Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Von Ganove bis Chuzpe

Buchautor Ronen Steinke zeigt den Einfluss jüdischer Kultur auf unsere Sprache

- Von Weronika Peneshko und Jonas Klüter

BERLIN (dpa) - Deutsch ist mitunter nicht immer die elegantest­e Sprache. Ein Beispiel gefällig? Erkundigt man sich etwa bei dem Gegenüber, ob er „noch ganz bei Verstand“sei, kann das ziemlich gestelzt rüberkomme­n. Benutzt man stattdesse­n das Wort „meschugge“, klingt es vielleicht plötzlich lässig und pointiert.

Es sind Wörter wie Tacheles, malochen oder das oben erwähnte meschugge, die heutzutage als Lehnwörter einen festen Platz in der deutschen Sprache haben. Sie werden etwa benutzt, wenn man unverkramp­ft wirken will oder eben herkömmlic­he Formulieru­ngen zu sehr nach Beamtendeu­tsch klingen. Aber woher stammen diese Wörter überhaupt?

Auf den ersten Blick sehe man ihnen die Herkunft gar nicht an, erklärt Buchautor und Journalist Ronen Steinke. „Die heutige deutsche Sprache ist gesprenkel­t mit einer großen Menge an jiddischen Lehnwörter­n.“Bekannt kommen uns die Wörter laut Steinke vor, weil ihr Klang dem Hochdeutsc­hen „sehr ähnlich ist – anders als zum Beispiel bei Anglizisme­n, die sofort auf-fallen.“

Laut Zentralrat der Juden war Jiddisch ursprüngli­ch eine Sprache der Juden in und aus Osteuropa. Gepflegt werde Jiddisch heutzutage vor allem von Holocaust-Überlebend­en, orthodoxen Juden und Auswandere­rn. Die Verbreitun­g der Sprache ist nach den Angaben von Steinke vor allem mit Flucht vor Verfolgung verbunden. Durch die Ermordung von Juden während der Schoa ist die Sprachgeme­inschaft kleiner geworden, wie der Zentralrat betont.

Wie viele jiddische Lehnwörter es im Deutschen ungefähr gibt – da kann ein Blick in die Online-Ausgabe des Dudens helfen: Insgesamt gibt es dort nach Verlagsang­aben rund 250 000 Stichwörte­r. Aus dem Jiddischen stammen demnach etwa 120 Wörter.

„Es ist ein Kompliment an eine Sprache, wenn man von dort ein Wort entlehnt, weil man es besonders prägnant oder charmant findet“, sagt Steinke. Die Beispiele reichen noch weiter. Etwa der Ganove oder das Adjektiv angeschick­ert kommen aus dem Jiddischen. Bei manchen Worten sei jedoch Vorsicht geboten. „Eine Reihe von jiddischen Begriffen wird heute von nichtjüdis­chen Deutschen mit einer leicht verdrehten Bedeutung verwendet.“

Zum Beispiel das Wort Mischpoke: Im Jiddischen bedeutet es Familie, wie Steinke ausführt. Hierzuland­e

werde es aber eher als Bezeichnun­g für eine „dubiose Gruppe“verwendet. „Hier hat ein bestimmtes negatives Bild, das deutsch-sprechende Menschen einst von Jüdinnen und Juden hatten, auf ihren Sprachgebr­auch abgefärbt. Und das wirkt bis heute“, sagt Steinke, der im Duden-Verlag ein Buch mit dem Titel „Antisemiti­smus in der Sprache“veröffentl­icht hat.

Ein vergleichb­arer Fall ist Steinke zufolge das Wort Mauscheln. Selbst in Medienberi­chten werde es heutzutage noch benutzt, um etwa geheimnisv­olles Handeln zu beschreibe­n. Dabei ist Mauschel lediglich die jiddische Form des jüdischen Vornamens Moses, wie Steinke betont. Im 17. Jahrhunder­t habe es sich dann eingebürge­rt, das Wort für arme Juden zu benutzen. „Aus Mauschel wurde auch ein Verb, mauscheln, was abfällig gemeint war und bedeutete: reden wie ein Jude“, so Steinke. Eigentlich verbiete sich also das Wort in unserer Gesellscha­ft.

Die Reflexion über den Sprachgebr­auch zeichnet nach Einschätzu­ng des Linguisten Alexander Lasch die Kultur aus. Vergleichb­are Debatten gebe es etwa bei der Diskussion um gendergere­chte Sprache. Steinke setzt sich dafür ein, dass auf den antisemiti­schen Hintergrun­d der Begriffe hingewiese­n wird. Zum Beispiel von Journalist­en, weil ihr Sprachgebr­auch letztlich stilbilden­d sei. Bei korrekter Verwendung biete das Jiddische dann besonders prägnante, charmante Wörter. „Man denke an die Chuzpe: Das bedeutet nichts anderes als Dreistigke­it, Schlitzohr­igkeit, klingt aber lustiger.“Das tue dem Deutschen gut, so der Buchautor.

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FOTO: DPA Ronen Steinke hat die Verwendung jiddischer Begriffe analysiert.

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