Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Corona und die Sehnsucht nach dem Landleben

Die Pandemie hat auch Auswirkung­en auf die Wohnvorste­llungen der Deutschen – Großstädte verlieren Bevölkerun­g

- Von Claudia Kling

BERLIN - Immobilien­besitzer freut es, für Mieter hingegen, die von den eigenen vier Wänden träumen, ist diese Entwicklun­g bitter: Die Preise für Wohnimmobi­lien sind im zweiten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 10,7 Prozent gestiegen. Am größten war der Anstiegt bei Eigentumsw­ohnungen – und zwar um 12,9 Prozent. Diese Zahlen hat der Verband Deutscher Pfandbrief­banken vorgelegt, nachdem er die Daten von 700 Banken zu Immobilien­verkäufen ausgewerte­t hatte. Noch deutlicher wird die Entwicklun­g über einen längeren Zeitraum hinweg.

Von 2005 bis 2020 stiegen die Immobilien­preise in Deutschlan­d laut der Studie „Wohnen in Deutschlan­d 2021“um 75,3 Prozent, in den Städten sogar durchschni­ttlich um mehr als 100 Prozent. Im Rückblick werden sich viele Menschen fragen, was sie damals davon abgehalten hat, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen. Bei den meisten dürfte die Antwort lauten: Das Geld fehlte – heute wie damals.

Wohnen – eigentlich ein Grundbedür­fnis des Menschen. Aber genau deshalb lässt sich so viel Geld damit verdienen. Selbst die Corona-Pandemie hat nicht die erhoffte Entspannun­g auf dem Wohnungsma­rkt gebracht. Im Gegenteil, auch die Mietpreise für Neu- und Bestandsmi­eten zogen in diesem Jahr um 1,6 Prozent an. Das ist zwar ein geringerer Anstieg als in den vergangene­n Jahren, doch keine Stagnation. Viele Menschen treibt deshalb die Sorge um, dass sie sich irgendwann im Alter, wenn sie Rentner sind, Wohnen nicht mehr leisten können. Im Jahr 2019 waren es laut Statistisc­hem Bundesamt bereits 14 Prozent der Bevölkerun­g, die in sogenannte­n überlastet­en Haushalten lebten – das heißt in Haushalten, die mehr als 40 Prozent ihres verfügbare­n Einkommens für Wohnen ausgeben.

Aber nicht nur die Angst vor dem Wohnungsma­rkt der Zukunft, sondern auch die Corona-Pandemie hat viele Menschen dazu angestache­lt, ihre Lebenssitu­ation zu überdenken. Muss es wirklich eine teure Wohnung in einer Metropole nahe am Arbeitsort sein? Oder wäre eine Wohnung oder ein Haus im Grünen nicht die bessere Variante? Es sind vor allem die 30- bis 50-Jährigen, die es aus den Städten in die Landkreise zieht, wie eine aktuelle Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) gemeinsam mit dem Institut für Demoskopie Allensbach zeigt.

Bereits vor der Corona-Krise war der „Wanderungs­saldo“– das sind die Zuzüge minus Abzüge – in Großstädte­n

BERLIN

wie Stuttgart oder Köln negativ, vor allem in dieser Altersgrup­pe. Von dem Umzug aufs Land erhofften sich die Befragten mehr Platz, einen Garten oder Balkon und – überrasche­nd – schnellere­s Internet. Eine Folge dieser Entwicklun­g sind auf der anderen Seite die ständig steigenden Preise für Immobilien – auch auf dem Land. 354 000 Euro wurden im Schnitt laut „Wohnen in Deutschlan­d“für eine Immobilie ausgegeben. Dafür bekam der Käufer in München 43 Quadratmet­er, in Köln waren 73 Quadratmet­er möglich. Dass sich bei diesen Preisen die

Wohneigent­umsquote in Deutschlan­d erhöht, ist nicht zu erwarten. Derzeit sind nur 49 Prozent Eigentümer einer Immobilie, mit diesem Wert gehört Deutschlan­d zu den Schlusslic­htern in Europa.

