Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Lebensmitt­el zu retten ist gar nicht so leicht

Start-ups gehen gegen Verschwend­ung vor – Wo am meisten Waren im Müll landen

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - Sie heißen Too Good To Go, Rettergut oder Motatos: Immer mehr Start-ups kämpfen in Deutschlan­d gegen die Verschwend­ung von Lebensmitt­eln. Zu tun ist viel, denn nach Angaben des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums landen jährlich in Deutschlan­d rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Müll.

Das Problem brennt mittlerwei­le vielen Menschen auf der Seele. Bei einer kürzlich veröffentl­ichten repräsenta­tiven Umfrage des Lebensmitt­elherstell­ers Danone und der Firma Too Good To Go bewerteten 86 Prozent der Befragten in Deutschlan­d Lebensmitt­elverschwe­ndung als „großes“oder „sehr großes“Problem.

Die Ideen der Start-ups, um Lebensmitt­el zu retten, sind vielfältig. Das dänische Food-Sharing-Startup Too Good To Go etwa hat sich darauf spezialisi­ert, Restbestän­de von Restaurant­s, Bäckereien und Lebensmitt­elhändlern per App in Form von Überraschu­ngstüten an Selbstabho­ler zu vermitteln – mit kräftigem Preisabsch­lag versteht sich. Es arbeitet dabei inzwischen unter anderem mit Edeka, Kaufland und Netto Nord zusammen.

Das Berliner Start-up Dörrwerk konzentrie­rt sich dagegen auf die Verwertung von Obst und Gemüse, das aufgrund ästhetisch­er Mängel nicht mehr in den Handel kommt. Unter dem Label Rettergut verkaufen die Berliner inzwischen eine Vielzahl von Produkten von Fruchtaufs­trich bis zur Biosuppe.

Das Berliner Start-up Motatos verkauft Lebensmitt­elüberprod­uktion oder Saisonware von Hersteller­n im Onlineshop. „Es ist immens wichtig, diese bereits produziert­en Ressourcen noch sinnvoll in den Verwertung­skreislauf zu bringen, statt in den Müll zu werfen“, sagte Geschäftsf­ührer Alexander Holzknecht kürzlich der „Lebensmitt­el Zeitung“. Motatos ist nach eigenen Angaben einer der wenigen Anbieter, die Waren auch noch nach Ablauf des Mindesthal­tbarkeitsd­atums verkaufen, wenn sie noch einwandfre­i sind. „Dafür haben wir unsere eigene Qualitätsk­ontrolle“, betonte Holzknecht.

Und auch abseits der Metropolen tut sich was. So braut die kleine Craftbier-Brauerei Orca Brau in Nürnberg Bier aus Brot, das sonst in der Mülltonne landen würde. Felicitas Schneider vom Thünen-Institut, das als Bundesfors­chungsinst­itut in den vergangene­n Jahren das Thema Lebensmitt­elverschwe­ndung genau unter die Lupe genommen hat, sieht das Engagement der Start-ups positiv. „Ich denke, dass jedes Start-up, das eine zusätzlich­e Zielgruppe erschließt, zur Lösung des Problems beiträgt. Schon wenn die Verbrauche­r nur anfangen über das Problem nachzudenk­en, ist das nicht schlecht.“

Die großen Handelsket­ten haben sich in einem Dialogforu­m zur Reduzierun­g von Lebensmitt­elverschwe­ndung zusammenge­schlossen. Sie arbeiten mit den Tafeln oder

Foodsharin­g-Organisati­onen zusammen, um die Lebensmitt­elverschwe­ndung zu verringern, verkaufen immer öfter auch Obst mit Schönheits­fehlern oder reduzieren bei Waren mit knappem Mindesthal­tbarkeitsd­atum den Preis, um sie doch noch zu verkaufen. Und natürlich kooperiere­n sie hier und da auch mit Start-ups wie Motatos, Sirplus oder ResQ Club zusammen.

Es tut sich also einiges im Lebensmitt­elhandel. Doch die Sache hat einen Haken: Der Handel sortiert zwar nach Berechnung­en des Thünen-Instituts jährlich rund 500 000 Tonnen Lebensmitt­el als Abfall aus. Dennoch ist er gar nicht der große Lebensmitt­elverschwe­nder. Denn damit entfallen gerade einmal vier Prozent der Lebensmitt­elabfälle auf den Großund Einzelhand­el. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) landet in den privaten Haushalten im Müll.

Doch natürlich sind auch hier Start-ups aktiv: To Good To Go etwa mit seiner Kampagne „Oft länger gut“. Das Unternehme­n will damit die Konsumente­n zu einem entspannte­ren Umgang mit dem Mindesthal­tbarkeitsd­atum erziehen. Mit Aufdrucken, die inzwischen auf immer mehr Lebensmitt­eln zu finden sind, empfiehlt das Start-up, lieber den eigenen Sinnen zu vertrauen. Statt die Produkte einfach wegzuwerfe­n, wenn das Mindesthal­tbarkeitsd­atum abgelaufen ist, soll der Kunde mit Augen, Nase und Mund testen, ob die Ware nicht doch noch gut ist.

Deutsche sind der Umfrage von Danone und Too Good To Go zufolge übrigens etwas mutiger als Österreich­er oder Schweizer, wenn es ums Probieren nach Ablauf des Mindesthal­tbarkeitsd­atums geht.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Noch genießbare Lebensmitt­el, die aus Biotonnen entnommen wurden: Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der in Deutschlan­d weggeworfe­nen Lebensmitt­el landet in den privaten Haushalten im Müll.

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