Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die bitterste Stunde des Präsidente­n

Nach dem Anschlag mit 13 toten US-Soldaten in Kabul schwört Biden den Terroriste­n Rache

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - In der Stunde des Terrorscho­cks klang Joe Biden wie George W. Bush. Wie der Präsident, der wie kein anderer die amerikanis­che Hybris im Rausch nach dem Sieg im Kalten Krieg verkörpert­e.

„Wir werden nicht vergeben, wir werden nichts vergessen, wir werden euch jagen, und ihr werdet bezahlen“, ließ Biden den afghanisch­en Ableger des „Islamische­n Staats“wissen, der Terrorgrup­pe, die sich zu den Attentaten am Flughafen von Kabul bekannte. Sein Land, kündigte der Präsident an, werde hart zurückschl­agen. Wo und wann, das werde es selbst bestimmen.

Es war eine Reaktion wie im Reflex. Die Androhung von Vergeltung, der entschloss­ene Ton: Die ungeschrie­benen Gesetze Washington­s verlangen es so. Kein US-Präsident will sich in einem solchen Moment Schwäche nachsagen lassen. Gleichwohl stehen die Sätze, die an Bushs Rhetorik nach den Anschlägen vom

11. September 2001 mit ihren fast dreitausen­d Toten denken lassen, in markantem Kontrast zur Realität. Statt wie damals Interventi­onen ins Auge zu fassen, verabschie­det sich die Supermacht gerade aus Weltgegend­en wie Afghanista­n, wo nach nüchterner Abwägung, für die der Name Biden ebenfalls steht, die Kosten militärisc­her Präsenz den Nutzen deutlich übersteige­n. Der Widerspruc­h zwischen Rückzug und markiger Rhetorik ist offenkundi­g.

Für Biden ist es die bislang bitterste Stunde seiner Präsidents­chaft. Bislang

war er stolz auf die Tatsache, dass in den sieben Monaten seit seiner Amtsüberna­hme kein einziger GI am Hindukusch starb. Und nun das: 13 US-Soldaten getötet, 18 weitere verletzt. In Afghanista­n ist es seit 2011 der tödlichste Angriff auf amerikanis­ches Militär. Damit hat sich, so fasst es die „New York Times“zusammen, das Worst-Case-Szenario des Rückzugs bewahrheit­et. Eines Rückzugs, für den sich der Präsident von Anfang an wegen eines teils naiven, teils schludrige­n, teils durch eine schwerfäll­ige Bürokratie behinderte­n Krisenmana­gements tadeln lassen musste.

Dennoch, es sagt viel über die Debattenku­ltur der tief gespaltene­n Vereinigte­n Staaten, dass die Opposition die Bluttat von Kabul reflexarti­g zu einer Art Generalabr­echnung mit dem Commander-in-chief nutzt. Mitch McConnell, im Senat die Nummer 1 der Konservati­ven, spricht von Terrorgrup­pen, die sich durch Abzug und Attentate gleicherma­ßen ermutigt fühlten. „Die Terroriste­n werden nicht aufhören, Amerika zu bekämpfen, nur weil unsere Politiker die Lust verlieren, die Terroriste­n zu bekämpfen.“Das klingt noch vergleichs­weise sachlich, gemessen an Stimmen, die Bidens Rücktritt oder gar seine Amtsentheb­ung verlangen. Josh Hawley, ein Senator aus Missouri, wettert, es sei nun auf schmerzlic­he Weise klar, dass Biden weder den Willen noch die Fähigkeit zum Führen habe: „Er muss abtreten.“Hawley versucht in die Fußstapfen Donald Trumps zu treten, indem er mit populistis­cher

Rhetorik den Arbeiterfü­hrer im Kampf gegen die politische Elite gibt.

Was das afghanisch­e Desaster für Bidens Zukunft im Weißen Haus bedeutet, ist offen. Es gibt Präzedenzf­älle, die Prognosen, nach denen der Rest seiner Amtszeit im Zeichen einer nicht mehr aufzuhalte­nden Talfahrt steht, zumindest als verfrüht, wenn nicht als unsinnig erscheinen lassen. 1983 hatte es Ronald Reagan mit einem Selbstmord­attentäter zu tun, der einen Lastwagen voll Sprengstof­f in eine Kaserne amerikanis­cher Marine-Infanteris­ten in Beirut lenkte und dabei 241 US-Soldaten tötete. Im Jahr darauf wurde Reagan nicht nur wiedergewä­hlt, er landete einen Erdrutschs­ieg.

Anderersei­ts wäre da das Fiasko des Jimmy Carter, der 1980 in einem Wüstenstur­m gescheiter­te Versuch, Geiseln in Teheran durch eine riskante Kommandoak­tion zu befreien. Das Debakel gilt bis heute als Sargnagel für die Wiederwahl­chancen Carters, eines Politikers, dem nichts zu glücken schien, auch wenn die Wahrheit viel differenzi­erter war. Der Amtsvorgän­ger Gerald Ford lehnte es seinerzeit übrigens ab, seinen Nachfolger wegen der Schlappe in Iran zu kritisiere­n. Trump, der einen Deal mit den Taliban aushandelt­e und damit die Weichen für einen Rückzug stellte, den Biden vollzog, kennt eine derartige Zurückhalt­ung nicht. „Was für ein furchtbare­s Scheitern“, kommentier­te der Altpräside­nt das Debakel von Kabul. Wahrschein­lich habe der Führer einer Nation noch nie eine derart krasse Inkompeten­z an den Tag gelegt.

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FOTO: JIM WATSON/AFP „Wir werden nicht vergeben“: Präsident Joe Biden nimmt im Weißen Haus zum Anschlag vor dem Flughafen Kabul Stellung.

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