Maas hofft auf Evakuierungen auf dem Landweg
40 000 Menschen aus Afghanistan auf Ausreieslisten – Private Initiative wirft Bundesregierung Blockade vor
BERLIN (dpa) - Mit Unterstützung aus Deutschland sind nach dem Ende der Bundeswehrflüge mehr als 300 weitere Schutzbedürftige aus Kabul ausgeflogen worden. Darunter waren nach Angaben aus der Bundesregierung in der Nacht zum Sonntag etwa 140 Deutsche sowie Ortskräfte und Mitarbeiter eines Auftragsunternehmens des beendeten NatoEinsatzes.
„Zeit“und „Spiegel“berichteten zudem, dass 189 Schutzbedürftige organisiert von der privaten Rettungsinitiative Luftbrücke Kabul zum Flughafen gebracht und ausgeflogen wurden, darunter auch Mitarbeiter deutscher Medien. Die Bundeswehr hatte ihren Evakuierungseinsatz am Donnerstag beendet. Die US-Streitkräfte wollen bis Dienstag abziehen.
Die Rettungsinitiative warf der Bundesregierung fehlende Unterstützung und Widerstände gegen eine vorbereitete Evakuierung vor. „Mit immensem Aufwand konnten wir 18 gefährdete Ortskräfte aus Kabul in Sicherheit bringen. 18 Menschenleben, dabei hätten es Hunderte mehr sein können, wenn unsere Rettungsaktion nicht aktiv vom Auswärtigen Amt blockiert worden wäre“, hieß es in einer Erklärung, die am Sonntag auf der Internetseite der zivilgesellschaftlichen Initiative verbreitet wurde. Die Bundesregierung wies die Kritik zurück.
Die Rettungsmission hatte eine Chartermaschine nach Kabul geschickt, um Gefährdete auszufliegen. „Für hunderte Menschen hatten wir eine sichere Unterkunft, haben sie offiziell auf Listen des Auswärtigen Amtes registrieren und absegnen lassen, organisierten einen Bustransport über die katarische Botschaft und hätten Menschen innerhalb weniger Stunden an den Flughafen und auf unser Flugzeug bringen können“, so die Initiative. Die Bundesregierung „weigerte sich, eine E-Mail zu schreiben, um den Transport freizugeben“, hieß es.
Die Initiatoren erklären, das Erlebte mache sprachlos und wütend und zeige eine „bürokratische und politische Verhinderungstaktik“.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu, das Ministerium habe für die private Evakuierungsaktion jede erbetene Unterstützung geleistet, wo immer es möglich gewesen sei, bis hin zu persönlichen Unterstützungsschreiben von Außenminister Heiko Maas (SPD) an seinen katarischen Amtskollegen. Der Minister habe aber von Anfang an darauf hingewiesen, dass am Flughafen kaum Kapazitäten zur Unterstützung der Aktion beständen, da das Botschaftsteam mit der eigenen Evakuierungsoperation unter schwierigsten Bedingungen mehr als ausgelastet gewesen sei. Dennoch seien Mitarbeiter vorübergehend von der Arbeit am Gate abgezogen worden, um bei der Abwicklung des Privatflugs zu unterstützen. „Flaschenhals“sei auch nicht die Flugkapazität gewesen, sondern der Zugang zum Flughafen, den man faktisch nicht selbst habe bestimmen können. Der Initiative sei nun Unterstützung für die Weiterreise nach Deutschland angeboten worden.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) betonte am Sonntag erneut, die Bundesregierung werde alles daran setzen, um die in Afghanistan zurückgebliebenen Deutschen sowie afghanische Schutzbedürftige so schnell wie möglich nach Deutschland zu holen. Möglicherweise
könnten Ausreisen in Zukunft auch über den Landweg erfolgen, sagte Maas am Sonntag bei einer Pressekonferenz mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu in Antalya. Um Menschen weiterhin über den Flughafen von Kabul aus Afghanistan auszufliegen, müsse der stark beschädigte Airport wieder in Stand gesetzt werden, sagte Maas. Ein Weiterbetrieb des Flughafens setze überdies „belastbare Sicherheitsgarantien“der radikalislamischen Taliban voraus.
Auf den Ausreiselisten des Auswärtigen Amts stehen weiterhin rund 300 Deutsche sowie mehr als 10 000 Afghanen. Dazu zählen ehemalige afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr oder Ministerien – die sogenannten Ortskräfte – und besonders schutzbedürftige Menschen wie Menschenrechtsaktivisten oder Frauenrechtlerinnen. Hinzu kommen deren Familienangehörige. Zusammen geht es nach jetzigem Stand um mehr als 40 000 Menschen, die in Deutschland aufgenommen werden sollen – wenn es ihnen gelingt, das Land zu verlassen. „Die militärische Evakuierung ist nun beendet. Aber unsere Arbeit geht weiter, und zwar so lange, bis alle in Sicherheit sind, für die wir in Afghanistan Verantwortung tragen“, hatte Maas versprochen.
Die Bundeswehr zog am Wochenende die letzten Soldaten des Evakuierungseinsatzes nach Deutschland ab. Bei der größten Evakuierungsoperation in der Geschichte der Bundeswehr hatte die Luftwaffe in elf Tagen 5347 Menschen aus mindestens 45 Ländern aus Kabul ausgeflogen, überwiegend Afghanen, aber auch mehr als 500 Deutsche.