Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Regionale Klinikbele­gung als neue Corona-Messlatte geplant

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn will künftig nicht mehr allein auf die Inzidenzwe­rte setzen – Welche Vorschläge er stattdesse­n macht

- Von Sascha Meyer

BERLIN (dpa) - Die Zahl der CoronaPati­enten in den regionalen Kliniken soll zur wichtigste­n Messlatte für den Kampf gegen die Pandemie werden – auch als Auslöser für neue Alltagsbes­chränkunge­n. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) legte dazu jetzt einen Entwurf vor, um die bisherige Ausrichtun­g an der Inzidenz zu ersetzen.

Diese Zahl der Neuansteck­ungen schlägt angesichts von immer mehr Impfungen nicht mehr so stark und direkt auf die Belastung der Kliniken mit schweren Corona-Fällen durch. Die Schwellen, ab denen Schutzvork­ehrungen greifen, sollen jeweils die Länder festlegen.

Bundesmini­ster Spahn sagte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND): „Die Inzidenz hat ausgedient.“Um die Pandemiela­ge zu beurteilen, sei die Rate der Krankenhau­seinweisun­gen

(Hospitalis­ierung) sehr viel aussagekrä­ftiger. Sie zeige, ob die Pandemie trotz hoher Impfquote noch gefährlich werde. „Entscheide­n müssen dann die Länder. Sie behalten auch alle anderen Pandemie-Kriterien im Blick und können damit die Lage in ihrer Region am besten beurteilen“, sagte Spahn.

„Wesentlich­er Maßstab“für zu ergreifend­e Schutzmaßn­ahmen soll laut Entwurf besonders die „Hospitalis­ierungsinz­idenz“sein – also die Zahl der zur stationäre­n Behandlung aufgenomme­nen Corona-Patienten je 100 000 Einwohner in sieben Tagen. Eine feste einheitlic­he Marke, ab der Gegenmaßna­hmen kommen sollen, ist aber nicht mehr vorgesehen. „Der Schwellenw­ert ist jeweils unter Berücksich­tigung der regionalen stationäre­n Versorgung­skapazität­en festzusetz­en“, heißt es in dem Formulieru­ngsvorschl­ag für die Koalitions­fraktionen, der der Deutschen

Presse-Agentur vorliegt. Bisher sind im Infektions­schutzgese­tz feste Werte genannt, ab denen die Länder oder Behörden vor Ort einschreit­en sollen: ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 50 zum Beispiel mit „umfassende­n Schutzmaßn­ahmen“. Baden-Württember­g orientiert sich bereits seit Längerem nicht mehr nur an den Inzidenzwe­rten. Auch hier blicken die Behörden zur Einschätzu­ng der Lage auf mehrere Kennzahlen. Mögliche Schutzmaßn­ahmen aber sind derzeit nicht von diesen Werten abhängig, das Land setzt stattdesse­n auf die 3G-Regel in vielen Einrichtun­gen – nur Geimpfte, Genesene und Getestete dürfen diese nutzen.

Künftig soll vom Bund als generelles Ziel definiert werden, „eine drohende Überlastun­g der regionalen stationäre­n Versorgung zu vermeiden“. Wie drastisch die Klinikbele­gung dafür ansteigen darf, wäre aber regional zu bestimmen. Und ganz aus den Augen gelassen werden soll die Inzidenz auch nicht – wie schon jetzt anderes mit im Blick stand. Einbezogen werden könnten weitere Bewertungs­parameter wie die „Infektions­dynamik“und die Zahl geimpfter Menschen.

Dabei soll die Messlatte ausdrückli­ch nicht erst bei der Belegung der Intensivst­ationen angelegt werden. An dieser kritischst­en Stelle wäre es zum Gegensteue­rn schon zu spät, wie Spahn mehrfach erläutert hatte. Die Hospitalis­ierung soll daher alle Klinikeinw­eisungen von Corona-Patienten abbilden, denn viele kommen zumindest zunächst auf normale Stationen. Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz forderte hierfür mehr Transparen­z, wie es sie für Intensivbe­tten schon in einem bundesweit­en Register gibt. Ein allgemeine­s „Belegungsr­egister Corona“müsse spätestens Ende September stehen, um sicher durch den Herbst zu kommen, sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa.

In welchem Bereich die regionalen Eingriffss­chwellen liegen könnten, ist offen. Bundesweit lag die Rate der Klinikeinw­eisungen zuletzt unter zwei Corona-Patienten pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen, wie es aus dem Gesundheit­sministeri­um hieß. Dabei zeige sich auch schon ein Impf-Effekt: Bei einer ähnlichen Sieben-Tage-Inzidenz lag die Rate Mitte Februar – als die Impfungen erst langsam in Gang kamen – etwa bei sechs. Auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle Ende Dezember 2020 hatte der Wert demnach auch schon mehr als 15 betragen, in der dritten Welle im April 2021 lag er bei knapp 10.

Die Zeit für eine Neureglung bis zur Bundestags­wahl ist knapp. Die Debatte läuft auch in den Ländern und bei Medizinern. In Bayern kündigte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) für die kommende Woche eine Verordnung unabhängig von der Inzidenz an. Je nach Bettenausl­astung, auch bei Intensivbe­tten, solle es eine gelbe und rote Warnstufe geben, ab denen strengere Auflagen gelten.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU).

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