Freiburg feiert den Zufallshelden
Woo-Yeong Jeong entscheidet Prestigederby – Stuttgarts Sorgen wachsen trotz eines 106-Sekunden-Doppelpacks
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STUTTGART - Auch eine halbe Stunde nach Abpfiff harrten etwa 30 unermüdliche Anhänger des SC Freiburg in ihrem Auswärtsblock aus, sangen ihre Freude in den Stuttgarter Himmel und feierten nicht nur das Ende der anderthalb Jahre, in denen sie nicht auf Auswärtsfahrt gehen durften, sondern vor allem den 3:2 (3:2)Auswärtssieg ihrer Breisgauer beim VfB Stuttgart. Die meisten der Anhänger der Brustringtruppe waren da schon missmutig auf dem Weg nach Hause, und auch der Trainer des VfB war entsprechend bedient.
„Vielleicht wäre ein Punkt verdient gewesen, aber wir haben keinen“, sagte Trainer Pellegrino Matarazzo: „Wir haben keinen guten Start ins Spiel gehabt, haben nicht gut verteidigt und sind relativ schnell 0:3 in Rückstand geraten.“Auch der frühere SC-Torhüter Florian Müller, der in der Sommerpause nach Stuttgart gewechselt war, befand: „Wir haben den Anfang komplett verschlafen.“
Dabei war das, was alle Stuttgarter Akteure unisono nervte, genau das, was die Freiburger verzückte. Denn die Truppe machte im Landesduell direkt dort weiter, wo sie eine Woche zuvor beim sensationellen 2:1 gegen Borussia Dortmund aufgehört hatte. Woo-Yeong Jeong sorgte mit seinen Treffern in Minute 3 und 9 schnell für klare Verhältnisse, ehe Lucas Höler (28.) erhöhte. Stuttgarts 106-Sekunden-Kraftakt mit dem Doppelschlag von Konstantinos Mavropanos (45.) und Hamadi Al Ghaddioui (45.+2) sorgte zwar noch für Spannung, doch verpuffte jene nach dem Seitenwechsel und blieb weitestgehend abwesend.
Die badischen Blitzstarter waren hinterher also obenauf, feierten ihren Punkterekord (nie zuvor hatten sie zu diesem Zeitpunkt in der Bundesliga so viele Punkte wie jetzt) und vor allem ihren Matchwinner, der anschließend in gutem Deutsch verriet: „Das Spiel war super für mich und ich freue mich sehr über meine beiden Tore.“Dabei hätte es das Freiburger Jeong-Märchen beinahe nicht gegeben. Erst nach langem Hin und Her hatte sich Streich am Vorabend für das Baden-Württemberg-Duell auf dieselbe Grundordnung wie gegen Dortmund festgelegt. „Das passt eigentlich nicht ganz, so wie der VfB spielt mit Dreierkette und den zwei Zehnern“, erklärte Streich. Doch Yeong sei Dank ging der Griff auf. „Zum Glück haben wir das gemacht, sonst wäre vielleicht der Woo-Yeong draußen gewesen, wenn man ehrlich ist“, sagte der 56-Jährige, der den 21-Jährigen Südkoreaner auch charakterlich lobte: „Er ist ein ganz toller Mensch“, aber ganz Streich-like trotz nun sieben Punkten seine Himmelsstürmer und alle SC-Fans warnte: „Ich kann rechnen und ich weiß, wie viele Punkte wir brauchen, um ein weiteres Jahr in der Bundesliga spielen zu dürfen.“
Bei Nico Schlotterbeck dürften diese Worte vorerst auf taube Ohren gestoßen sein, zu breit grinste der 21Jährige nach Abpfiff. „Nach dem Debüt mit meinem Bruder zusammen ist das die beste Woche meiner Karriere“, sagte der Innenverteidiger bei Sky. Denn neben den beiden Siegen fiel in diese kurze Zeitspanne auch noch seine erstmalige Nominierung für die deutsche Nationalmannschaft. „Ich spiele in meiner Heimat in Stuttgart und der Lehrgang ist in Stuttgart – was Besseres gibt es kaum“, sagte der Waiblinger, der nach der Partie erst gar nicht mit seinen Mannschaftskamerade zurück in den Schwarzwald reiste.
Ein bisschen Freude blieb also in Stuttgart – wenn auch von außen hereingetragen. Innerhalb der personell gebeutelten Brustringtruppe war die Stimmung entsprechend getrübt. Dass Torschütze Mavropanos in der 61. Minute wegen einer Hüftprellung auch noch ausgewechselt werden musste, ließ die Stirnfalten bei Matarazzo noch tiefer werden. Zwar lobte der 43-Jährige die „Kämpfermentalität“nach dem Rückstand, meinte aber: „In der zweiten Halbzeit haben wir trotz Dominanz und Ballbesitz zu wenige Chancen kreiert. In Zukunft müssen wir es von Anfang an souveräner und konsequenter machen.“Zu der dünnen Kaderdecke, vor allem im Offensivbereich, wollte der Trainer nicht mehr viele Worte verschwenden: „Wir sind aktiv, analysieren die Situation, wir wissen, was wir suchen, aber werden sehen, ob es klappt.“Das Stürmertor von Al Ghaddioui war unter den Umständen ein Lichtblick, aber auch so lässt die Situation den Trainer vorerst nicht schwarz sehen: „Wir haben drei Punkte aus den ersten drei Spielen, was kein Weltuntergang ist. Aber es geht darum, den nächsten Schritt zu machen.“