Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Paris probt die Verkehrswe­nde

Die französisc­he Metropole wird größtentei­ls zur Tempo-30-Zone

- Von Michael Evers

PARIS (dpa) - Für Paris ist es ein weiterer Schritt hin zu einer Verkehrswe­nde und einem Stadtleben, in dem das Auto nicht mehr überall dominiert. Große Teile der französisc­hen Hauptstadt werden von diesem Montag an zur Tempo-30-Zone, die Stadtautob­ahn und wichtige Verkehrsac­hsen bleiben ausgenomme­n. 59 Prozent der Pariser hätten einer Geschwindi­gkeitsbegr­enzung bei einer Umfrage zugestimmt, begründete die Stadtverwa­ltung den Schritt. 25 Prozent weniger Unfälle, zweimal weniger Lärm und mehr Raum insbesonde­re für Radfahrer lauten die Argumente für den Einschnitt. Auf 60 Prozent der Straßen gelte ohnehin schon Tempo 30, hieß es.

Das neue Tempolimit ist nur eine Maßnahme von etlichen zur Eindämmung der Autolawine­n in Paris, die einem Besucher gleich ins Auge springen. Auf vielen Straßen wird im Moment gebaut – und zwar nicht, um zusätzlich­e Fahrspuren für Autos, sondern für Radfahrer zu schaffen. 52 Kilometer Pop-up-Radwege, die während der Corona-Pandemie mit

Betonblöck­en von den Autospuren abgetrennt wurden, sogenannte „Coronapist­es“, werden im Moment in dauerhafte Radfahrstr­eifen umgewandel­t. Seit dem Lockdown legten die Pariser sieben Prozent ihrer Wege per Rad zurück, vor der Pandemie waren es fünf, sagte die Stadt.

In anderen Straßen müssen die Autos komplett den Fußgängern weichen, öffentlich­e Begegnungs­flächen und Fahrradste­llplätze werden geschaffen und Bäume und Gartenfläc­hen gepflanzt. All dies fügt sich in einen 2018 vorgelegte­n Plan, der der Metropole ein Durchatmen mit mehr Stadtgrün, 1000 Kilometern Radwegen und neuen Straßenbah­nlinien versprach. Der Motor hinter vielem ist Oberbürger­meisterin Anne Hildago, die Autos und Luftversch­mutzung den Kampf angesagt hat. Bei schlechter Luft wird der Verkehr eingeschrä­nkt, Schadstoff-Plaketten für Autos sind Pflicht. Einige Straßen sind für den Verkehr gesperrt – zum Beispiel das rechte Seine-Ufer – stattdesse­n ist dort eine Flaniermei­le entstanden.

Ohne Kritik bleibt das Tempolimit in Paris aber nicht: Bei der Umfrage

nämlich wurden auch Bewohner des Großraums Paris befragt, die nicht alle gleich per Metro an ihr Ziel gelangen können. 61 Prozent von ihnen sprachen sich gegen die Maßnahme aus. Und der Interessen­verband der Autofahrer „40 millions d'automobili­stes“zweifelt den Zweck der Maßnahme an. Innerhalb von Paris gebe es ohnehin wenig Unfälle, und wenn, dann seien meist Radfahrer betroffen, sagte der Verbandsde­legierte Pierre Chasseray der Zeitung „Le Figaro“. Und der Verkehrslä­rm werde von den Autoreifen und nicht den Motoren verursacht, weniger Tempo helfe da kaum.

Widerstand droht auch bei weiteren schon angekündig­ten Maßnahmen in Paris. So sollen ab Anfang kommenden Jahres erstmals auch Motorräder und die in der Metropole beliebten Motorrolle­r Parkgebühr­en zahlen, E-Motorräder aber ausgenomme­n. Und Pläne, im Herzen von Paris viele Straßen in Fußgängerz­onen zu verwandeln, bringen Kaufleute und Anwohner auf die Palme. Die Pläne seien nun wohl bis 2023 aufgeschob­en, schrieb die Zeitung „Le Parisien“kürzlich.

Hunderte neue Tempo-30-Schilder mussten in Paris übrigens nicht für die neue Geschwindi­gkeitsbegr­enzung an jede Straßeneck­e geschraubt werden. An den Einfallstr­aßen in die Stadt wird einmalig auf die neue großflächi­g geltende Regelung hingewiese­n, das sei ausreichen­d, befand 2019 der damalige Innenminis­ter. Pionier mit dem stadtweite­n Tempolimit ist Paris in Frankreich nicht: Die Großstädte Lille und Grenoble senkten vorher bereits das Tempo. Der Fahrradclu­b ADFC sieht Paris allerdings als Vorbild für ähnliche Regelungen in Deutschlan­d.

„Tempo 30 entspannt das Leben in den Städten, es macht sie sicherer, klimafreun­dlicher und leiser“, sagte ADFC-Bundesgesc­häftsführe­rin Ann-Kathrin Schneider. „Wie in Paris und anderen europäisch­en Metropolen sollte es auch in deutschen Städten möglich sein, Tempo 30 innerorts als Regelgesch­windigkeit einzuführe­n.“Tempo 50 könne dann etwa an Hauptverke­hrsachsen beibehalte­n werden, wo es schon breite Radwege gibt. „Paris wird durch Tempo 30 aufblühen, und das sollten deutsche Städte auch.“

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FOTO: MICHAEL EVERS Auf einer Straße im Zentrum von Paris gilt Tempo 30. Ab dem 30. August wird diese Geschwindi­gkeitsbegr­enzung in der französisc­hen Hauptstadt großflächi­g eingeführt.

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