Für all diejenigen, die zu wenig auf der hohen Kante haben, um an einen Immobilien­kauf zu denken, ist ohnehin der Mietmarkt die entscheide­nde Größe. Und der steht unter Druck: Nach Angaben des Deutschen Mieterschu­tzbunds fehlen etwa zwei Millionen Wohnungen, vor allem in den Großstädte­n, Ballungsze­ntren und Universitä­tsstädten. Von den knapp 300 000 Wohnungen, die im Jahr 2019 gebaut wurden, seien weniger als ein Drittel klassische Mietwohnun­gen und weniger als ein Zehntel Sozialwohn­ungen – deren Bestand ohnehin seit Jahren „dramatisch rückläufig“sei. Aber auch der ländliche Raum ist für Mieter kein Ort der Glückselig­keit mehr; in Mittelund Kleinstädt­en haben die Preise im Jahr 2020 sogar noch mehr angezogen als in den Metropolen.

Die Bundesregi­erung hat das Wohnproble­m in den vergangene­n Jahren durchaus als solches erkannt, aber ob die richtigen Schlüsse aus dieser Erkenntnis gezogen wurden, bezweifeln nicht nur Lobbyverbä­nde für Mieter, sondern auch diejenigen der Vermieter. Die Genehmigun­gsprozesse für den Wohnungsba­u Bauen müssten weiter beschleuni­gt werden, fordert beispielsw­eise der Gesamtverb­and der Deutschen Wohnungswi­rtschaft. Denn in diesem Punkt sind sich sowohl Mieterschu­tzbund als auch Eigentümer­verbände wie Haus und Grund einig: Ohne Neubauten wird sich der Wohnungsma­rkt nicht entspannen, können weder Immobilien- noch Mietpreise sinken. Instrument­e wie der inzwischen vom Bundesverf­assungsger­icht gekippte Mietpreisd­eckel in Berlin oder die Mietpreisb­remse in Gebieten mit angespannt­en Wohnungsmä­rkten mildern im Bestfall die Auswirkung­en der Marktsitua­tion ab, lösen aber nicht das Problem.

Mit Blick auf die Bundestags­wahl signalisie­ren natürlich alle Parteien, dass sie tatkräftig ans Werk gehen werden, um den Wohnungsma­rkt zu entspannen. Grob gesagt unterschei­den sich die Ideen dazu vor allem in der Frage, wie sehr der Staat in den Markt eingreift. Die CDU als Partei der Eigentümer und auch die FDP setzen auf die Devise: „Bauen, so viel wie möglich“. Dagegen will etwa die SPD darüber hinaus ein zeitlich befristete­s Mietenmora­torium einführen. Auch bei den Grünen steht der Ansatz, Mietpreise­rhöhungen per Gesetz zu verhindern, im Vordergrun­d. Die Linken gehen noch einen Schritt weiter. Sie favorisier­en einen bundesweit möglichen Mietendeck­el in angespannt­en Wohnungsmä­rkten. Die AfD will die Grunderwer­bssteuer auf selbst genutzte Immobilien streichen. Zudem soll der Staat Mieter beim Kauf von Wohnraum durch Bürgschaft­en unterstütz­en.

 ?? FOTO: PAUL ZINKEN/DPA ?? In Städten und Ballungsrä­umen eine bezahlbare Wohnung zu finden, erfordert mitunter Engagement und Geduld. Wohnen ist zu einer sozialen Frage geworden, das hat mittlerwei­le auch die Politik erkannt.
FOTO: PAUL ZINKEN/DPA In Städten und Ballungsrä­umen eine bezahlbare Wohnung zu finden, erfordert mitunter Engagement und Geduld. Wohnen ist zu einer sozialen Frage geworden, das hat mittlerwei­le auch die Politik erkannt.

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