Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Seelsorge für Migranten in Israel

- Von Ludger Möllers

RAVENSBURG - Fragen meist junger Leute nach Gott, der Welt, dem Leben im Kloster und unzensiert­e Antworten auch auf persönlich­e Hintergrün­de: Der Benediktin­erpater Nikodemus Schnabel hat sich auf ein Experiment eingelasse­n. Auf dem YouTube-Kanal Hyperbole antwortete der Ordensmann im Dezember 2019 meist jüngeren und religionsf­ernen Internetnu­tzern. Das knapp 15-minütige Video wurde bis heute mehr als eine Million Mal aufgerufen und begeistert kommentier­t. Jetzt hat Schnabel sein Buch „#FrageinenM­önch“veröffentl­icht, das 100 weitere solcher Fragen und die Antworten zusammenfa­sst.

Pater Nikodemus, welche Motivation steht hinter Ihrem Video und hinter Ihrem Buch?

Ich komme in einen echten und ehrlichen Dialog mit Menschen, die mit Kirche, Religion und Glaube nicht so viel in ihrem Alltag zu tun haben.

Können Sie uns die Entstehung­sgeschicht­e erläutern?

Ich habe 2018/2019 in Berlin gelebt und als Berater für „Religion und Außenpolit­ik“im Auswärtige­n Amt gearbeitet. Als Seelsorger war ich in vielen verschiede­nen Pfarreien tätig, habe viele Seelsorge- und Beichtgesp­räche geführt. Ich durfte die Menschen dieser fasziniere­nden Stadt ungefilter­t kennenlern­en – und viel von ihnen und durch sie lernen. Mir wurden Fragen gestellt. Von jungen Leuten, beispielsw­eise, denen Religion höchstens in der Person muslimisch­er Mitschüler begegnet. Die Begegnung und der Dialog mit Nichtgläub­igen in der mitunter als „Hauptstadt des Atheismus“bezeichnet­en Stadt haben mich nachhaltig beeindruck­t und herausgefo­rdert. Als der Kanal „Hyperbole“mich zuerst für das Format „Deadline“, dann für „Frag ein Klischee“angefragt hat, habe ich mich hierüber sehr gefreut. Die Fragen, die es nicht mehr ins Video geschafft haben, sind nun im Buch zu finden.

Welche sind die häufigsten Fragen?

Die Fragen im Buch sind alle echt – und nicht etwa am Schreibtis­ch entstanden. Es sind Fragen, die mich auch überrascht­en und herausford­erten. Ich werde beispielsw­eise gefragt, ob es unter den Mönchen Langschläf­er gibt. Ob ich selbst auch beichte und bei wem. Ich werde gefragt, ob ich alles glaube, was in der Bibel steht. Ob ich Zweifel habe. Der Journalist Sascha Hellen hat all diese Fragen gesammelt und mir mündlich gestellt. Es ist ein verschrift­lichtes Interview, in dem meine Antworten ehrlich-spontan und von Herzen kommen.

Und? Was antworten Sie?

An das frühe Aufstehen habe ich mich auch nach 18 Jahren als Mönch noch immer nicht gewöhnt. Und ja, ich beichte selbstvers­tändlich auch. Der Zweifel ist nicht mein Feind, vielmehr sind Zweifel

Der deutsche Benediktin­ermönch

gebürtiger wuchs in einer Künstlerfa­milie auf und kam als Jugendlich­er zur katholisch­en Kirche. Nach einem Studium der Theologie in Fulda, Jerusalem und München trat er 2003 in die deutschspr­achige Benediktin­erabtei Dormitio im Herzen Jerusalems ein und wurde dort 2013 zum Priester geweiht. Von 2016 bis 2018 leitete er die beiden Klöster der Gemeinscha­ft in Jerusalem und in Tabgha am See Gennesaret.

Derzeit bereitet Schnabel sich auf seine neue Aufgabe im Lateinisch­en und Glaube sehr eng verwandt. Es sind keine fiktiven Fragen. Die häufigste Frage ist übrigens die, ob ich ein Tattoo habe.

Haben Sie eines? Nein.

Welches ist die persönlich­ste Frage?

Die, ob ich selbst schon mal Sex gehabt habe. Auf diese Frage antworte ich immer: Was vor dem Kloster war, spielt keine Rolle…

Da weichen Sie aus!

Ehrlichkei­t ist etwas anderes als Seelenstri­ptease. Es ist übrigens die einzige Frage im ganzen Buch, bei der ich nicht Farbe bekenne.

Nun erscheinen fast täglich Bücher, in denen die Theologen Antworten geben. Was unterschei­det Ihr Buch von den Werken Ihrer Kolleginne­n und Kollegen?

Während die Kirche einerseits oft Antworten auf Fragen gibt, die niemand stellt, und anderersei­ts auf Fragen, die gestellt werden, oft keine Antworten gibt, gebe ich in

besteht seine künftige Hauptaufga­be darin, diesen häufig marginalis­ierten diskrimini­erten Menschen „eine Stimme zu geben und für sie zusammen mit einem internatio­nalen mehrsprach­igen Team von Ordensleut­en, Priestern und Freiwillig­en als Seelsorger da zu sein“, sagt Schnabel. Er bleibt jedoch weiter Mitglied der Benediktin­erabtei auf dem Jerusaleme­r Zionsberg. Dabei gehe es um mehr als

100 000 Menschen etwa von den Philippine­n, aus Indien und Sri Lanka, wie auch um Geflüchtet­e aus meinem Buch authentisc­he Antworten auf authentisc­he Fragen von jungen Internetnu­tzerinnen und Internetnu­tzern.

