Barrierefreiheit Fehlanzeige
Bahnfahrten werden nicht nur für Rollstuhlfahrer schnell zur Herausforderung
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REGION - Das Reisen mit einem Kind ist an sich schon eine aufwendige Sache. Man muss an unendlich viele Dinge denken, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Woran man 2021 eigentlich nicht denken möchte ist: Wie komme ich mit Kind und Kinderwagen in einen Zug? Ein Reisebericht.
Eigentlich hätte der Ausflug von Erbach an den Bodensee nur für meinen Sohn ein großes Abenteuer werden sollen. Schlussendlich wurde es auch eines für mich. Ein nervenaufreibendes noch dazu. Und ich schreibe diesen Text stellvertretend für alle, die nicht „nur“mit einem Kinderwagen zu kämpfen haben, der durch eine enge Zugtür, die sich mehrere Stufen oberhalb des Bahnsteiges befindet, passen muss, sondern eben auch für diejenigen, die aufgrund einer Gehbehinderung auf Rollatoren oder Rollstühle angewiesen sind. Denn ich finde, im 21. Jahrhundert sollte es selbstverständlich sein, dass jeder, wann immer er möchte, öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann.
Ganz grundsätzlich sieht das auch die Deutsche Bahn so, aber: „Es gibt bis zur vollständigen Barrierefreiheit noch einiges zu tun. Dazu kümmern wir uns um die notwendigen Finanzierungen, beginnen mit Planungen und starten mit dem Bauen“, teilt ein Bahnsprecher mit, der auch auf die Mobilitätsservice-Zentrale und die Seite bahnhof.de verweist, wo man zum einen Hilfe anfordern und sich zum anderen darüber informieren kann, ob ein Bahnhof barrierefrei ist oder eben nicht.
Die Ausgangssituation: Ziel war an einem frühen Dienstagmorgen Überlingen am Bodensee. Von Erbach aus fuhren mein Sohn und ich mit der Regionalbahn um 7.39 Uhr nach Biberach. Von dort aus ging es mit dem IRE weiter zur Landesgartenschau. Die Bahnverbindungen hatte ich schon Tage im Voraus herausgesucht und auch die Umsteigezeiten so gewählt, dass wir immer genug Zeit hatten. Allerdings dachte ich beim Eintreffen des ersten Zuges in Erbach noch einen Scherz.
Denn statt eines modernen Zuges mit tiefem Einstieg, wie er kurz vorher in Richtung Ulm abgefahren war, stand vor uns ein alter, blauer Zug mit schmaler Tür und mehreren Stufen. Kurz hatte ich sogar die Befürchtung, dass der Kinderwagen gar nicht durch die Tür passt. Glück war, dass – wie noch häufiger an diesem Tag – mehrere Mitreisende sofort bereit waren, mir mit dem Wagen und dem Kind zu helfen. Eine nette Zugbegleiterin hat sich dann meines Kindes angenommen und ihn mit Kinderfahrkarten bespaßt, während ich den Wagen so verstaut habe, dass er keinem Mitreisenden im Weg stand.
Doch auch in Biberach wurde unsere Hoffnung auf ein „barrierefreies“Weiterkommen jäh zerstört. Wieder hielt ein Zug mit Stufen vor uns. Der noch dazu sehr kurz war. Das Problem daran: Etliche Radfahrer hatten an diesem sonnigen Tag dasselbe Ziel wie wir. Es gab nur zwei
Abteile, die für Räder, Rollstühle und Kinderwagen vorgesehen sind. Noch dazu stieg eine größere Kindergruppe in den Zug ein, der dann auf dem Weg zum Bodensee gerammelt voll war. Wieder war es der Freundlichkeit der anderen zu verdanken, dass wir überhaupt in den Zug einsteigen konnten und sofort einen Platz fanden.
Auf der Rückfahrt wurde die Situation ab Friedrichshafen noch schlimmer. Schon in Überlingen waren um 18.23 Uhr etliche Reisende mit ihren Rädern zugestiegen, die nach einem sonnigen Tag am Bodensee möglichst schnell nach Hause wollten. Kurz vor Friedrichshafen ergatterten wir endlich einen Platz. Der inzwischen ziemlich müde Kleine döste im Kinderwagen vor sich hin, um sich vom Wasser, massig Eis und der Sonne zu erholen. Doch in Friedrichshafen war es mit der Ruhe zu Ende: Dort wollte eine ganze Gruppe in den Zug. Das Problem: Die Gruppe hatte nur ein einziges Gruppenticket für alle Mitreisenden.
Für die Radfahrer war es daher ausgeschlossen, dass ein Teil einen anderen Zug wählt. Die Bahn verweist darauf, dass es in den Zügen nur begrenzte Kapazitäten für Fahrräder gibt: „Die Regionalbahnen 17333 und 17370 haben jeweils Platz für insgesamt zwölf Fahrräder. In die IRE 3042 und 3051 passen sogar jeweils insgesamt 18 Fahrräder“, teilt der Bahnsprecher mit und ergänzt: „Im Mehrzweckabteil haben Rollstuhlfahrer und Kinderwagen Vorrang, auch müssen Fahrradtaschen abgenommen werden, um die volle Anzahl unterbringen zu können.“
Die Gruppe erzählte uns noch, dass sie die Fahrt sogar angemeldet hatte. Auch das Ticket kaufte sie direkt am Schalter, um alles richtig zu machen. In der Pressestelle der Bahn aber ergibt die Recherche, dass es für den Tag keine Gruppen- oder Fahrradanmeldungen gegeben haben soll.
Stellt sich aber die Frage, warum gerade die Strecken an den Bodensee, wo aktuell gleich zwei Gartenschauen Ausflügler locken, an Sommertagen nur mit kurzen Zügen angedient werden. Bei der Bahn heißt es dazu: „In Baden-Württemberg werden im Ausflugsverkehr auf besonders stark nachgefragten Routen auch in der Sommersaison zusätzliche oder längere Züge eingesetzt (beispielsweise Rad-Express).“Zu merken war davon unter der Woche allerdings wenig.
Der Zugführer in Friedrichshafen jedenfalls versuchte noch, die Radfahrer davon zu überzeugen, dass diese Masse an Rädern zusätzlich zum Kinderwagen und dem ohnehin hohen Aufkommen an Fahrgästen nicht möglich ist. Den Radfahrern war das egal. Sie wähnten sich im Recht, schließlich hatten sie ja eine Fahrkarte. Die Regeln der Bahn sind da eigentlich eindeutig: „Wenn die Stellplatzkapazität durch Einzelreisende/Kleingruppen mit Fahrrad belegt ist, dann hat die angemeldete Gruppe keinen Anspruch auf eine Mitfahrt. Die Gruppe muss sich aufteilen oder es in nachfolgenden Zügen versuchen“, schreibt der Bahnsprecher. Noch dazu ist für Reisende mit Rad richtig zu wissen: Sie müssen ihre Räder eigenverantwortlich so sichern, dass sie sicher stehen. „Sollten keine Halterungen im Fahrzeug