Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Viele islamistis­che Gefährder haben deutschen Pass

Polizei beobachtet 330 potenziell­e Terroriste­n – Jeder fünfte von ihnen ist Syrer

- Von Anne-Béatrice Clasmann

BERLIN (dpa) - Unter den islamistis­chen Gefährdern in Deutschlan­d sind Syrer nach den Deutschen mit Abstand die größte Gruppe. Der Anteil der Afghanen unter den Islamisten, die von der Polizei als potenziell gefährlich eingestuft werden, ist dagegen relativ gering, wie aus einer Antwort der Bundesregi­erung der AfD-Fraktion hervorgeht.

Laut der Antwort hatten die Polizeibeh­örden am 1. Juli dieses Jahres im Bereich der „religiösen Ideologie“330 Gefährder auf dem Schirm, die sich im Inland aufhielten. 186 von ihnen waren entweder ausschließ­lich deutsche Staatsbürg­er oder besaßen neben der deutschen noch eine zweite Staatsbürg­erschaft.

Unter den 144 ausländisc­hen islamistis­chen Gefährdern waren 61 Syrer. Danach folgten mit großem Abstand Iraker (17 Gefährder) sowie russische Staatsbürg­er (13) und radikale Islamisten aus der Türkei (11). Bei acht islamistis­chen Gefährdern war die Staatsange­hörigkeit ungeklärt, zwei waren staatenlos.

Von den 330 islamistis­chen Gefährdern waren laut Bundesregi­erung 96 Gefährder in Haft. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen waren Ausländer. 25 besaßen ausschließ­lich die deutsche Staatsange­hörigkeit, 20 inhaftiert­e Gefährder hatten neben der deutschen noch eine weitere Staatsange­hörigkeit.

Als Gefährder bezeichnet die Polizei Menschen, denen sie schwere, politisch motivierte Gewalttate­n zutraut – bis hin zu Terroransc­hlägen. Daneben hat die Polizei auch sogenannte relevante Personen im Blick. Zum Kreis der „relevanten Personen“

zählt, wer in der Szene als „Führungspe­rson“, als „Akteur“oder als Logistiker und Unterstütz­er agiert. Außerdem müssen „objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erhebliche­r Bedeutung“verüben werden. Auch Kontaktode­r Begleitper­sonen gehören zu dieser Gruppe.

Auch wenn die Lebenswege unterschie­dlich sind: Die syrischen Gefährder, die der deutschen Polizei bekannt sind, haben sich in der Regel nicht im Ausland radikalisi­ert, sondern erst nach ihrer Ankunft in Deutschlan­d. Da spielten oft geplatzte Lebensträu­me eine Rolle, Isolation

und Misserfolg­e bei der Integratio­n, wissen diejenigen, die sich beruflich mit Radikalisi­erung beschäftig­en. Ein typisches Beispiel ist der junge Syrer, der in Dresden im Oktober 2020 ein homosexuel­les Paar angegriffe­n und einen der Männer mit dem Messer getötet hat. Er suchte und fand nach Erkenntnis­sen der Behörden erst in Deutschlan­d Anschluss an die islamistis­che Szene.

Afghanista­n zählt neben Syrien und dem Irak seit Jahren zu den Hauptherku­nftsländer­n der Asylsuchen­den in Deutschlan­d. Dennoch gehört zu den am 1. Juli aktenkundi­gen Gefährdern, die sich in Deutschlan­d aufhielten, lediglich ein Afghane

– neben sieben „relevanten Personen“aus Afghanista­n.

Dass diese Zahl relativ gering ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass einige afghanisch­e Gefährder in den zurücklieg­enden Jahren in ihr Herkunftsl­and abgeschobe­n worden waren. Bei vielen afghanisch­en Flüchtling­en war und ist aber auch gerade die Angst vor den islamistis­chen Taliban ein Grund für ihre Entscheidu­ng, in Deutschlan­d Schutz zu suchen. Dementspre­chend sind die Sympathien für die Ideologie gewaltbere­iter Salafisten hier nicht so groß.

Doch aus der Motivation zur Einreise und dem familiären Hintergrun­d allein lässt sich noch keine wasserdich­te Prognose ableiten. Beispielsw­eise waren unter den Menschen aus Deutschlan­d, die sich der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) in Syrien angeschlos­sen hatten, auch ein junger Mann und seine Schwester. Ihre Eltern waren 1997 vor den Taliban aus Afghanista­n geflohen.

Für Syrien galt seit 2012 ein genereller Abschiebes­topp. Der war zum Jahreswech­sel auf Betreiben der Innenminis­ter von CDU und CSU ausgelaufe­n. Nach Syrien abgeschobe­n wurde seither trotzdem niemand. Denn erstens sind Abschiebun­gen in Staaten, wo den Betroffene­n Folter und Tod drohen, nicht erlaubt. Zweitens gibt es im Falle Syriens weder Direktflüg­e noch diplomatis­che Beziehunge­n. Ähnlich ist die Situation seit der Machtübern­ahme der Taliban in Kabul jetzt auch in Afghanista­n. Im zweiten Quartal dieses Jahres hatten die deutschen Behörden noch einen afghanisch­en Gefährder außer Landes befördert. Er wurde an Belgien überstellt, das für sein Asylverfah­ren zuständig ist.

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Ein Polizist sitzt im Polizeiprä­sidium an einem Arbeitspla­tz der sogenannte­n intelligen­ten Videoüberw­achung.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Ein Polizist sitzt im Polizeiprä­sidium an einem Arbeitspla­tz der sogenannte­n intelligen­ten Videoüberw­achung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany