Christos letztes Geschenk an Paris
Die Arbeiten zur Verhüllung des Triumphbogens laufen auf Hochtouren – Mitte September ist es soweit
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PARIS - Die Schweißgeräusche sind sogar auf dem viel befahrenen Kreisverkehr rund um den Arc de Triomphe zu hören. In zehn Metern Höhe verbindet ein mit Seilen gesicherter Bauarbeiter Teile eines Gerüsts, das den östlichen Teil des Pariser Wahrzeichens wie ein Mikado aus Metall bedeckt. Links und rechts von ihm ragen rote und gelbe Kräne in die Höhe. Célia steht an einem Bauzaun, der das Denkmal von der Straße abgrenzt und tippt in ihr Smartphone. „Die Leute fragen, was die Arbeiten sollen“, sagt die Touristenführerin. „Sie denken, dass der Triumphbogen saniert wird.“Von dem Projekt des Künstlers Christo, das Monument mit 25 000 Quadratmetern silberblauem Stoff und 3000 Metern rotem Seil zu verhüllen, haben viele noch nie gehört.
Dabei sind die Metallkonstruktionen und Kräne Teil des Traums, den der gebürtige Bulgare schon vor 60 Jahren träumte: Bereits 1962 fertigte er eine erste Fotomontage des verpackten Nationalsymbols an. Damals noch ein Unbekannter, traute er sich nicht, eine Genehmigung für seinen verwegenen Plan einzuholen. Erst 2017 bemerkte er im Gespräch mit dem Direktor des Museums Centre Pompidou: „Die einzige Sache, die ich in Paris machen möchte, ist den Arc de Triomphe zu verpacken.“Danach ging es mit der Umsetzung schnell. Nur die Pandemie stoppte das Projekt, dessen Ende Christo nicht mehr miterlebt: Er starb im Mai 2020 im Alter von 84 Jahren. Sein Neffe Vladimir Yavachev verwirklicht die Idee des Onkels nun postum. „Das ist ein Geschenk an die Stadt und an Frankreich“, sagt er der Zeitung „Le Parisien“.
Mit Paris verbindet Christo viel. 1958 lernte er dort seine spätere Frau Jeanne-Claude kennen, mit der er seine spektakulären Installationen realisierte: Von der Verhüllung des Reichstags über die Stoffbahnen im New Yorker Central Parc bis zur goldgelben Hülle für den Pont Neuf. 1985 verpackte das Paar die älteste
Brücke von Paris – schon damals ein großes Ereignis. „Ich will dem Publikum, das einen seit Jahrhunderten unveränderten Raum gewohnt ist, einen anderen Blick und andere Gewohnheiten bieten“, kommentierte der Künstler seinen ungewöhnlichen Ansatz, Monumente mit Stoff zu verhüllen. In einem seiner letzten Interviews mit der Zeitung „Journal du Dimanche“ergänzte er: „Dieses Ereignis passiert nur einmal im Leben und das ist das Schöne daran.“Ein flüchtiger Moment also, der am 18. September beginnt und am 3. Oktober endet.
Der Arc de Triomphe bietet sich nicht nur wegen seiner monumentalen Architektur, sondern auch wegen seiner Lage für Christos Kunstaktion an. 1836 im Gedenken an Napoleons Siege vollendet, steht das Bauwerk am Ende der Champs-Elysées isoliert auf der Place Charles de GaulleÉtoile
– als Zentrum der großen Sichtachse, die vom Geschäftsviertel La Défense bis zum Louvre reicht. Jedes Jahr am 11. November, dem Tag des Waffenstillstands zwischen Deutschland und Frankreich 1918, kommt der Präsident, um der Gefallenen zu gedenken und am Grabmal des unbekannten Soldaten einen blau-weiß-roten Blumenkranz niederzulegen. Seitdem die Gelbwesten das Denkmal im Dezember 2018 schwer beschädigten, wird der Triumphbogen allerdings streng bewacht. Auch während der Arbeiten, bei denen es vor allem darum geht, die Skulpturen zu schützen und Verankerungen für die Stoffbahnen anzubringen, ist viel Polizei rund um die Touristenattraktion präsent.
Im Corona-Sommer 2021 kommen allerdings nicht viele Besucher, um den Arc de Triomphe zu besichtigen, der normalerweise rund 1,7 Millionen Touristinnen und Touristen pro Jahr anzieht. Neben Einheimischen nehmen vor allem Reisende aus Europa den Aufstieg auf die Aussichtsplattform auf sich, die einen atemberaubenden Rundblick auf Paris bietet. Wer sich allerdings von oben aus im Gewirr der Straßen zurechtfinden will, muss auf die sonst üblichen Orientierungshilfen verzichten. Auf dem mit Holz ausgelegten Baustellenboden sind lediglich kleine, von Hand beschriftete gelbe Klebestreifen angebracht, die die Straßen ringsherum ausweisen.
„Ich finde das Projekt der Verhüllung sehr originell“, sagt die 19-jährige Marie-Loup, die mit ihrer Schwester auf der Plattform Selfies macht. „Allerdings ist es schon seltsam, dass es erst nach dem Tod von Christo umgesetzt wird. Schließlich war es ja sein Lebenstraum.“Wenn der Triumphbogen mit dem in Deutschland hergestellten Stoff „eingepackt“ist, will die Studentin, die in einem Vorort von Paris wohnt, wiederkommen, um sich das Ergebnis anzuschauen.
Schon jetzt werden im Museumsladen Skizzen, Taschen und Ansichtskarten des verhüllten Denkmals angeboten, die das 14 Millionen Euro teure Projekt mitfinanzieren. Christo und die 2009 gestorbene Jeanne-Claude lehnten nämlich Sponsoren ab. Das Geld für ihre aufwendigen künstlerischen Vorhaben kam durch den Verkauf der zahlreichen Zeichnungen, Modelle und Collagen Christos herein. Allein für die Verhüllung des Triumphbogens hinterließ der Künstler 77 Entwürfe und Skizzen. Genug, um seinen letzten Wunsch bis ins Detail genau zu erfüllen.