns zu entwickeln.

Die Deutsche Polizeigew­erkschaft stellt eine Veränderun­g zum Schlechten fest: Deren Landeschef Ralf Kusterer greift Sie massiv an, weil Sie in der neuen Legislatur nun den GrünenWuns­ch nach einer Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten und ein Antidiskri­minierungs­gesetz mittragen. Verstehen Sie seinen Ärger? Keine Streifenpo­lizistin und kein Streifenpo­lizist wird zu einer Kennzeichn­ung gezwungen – das garantiere ich. Wir machen das nur bei speziellen Einheiten, die heute schon eine Kennzeichn­ung auf dem Rücken haben. Diese wird durch eine individual­isierte Nummer ergänzt. In Rheinland-Pfalz muss die Streifenpo­lizei grundsätzl­ich ein Namensschi­ld tragen. Dort ist die FDP an der Regierung beteiligt, hier im Land aber kritisiert sie mich – das ist pure Heuchelei. Das gilt auch für das „Antidiskri­minierungs­gesetz“, das die FDP im Nachbarlan­d ebenso mitträgt. Für Baden-Württember­g garantiere ich jedenfalls, dass es bei uns kein Gesetz geben wird, das so misslungen ist wie das Berliner Antidiskri­minierungs­gesetz.

Die Sicherheit­sbehörden haben in der vergangene­n Legislatur­periode zahlreiche Kompetenze­n dazubekomm­en – unter anderem die sogenannte Quellen-TKÜ, mit der sie auch verschlüss­elte Kommunikat­ion etwa über WhatsApp mitlesen können. Wie stark wird die Technik inzwischen genutzt?

Wir konnten in den vergangene­n Jahren wirklich viel für unsere Sicherheit­sbehörden tun – personell, technisch, rechtlich. Wir haben eines der modernsten Polizeiges­etze, die es überhaupt gibt. Zur QuellenTKÜ gab es viel Kritik wegen der Befürchtun­g, die Bürger würden nun massenhaft ausspionie­rt. Wir setzen das Instrument, wie ich angekündig­t hatte, nur außerorden­tlich selten ein – etwa um Terroransc­hläge zu verhindern und in Fällen schwerster Kriminalit­ät. Wenn damit nur ein Attentat verhindert wird, hat es sich gelohnt. Es ist schön, dass wir mit den Grünen so weit gekommen sind. Mit der FDP wäre das nicht möglich gewesen. Die FDP ist ein Sicherheit­srisiko: Die klagt vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen die QuellenTKÜ für den Verfassung­sschutz, die der Deutsche Bundestag richtigerw­eise beschlosse­n hat. Wenn es nach mir geht, müsste man sogar noch weiter gehen. Damit unsere Sicherheit­sbehörden angesichts der zunehmende­n Digitalisi­erung nicht blind und taub sind, braucht es die Online-Durchsuchu­ng – für den Kampf gegen schwerste Straftaten wie die Kinderporn­ografie.

Gerade hat die SPD erstmals bei einer Umfrage zur Bundestags­wahl die CDU überholt. Wie besorgt sind Sie?

Das macht nicht glücklich, das deprimiert mich freilich auch nicht: In einer solchen Lage ist Kämpfen angesagt! Umfragen unterliege­n Schwankung­en. Dass sie mit dem tatsächlic­hen Wahlergebn­is sehr wenig zu tun haben können, sahen wir zuletzt immer wieder. Klar ist: Wir werden und müssen uns anstrengen. Die Wahl ist noch nicht gewonnen, für niemanden. Aber unsere Kondition ist gut und wir haben für die verbleiben­den Wochen noch gute Ideen.

Mit welchen Werten aus BadenWürtt­emberg rechnen Sie für die CDU zur Bundestags­wahl?

Wir wollen aus dem Südwesten wieder ein überpropor­tional gutes Ergebnis beitragen. Wir in BadenWürtt­emberg haben ein großes Interesse an einer stabilen CDU-geführten Bundesregi­erung.

Wie Strobl auf die „Volkssturm“-Kritik aus der FDP an seinen Staatssekr­etären reagiert, lesen Sie unter:

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