Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gigantisch­e Schande

- Von Guido Bohsem ●» politik@schwaebisc­he.de

E● s war ein Todesurtei­l, das der US-Präsident nach den Anschlägen am Flughafen in Kabul aussprach. Die Drahtziehe­r der Attentate müssten wissen: „Wir werden euch jagen und büßen lassen.“Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass Biden dabei ein rechtsstaa­tliches Verfahren im Sinn hatte. Nein, das US-amerikanis­che Militär und die Auslandsge­heimdienst­e werden Richter und Jury und Henker sein. Alttestame­ntarische Rache, darum geht es, um sonst nichts.

Die Worte Bidens rufen ein unheilvoll­es Déjà-vu hervor, hatte doch sein Amtsvorgän­ger George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September nahezu wortgleich der Terrororga­nisation Al-Kaida gedroht. Es folgten Kriege in Afghanista­n und im Irak, eine gnadenlose Hatz auf Osama Bin Laden und seine Gefolgsleu­te.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Denn der rücksichts­lose Rückzug aus Afghanista­n markiert einen Wechsel in der amerikanis­chen Außenpolit­ik, eine Abkehr von Bush. Das ist eine gute Nachricht, obwohl die Art und Weise eine gigantisch­e Schande für die USA und ihre westlichen Verbündete­n darstellt.

2001 war die Welt eine andere. Nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n verblieb die USA als einzige Weltmacht, Chinas Aufstieg war nicht absehbar. Der Triumph im systemisch­en Duell des Kalten Krieges hatte die Hybris gezeugt, dass Demokratie und Marktwirts­chaft notfalls mit der Waffe in der Hand exportiert werden könnten.

Die US-Außenpolit­ik erhielt so eine neue Ausrichtun­g. Die USA nutzten ihre einzigarti­ge Machtposit­ion für einen Demokratie-Kreuzzug. Die katastroph­alen Folgen dieses Ansatzes sind im Irak und eben in Afghanista­n zu betrachten, die Kosten im Verfall der Infrastruk­tur der USA selbst abzulesen. Biden dürfte die Außenpolit­ik nun neu ausrichten, die frei werdenden Ressourcen gegen China und Russland einsetzen. Das direkte militärisc­he Engagement dürfte weniger werden, verdeckte Operatione­n oder gezielte Schläge weiter zunehmen. So paradox es klingt: Die Zusammenar­beit mit der westlichen Führungsma­cht wird berechenba­rer und verlässlic­her.

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