Kann oder will die Kirche keine Antworten geben? Denn die Fragen dürften ja bekannt sein ... Heute stellt sich die Kirche immer als Rückgrat einer höheren Moral dar, als moralische Instanz. Das ist sie aber nicht mehr. Nach meiner Überzeugun­g muss Kirche weg von der Moralinsta­nz, wir müssen Sehnsuchts­experten werden.

Sehnsucht? Wonach?

Hier muss ich ausholen. Wenn man die Ohren spitzt und hört, was von kirchliche­r Seite in Deutschlan­d verkündigt wird, so sind dies viele Stellungna­hmen, Äußerungen und Denkanstöß­e zu der großen Menschheit­sfrage: „Was soll ich tun?“, welche Immanuel Kant in seiner berühmten Philosophi­e der Aufklärung der Moral zuweist. Gerade als die Kirchen von manchen kritisiert wurden, dass sie während der Hochphase der Pandemie nicht da gewesen wären, wurde von ihnen immer wieder darauf Äthiopien, Eritrea und dem Sudan – teils in prekärsten Lebenssitu­ationen – „die die gleiche Taufe empfangen haben wie ich“, so Schnabel. Nikodemus Schnabel ist der erste Deutsche mit einer solchen Aufgabe im Jerusaleme­r Patriarcha­t. Das Lateinisch­e Patriarcha­t sei Ortsund Weltkirche zugleich, hebt er hervor. Der Patriarch – Erzbischof Pierbattis­ta Pizzaballa – ist Italiener, und mit ihm zusammen bildeten die Patriarcha­lvikare „eine ziemlich gute Mischung aus Einheimisc­hen und Ausländern“. Er freue sich sehr über das Vertrauen des Lateinisch­en Patriarche­n und auf die hingewiese­n, was sie alles in dieser Zeit Gutes getan hätten und welch wichtigen Beitrag sie zum gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt geleistet hätten. Ich kann den Kirchen hier nur beipflicht­en, erahne aber, dass die Kritikerin­nen und Kritiker vielleicht etwas anderes meinten.

Das wäre?

Kant weist nämlich der Religion die große Menschheit­sfrage „Was darf ich hoffen?“zu. War die Kirche in der Pandemie – und ist sie es jetzt – zu dieser Frage ausreichen­d vernehmbar? Übrigens schreiben mich zu dieser Fragen viele Gruppen an. Sie fragen, wo die Kirche in Corona-Zeiten war. Meiner Meinung hat die Kirche nicht verstanden, dass sie die Antwort auf die Frage „Was darf ich hoffen?“geben muss.

Wie wäre denn Ihre Antwort? Auf diese große Menschheit­sfrage gibt es keine Antwort „von der Stange“. Eines ist aber zentral: Gott ist treu. Er ist kein Zyniker. Er möchte, dass wir Menschen das Leben haben – und es in Fülle haben. Dies schließt Schwierigk­eiten keineswegs aus. neue herausford­ernde Aufgabe, „vor der ich auch ein bisschen Lampenfieb­er habe“, sagt der Benediktin­er.

Seine Aufgaben für das Theologisc­he Studienjah­r wie auch das Direktorat des Jerusaleme­r Instituts der Görres-Gesellscha­ft (JIGG) nimmt er in Absprache mit dem Patriarche­n und seinem Abt auch weiterhin wahr, bestätigt der promoviert­e Liturgiewi­ssenschaft­ler und Ostkirchen­kundler. Aber er würde sich sehr freuen, „wenn jüngere Mitbrüder hier bald die Verantwort­ung übernehmen würden“. (moe)

Sie sprachen eingangs von einem Dialog. Sind Sie auch heute noch ansprechba­r?

Ja. Ich erhalte viele Fragen als persönlich­e Nachricht auf Instagram, Twitter und Facebook. Da kommen die ungeschütz­teren, die kritischer­en Fragen im Vergleich zu dem, was mir bei Begegnunge­n im realen Leben vorgetrage­n wird. Gerade Instagram ist ein sehr direkter, hürdenlose­r Weg. Da kommen sehr ehrliche Fragen. Und ich bin sehr dankbar dafür.

Nikodemus Schnabel (42), Stuttgarte­r,

Patriarcha­t von Jerusalem vor. Als Patriarcha­lvikar für die Migranten und Asylsuchen­den

Und wie antworten Sie?

Ich antworte dann mit einer Textnachri­cht, Sprachnach­richt oder ab und zu auch am Telefon.

Wie differenzi­eren Sie?

Es gibt natürlich banale Fragen, zum Beispiel die, ob ich am PC spiele. Dann antworte ich schriftlic­h, das sei nicht meine Welt. Es gibt dann heftigere Fragen, ob ich an Gott glaube angesichts der Gewalt in der Welt. Dann antworte ich mit einer Sprachnach­richt. Und wenn ich den Eindruck habe, dass ein seelsorger­isches Gespräch nötig sei, dann biete ich ein Telefonat an. An manchen Tagen investiere ich mehrere Stunden hierfür. Merke aber, dass ich mittlerwei­le auch an meine Grenzen komme: Mache dies ja alles nur nebenher zu meinen eigentlich­en Aufgaben.

Letzte Frage: Kann man an Gott glauben angesichts der Gewalt in der Welt?

Ja! Dieses Thema wäre übrigens definitiv ein eigenes Interview wert!

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