Bayaz unter Druck
Neuer Südwest-Finanzminister erntet Kritik für Meldeportal gegen Steuerhinterziehung
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STUTTGART - Geschätzt 50 Milliarden Euro gehen dem Staat jedes Jahr durch Steuerhinterziehung verloren. Nur etwas mehr als drei Milliarden davon entdeckten Steuerfahnder 2020. Der neue baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) will dieses Problem bekämpfen. Ein Onlineportal für Hinweise aus der Bevölkerung soll dabei helfen, mehr Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen. „Das neue anonyme Hinweisportal ist ein ergänzendes Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit“, sagt Bayaz. Doch es hagelt Kritik – vor allem von FDP und AfD, aber auch vom Koalitionspartner CDU.
„Eine anonyme Meldeplattform, bei der jeder jeden mit wenigen Mausklicks einer Straftat bezichtigen kann, ohne für sich Konsequenzen befürchten zu müssen, öffnet Denunzianten Tür und Tor“, sagt etwa Nico Weinmann, der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. „Justizministerin Gentges sollte ihren Kabinettskollegen Bayaz dringend aufklären, dass falsche Verdächtigung eine Straftat ist. Hier darf der Staat keine Schützenhilfe leisten.“
Noch heftiger fällt die Kritik der AfD aus. Südwest-Fraktionschef Bernd Gögel bezeichnete die neue Plattform als „Absage an den gesellschaftlichen Zusammenhalt“. „Die Pläne des Ministers schaffen ein Klima des Misstrauens.“Bayaz solle sich lieber Gedanken um Ausgabenkürzungen machen. „Wir sind gespannt, ob die CDU als Koalitionspartner mit mehr als nur Wahlkampfrhetorik gegen dieses Portal aufwarten kann – oder ob sie es einmal mehr vorzieht, einzuknicken.“
Vom Koalitionspartner kommt zunächst Kritik an der Kommunikation des Finanzministers. „Wir hätten es begrüßt, wenn der Finanzminister die Fraktionen des Landtags oder zumindest die Mitglieder des Ausschusses für Finanzen vorab über das anonymisierte Hinweisgeberportal informiert hätte“, sagt der finanzpolitische Sprecher der CDUFraktion, Tobias Wald. „Von seinem Vorhaben mussten wir Parlamentarier aber über die Pressemitteilung des Finanzministeriums erfahren.“
Die Kritik am Projekt selbst formuliert der Koalitionspartner jedoch vorsichtig. Der Hinterziehung von Steuern müsse konsequent ein Riegel vorgeschoben und diese mit zielführenden Maßnahmen effektiv bekämpft werden, sagt Wald. Der
Zweck heilige dabei aber nicht alle Mittel. „Der Landtag stellt der Regierung die Mittel für die Digitalisierung der Verwaltung zur Verfügung. Als Maßnahme zur Umsetzung im Bereich der Steuerverwaltung hätte es das zweifelsohne tolle Projekt ,Finanzämter der Zukunft’ sicherlich verdient gehabt, mit positiveren Schlagzeilen in die Medien zu kommen.“
Finanzminister Bayaz selbst will die Kritik nicht auf sich sitzen lassen. „Steuerhinterziehung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die ehrlich ihre Steuern zahlen“, verteidigte er sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Schließlich fehle das Geld für gute Bildung, Infrastruktur und bei der Polizei, weil sich Einzelne auf Kosten der Allgemeinheit bereicherten. Schon bisher seien außerdem anonyme Anzeigen möglich – wie in anderen Bundesländern
auch. „Im Jahr 2021 sollte das aber auch online gehen.“
Tatsächlich nimmt die Steuerverwaltung des Landes anonyme Anzeigen bisher direkt entgegen – telefonisch, schriftlich, persönlich oder per E-Mail. Rund 1500 Anzeigen sind so in den vergangenen Jahren jeweils eingegangen. Insgesamt kamen in den vergangenen drei Jahren so rund 6,5 Millionen Euro zusammen. Laut Finanzministerium fehlten bei den Hinweisen jedoch häufig wesentliche Informationen und aufgrund der Anonymität sind keine Rückfragen möglich. Im neuen System bestehe über einen digitalen Postkasten die Möglichkeit für Rück- und Nachfragen.
Anzeigen, betont Bayaz, müssten gut begründet sein, sonst werden sie von der Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genüge ausdrücklich nicht.
„Niemand muss befürchten, dass künftig die Steuerfahndung vor der Tür seht, nur weil der Nachbar ihn angeschwärzt hat.“Außerdem gehe es nur um relevante Fälle von Steuerbetrug. Ein Sprecher konkretisiert: „Da sprechen wir nicht über ein paar Tausend Euro. Es geht um Zehntausende, Hunderttausende Euro oder manchmal auch um Millionen. Es geht – mal platt gesagt – um die großen Fische, für alles andere haben wir weder Zeit noch Ressourcen.“
Der Steuerzahlerbund in BadenWürttemberg regt an, es beim alten Modell zu belassen. „Im Grunde braucht es die neue Plattform gar nicht: Bürgerinnen und Bürger haben bereits die Möglichkeit, bei Unregelmäßigkeiten das Finanzamt zu informieren – diese Verdachtsmeldungen geben der Finanzverwaltung dann die Möglichkeit, dem Sachverhalt unaufgeregt nachzugehen“, heißt es in einer Mitteilung. Das neue anonyme Hinweisgeberportal wird als „extrem problematisch“bezeichnet. „Schließlich erhöht das neue Portal die Missbrauchsanfälligkeit, weil es Nutzer im digitalen Zeitalter dazu verführen kann, jederzeit und überall eine vorschnelle und eventuell falsche Anschuldigung durchzugeben.“
Rückendeckung erhält Bayaz ausgerechnet aus der Opposition. Für die SPD ist das Portal schlicht die konsequente technische Weiterentwicklung der bisherigen Meldeoptionen. „Die Aufregung über das neue Hinweisgeberportal können wir nicht nachvollziehen“, sagt etwa der SPD-Finanzexperte und Vorsitzender des Finanzausschusses, Martin Rivoir. „Die Tatsache, dass auch bereits viele Kommunen auf Apps setzen, um Anzeigen von Falschparkern auf Radwegen oder auf Behindertenparkplätzen anzeigen zu können, zeigt, dass das Land einen bereits eingeschlagenen Weg der Digitalisierung hier weiter beschreitet.“
Auch Transparency Deutschland spricht sich für das neue System aus: „Begriffe wie „Denunziantentum“und „Blockwartmentalität“sind absolut fehl am Platz. Es geht beim Whistleblowing um Hinweise auf Verstöße, die der Allgemeinheit schaden und deren Aufdecken im Interesse der Gesellschaft liegt“, erklärt Louisa Schloussen, Whistleblowing-Expertin von Transparency der dpa. „Entgegen den Vorurteilen zeigen wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen in der Praxis ganz klar, dass absichtliche Falschmeldungen kaum vorkommen und kein Problem sind.“