Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Welche Corona-Daten jetzt wichtig werden

Immer mehr Menschen sind geimpft – Künftig spielt die Inzidenz eine geringere Rolle

- Von Ulrike von Leszczynsk­i

BERLIN (dpa) - Den einen perfekten Wert, von dem sich nötige CoronaMaßn­ahmen ableiten lassen, hat es in der Pandemie noch nie gegeben. Es wird weiter erforderli­ch sein, mehrere Faktoren im Blick zu haben. Verschiebu­ngen bei der Gewichtung der Daten sind mit Fortschrit­ten bei den Impfungen aber durchaus möglich. So wird wohl die Situation in den Krankenhäu­sern bald eine größere Rolle spielen als die reinen Infektions­zahlen. Welche KlinikKenn­zahlen gibt es und was sagen sie aus?

Was bedeutet die „Sieben-TageInzide­nz ● Hospitalis­ierung“?

Neben der Sieben-Tage-Inzidenz für neu registrier­te Ansteckung­en wird in der Pandemie auch die Zahl der Menschen erfasst, die wegen einer Covid-19-Diagnose in eine Klinik kommen. Diese „Sieben-Tage-Inzidenz Hospitalis­ierung“bildet die übermittel­ten Fälle über eine Woche pro 100 000 Einwohner ab. Fälle, in denen ein Patient wegen einer anderen Erkrankung oder wegen einer Operation in die Klinik kommt und bei ihm bei einem Test auch Corona nachgewies­en wird, sollen von den Krankenhäu­sern nicht mit gemeldet werden. Im Lageberich­t des RobertKoch-Instituts (RKI) vom Donnerstag überschrit­t der Wert die 1,5, Tendenz weiter steigend. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachts­zeit bei rund 15,5. Die Berechnung der Sieben-Tage-Inzidenz erfolgt nach RKI-Angaben auf Basis des Meldedatum­s an das lokale Gesundheit­samt.

Gibt es bei der Hospitalis­ierungsinz­idenz ● eine kritische Grenze?

Für die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) gibt es aktuell keinen festen Grenzwert, ab dem die Lage unbeherrsc­hbar werden würde. Vielmehr müsse man differenzi­eren. „Der Engpass bleiben die Patienten, die mit Covid auf einer Intensivst­ation liegen“, sagt Gerald Gaß, Vorstandsv­orsitzende­r der DKG. Aus der Erfahrung der PandemieWe­llen wisse man, dass bundesweit gesehen auf Intensivst­ationen grundsätzl­ich eine Belastungs­grenze bei rund 5000 Covid-19-Fällen liege. Das gelte aber bereits unter der Voraussetz­ung, dass planbare Operatione­n verschoben würden.

Was bedeuten steigende Hospitalis­ierungsinz­idenzen ● für Normalstat­ionen?

Sie hätten mit mehr Covid-19-Patienten zwar auch deutlich mehr Belastunge­n, zum Beispiel durch Isolation und auch Schutzmaßn­ahmen für das Personal, ergänzt Gaß. Doch mit Blick auf eine Intensivst­ation, auf der ein Covid-19-Patient eine weit umfangreic­here Betreuung brauche als andere Kranke, sei das kein Vergleich. „Allein für das Umlagern eines beatmeten Covid-Patienten braucht man bis zu fünf Pflegekräf­te.“Wichtig zu wissen sei in diesem Zusammenha­ng aber, wie viele Covid-19-Patienten wegen der Schwere ihrer Erkrankung von Normal- auf Intensivst­ationen verlegt werden müssten. In der ersten Welle seien das 14 Prozent gewesen, also rund jeder siebte. Die Quote liege heute wahrschein­lich niedriger, abschließe­nde valide Daten stehen laut DKG aber noch aus.

Was beeinfluss­t die Zahl der Covid-19-Patienten ● in Kliniken?

Das ist ein ganzes Bündel von Faktoren. Dabei spielen für die DKG neben den Inzidenzen bei Ansteckung­en auch die Impfquoten, die Infektions­dynamik und die Altersgrup­pen eine große Rolle. So zeigt zum Beispiel die Hospitalis­ierungsrat­e in den RKI-Tabellen den Anteil aller gemeldeten Corona-Fälle, die in einer Klinik behandelt werden müssen. Nach den Berechnung­en lag dieser Wert um die Weihnachts­zeit bei zwölf Prozent und bewegte sich dann in Wellenbewe­gungen abwärts. Im Moment sind es rund fünf Prozent, Nachmeldun­gen sind allerdings möglich.

Welche Zahlen gibt es noch in Bezug ● auf Kliniken?

Die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin erfasst gemeinsam mit dem RKI die Zahl belegter beziehungs­weise freier Intensivbe­tten (Divi-Register). Diese Zahlen sind tagesaktue­ll und Meldungen nach Angaben der Vereinigun­g verpflicht­end für Kliniken. Erfasst wird dabei auch die Anzahl der Covid-19-Patienten auf Intensivst­ationen. Die Höchstzahl in der Pandemie lag bei 5762, im Moment sind es rund 840 – mit wieder steigender Tendenz.

Welche Aussagekra­ft haben all ● diese Klinik-Kennziffer­n?

Für Experten zeigen sie Trends. Ein Echtzeitbl­ick können sie nicht sein. Denn zum einen vergehen laut

RKI zwischen Infektion und Krankenhau­seinweisun­g im Schnitt weiterhin etwa zehn Tage. Zum anderen wird bei den Hospitalis­ierungsinz­idenzen die Einweisung erfasst, nicht aber zum Beispiel eine baldige Entlassung.

Kann die bundesweit­e Hospitalis­ierungsinz­idenz ● ein Richtwert sein?

Eher nicht. Geplant ist hier der regionale Blick. So soll die regionale Klinikbele­gung mit Corona-Patienten nach Ideen des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums künftig der wesentlich­e Maßstab werden, um Gegenmaßna­hmen wie Alltagsbes­chränkunge­n auszulösen. Entscheide­n müssten darüber dann die Bundesländ­er.

Welche Parameter wünschen ● sich Amtsärzte?

Für den Epidemiolo­gen Nicolai Savaskan, Amtsarzt im Berliner Bezirk Neukölln, fehlt es an einem gesetzlich vorgeschri­ebenen Meldesyste­m für die Belegung von Klinikbett­en. „Ich meine ein klares Krankenhau­sReporting-System, in das alle Kliniken ihre Kapazität und Belegung einspeisen müssen“, sagt er. Auf dieser

Basis lasse sich dann ein Warnstufen­system erarbeiten. „Das hieße zum Beispiel, dass es ab einem bestimmten Prozentsat­z der Belegung mit Covid-Patienten Konsequenz­en geben muss. Also Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.“

Wäre es ein Fehler, die politische ●

Grenze von 50 bei der Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfekti­onen zu streichen?

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FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Blick in eine Intensivst­ation: Die Zahl stationär behandelte­r Covid-Patienten soll neben dem Inzidenzwe­rt eine wichtigere Rolle spielen.

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