Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Mann, der ins nächste Jahrhunder­t sprang

Bob Beamon, 1968 in Mexiko mit jahrelang unerreicht­en 8,90 Meter Weitsprung-Olympiasie­ger, wird 75

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HAMBURG (SID) - Ein Tequila. Noch ein Tequila. Und noch einer. Am Abend vor dem Tag, der sein Leben in ein Davor und ein Danach teilen sollte, zog Bob Beamon rastlos durch Mexiko-Stadt. Die Scheidung von seiner Frau, die Aufregung um den Ausschluss der Black-Power-Protestler John Carlos und Tommie Smith, die Spannung vor dem größten Wettkampf seiner Karriere, all das wühlte ihn auf. „Mann, was habe ich mich verloren gefühlt“, sagte Beamon, der am Sonntag seinen 75. Geburtstag feiert, einst.

Nur ein paar Stunden nachdem sich Beamon „einige Tequila genehmigt“hatte, staunte die ganze Welt über diesen damals 22 Jahre alten Schlaks, den Waisenjung­en aus New York. Olympische Spiele 1968, Finale im Weitsprung, Beamon steht mit der Startnumme­r 4 am Anlauf, er wartet 20 Sekunden – dann rennt er los und hebt ab. Er springt nicht, er fliegt. „Es war, als würde ich nie wieder landen“, sagte Beamon einmal über den Satz, der ihn unsterblic­h machte. Irgendwann landete er dann doch – bei sagenhafte­n 8,90 Meter.

Dass der Sprung weit war, wusste sofort das ganze Stadion. Aber es dauerte und dauerte, bis die Sensation endlich perfekt war. Weil die elektronis­che Messung versagte, musste erst ein herkömmlic­hes Maßband besorgt werden. Die Kampfricht­er liefen wie ein aufgescheu­chter Hühnerhauf­en umher. Immer wieder wurde nachgemess­en. 65 000 Menschen im Stadion warteten gespannt auf die Weitenanze­ige. Nach knapp 20 Minuten wird schließlic­h gemeldet: 8,90 Meter. Der Jahrhunder­tsprung. Aber Bob Beamon verstand zunächst überhaupt nichts.

„Ich wusste natürlich nicht einmal, was Meter sind“, sagte Beamon später. Erst als ihm ein Teamkolleg­e zuruft, dass er mit seinen „29 Fuss und zweieinhal­b Inches“in der Höhe von Mexiko-Stadt mit der damals neuartigen Tartanbahn eine der wohl größten Sensatione­n in der Sportgesch­ichte geschriebe­n hatte, riss Beamon die Arme hoch und sank überwältig­t zu Boden, schluchzen­d kauerte er auf der Bahn.

Um satte 55 Zentimeter hatte er den Weltrekord verbessert, erst 23 Jahre später sollte in Mike Powell (8,95 Meter) ein Mensch weiter springen als Beamon an diesem 18. Oktober 1968.

Der große Jesse Owens prägte damals den Spruch vom „Sprung ins nächste Jahrhunder­t“, stellte aber auch fest: „Es gehört große moralische Widerstand­skraft dazu, einen solchen Rekord zu ertragen. Die Menschen wollen die Steigerung.“Beamon, in ärmlichen Verhältnis­sen aufgewachs­en, als Jugendlich­er Mitglied in Schlägerba­nden, bekannte zwei Jahre nach dem Wahnsinnss­prung, dass ihn die Bürde des Rekordes fast erdrücke: „Es ist, als ob ich keine Luft mehr bekäme. Der Rekord macht mich fertig.“

Mehrmals erklärte Beamon, der bei der Siegerehru­ng wie Carlos und Smith gegen den Rassismus in der Heimat protestier­te, seinen Rücktritt, wurde Basketball­profi bei den berühmten Harlem Globetrott­ers, scheiterte 1972 beim Comeback (6,96 Meter), war als gelernter Schneider Sozialarbe­iter, leitete eine Diskotheke­n-Kette und Trainingsz­entren. Er startete viele Projekte und führte doch nichts erfolgreic­h zu Ende. Reich und wirklich glücklich wurde Bob Beamon nie. Nicht weniger als viermal trat er vor den Traualtar.

Dieser 18. Oktober 1968, dieser Sprung, den alle gesehen haben, war „der Höhepunkt in meinem Leben“, sagte Bob Beamon. Auf Autogrammk­arten kritzelt er oft schlicht „8,90“.

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FOTO: EPU/DPA Der Tag seines Lebens: Am 18. Oktober 1968 sprang Bob Beamon 8,90 Meter – und zu Olympiagol­d in Mexiko-Stadt. Jetzt wird er 75.

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